Europäische Union

Verhängt die EU jetzt Strafmaßnahmen gegen Israel?

Ihr Prüfbericht wirft Fragen auf: die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas vor Beginn der Tagung der Außenminister Foto: Alexandros Michailides / Europäische Union

Spaniens Außenminister José Manuel Albares trat am Montag als erster vor die Mikrofone der Journalisten. Albares gilt nicht als Heißsporn, ist nicht für schneidige Statements oder harsche politische Forderungen bekannt. Doch zur Sitzung des EU-Außenministerrates in Brüssel kam er lange vor seinen Amtskollegen ins »Europa«-Gebäude. Der Spanier hatte eine klare Botschaft zum Nahostkonflikt mitgebracht:

»Die Zeit der Erklärungen ist vorbei. Die Palästinenser in Gaza brauchen Taten.« Es gehe nicht mehr darum, irgendetwas anzuprangern, sagte Albares. »Das haben wir monatelang getan. Nicht Anklagen werden diesen unmenschlichen Krieg in Gaza beenden, sondern Taten.« Dann wurde er konkret: »Ich werde drei klare Forderungen auf den Tisch legen: die sofortige Aussetzung des Assoziierungsabkommens (der EU mit Israel – Red.), ein Waffenembargo der Europäischen Union gegenüber Israel und individuelle Sanktionen gegen all diejenigen, die die Zwei-Staaten-Lösung endgültig zunichtemachen wollen.«

EU-Staaten fordern Aussetzung von Abkommen mit Israel

Die spanische Regierung hatte schon vor einem Jahr gemeinsam mit Irland diesen Schritt angeregt und in jüngster Zeit Verbündete dafür gefunden. Im Mai hatten 17 der 27 EU-Mitgliedsstaaten unter Führung der Niederlande eine Überprüfung der Einhaltung des Artikels 2 des seit dem Jahr 2000 geltenden Vertrages beantragt.

Recht hastig wurde dieser achtseitige Prüfbericht nun vom Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) ausgearbeitet. Der EAD untersteht der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas. Das Papier stelle »einen prägnanten Überblick über schwerwiegende Vorwürfe grober Verstöße gegen das internationale Menschenrechtsrecht (IHRL) und das humanitäre Völkerrecht (IHL)« dar, heißt es einleitend in dem als vertraulich eingestuften Bericht, der am Wochenende dennoch durchgestochen wurde.

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Interessant ist auch die einschränkende Bemerkung, man konzentriere sich bei der Untersuchung auf mutmaßliche Vergehen Israels. Begründet wird das nicht weiter. »Verstöße von Hamas-Terroristen und anderen palästinensischen bewaffneten Gruppen fallen nicht in den Geltungsbereich dieser Note«, heißt es lapidar.

Es gebe eindeutige Anzeichen, heißt es dort, dass Israel gegen die Menschenrechtsbestimmungen im Assoziierungsabkommens mit der EU verstoßen habe und weiter verstößt. So vermerkt der Bericht: »Am 18. März 2025 startete Israel eine neue Militäroperation: Bombardierungen aus der Luft, zu Land und zu Wasser sowie erweiterte Bodenoperationen führten zu zivilen Opfern, der Zerstörung ziviler Infrastruktur, einschließlich Notunterkünften und für das Überleben der Bevölkerung unerlässlichen Objekten, sowie zu großflächigen Vertreibungen von Menschen.« Das habe dazu geführt, dass die gesamte Bevölkerung Gazas »mit einem hohen Maß an akuter Ernährungsunsicherheit konfrontiert war, wobei eine halbe Million Menschen (jeder Fünfte) vom Hungertod bedroht waren«.

Achtung der Menschenrechte

Die Note stützt sich ausschließlich auf Erkenntnisse der Vereinten Nationen, insbesondere das Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte in Genf und das Palästinenserhilfswerk UNRWA, mit dem Israel die Zusammenarbeit eingestellt hat, weil UNRWA-Mitarbeiter in die Terrorakte des 7. Oktober 2023 verwickelt waren.  

Zwar verweist die EAD-Note auf »unabhängige Institutionen«, doch eigene Überprüfungen haben Europas Diplomaten nicht durchgeführt. Das Büro des EU-Sonderbeauftragten für Menschenrechte verfüge über »keine eigenen Kapazitäten zur Bewertung der Lage vor Ort«, heißt es lapidar in der Note. Der EAD stütze seine Schlussfolgerungen daher komplett auf die Berichte von UN-Organisationen.

Treffen der EU-Außenminister am 23. Juni in Brüssel

Gemäß Artikel 2 des Assoziierungsabkommens aus dem Jahr 2000, das die Beziehungen zwischen Israel und der EU umfänglich regelt, beruht die Zusammenarbeit beider Seiten »auf der Achtung der Menschenrechte und der demokratischen Grundsätze, die ihre Innen- und Außenpolitik leiten und ein wesentliches Element dieses Abkommens darstellen«.

Kritiker von Israels Vorgehen im Gazastreifen stützen sich auf diese Klausel und fordern nun, das Assoziierungsabkommen auszusetzen. Sollte dies geschehen, könnte es Israel teuer zu stehen kommen, denn auch Handelsvergünstigungen fallen unter das Abkommen.

Allerdings müssten alle 27 EU-Mitgliedsstaaten der vollständigen Suspendierung des Vertrags zustimmen. In Brüssel machte Bundesaußenminister Johann Wadephul noch vor der Sitzung der Außenminister klar, dass Berlin gegen die Aussetzung sei. »Wir brauchen gute Beziehungen zu Israel«, sagte er. Und fügte hinzu: »Ich rate davon ab, hierüber weitere formelle Diskussionen zu führen. Wir brauchen dieses Assoziierungsabkommen und sollten es in keiner Weise in Zweifel ziehen.«

»Voreingenommen« und »äußerst einseitig«

Allerdings kritisierte auch Wadephul erneut die humanitäre Lage im Gazastreifen. Die sei auch »Gegenstand unserer Gespräche mit Israel«, betonte er. Es müsse wieder möglich sein, dass humanitäre Hilfe zu den Menschen im Gazastreifen gelange, so der CDU-Politiker.

In einem Interview mit dem TV-Sender »Euronews« hatte Israels EU-Botschafter Haim Regev aber klargemacht, dass man sein Land »mit niemandem über die Bedrohungen durch den Iran und Gaza verhandeln« werde. Man tue jetzt, was gut für den Staat Israel sei, indem man die nukleare und Raketenbedrohung beseitige und die Hamas daran hindere, in Gaza zu bleiben, erklärte Regev.

In Jerusalem reagierte die Regierung verärgert auf die Note aus Brüssel. Sie erinnerte daran, dass das Land seit dem 7. Oktober 2023 einen Krieg an mehreren Fronten führe. Der Prüfbericht habe diesen Kontext einfach ausgeblendet. Die Untersuchung sei »voreingenommen« und »äußerst einseitig«, da sie sich auf Äußerungen und Berichten »antiisraelischer Stimmen« stütze. Verständnis der Position und der Handlungen Israels sei überhaupt nicht vorhanden. Auch die Tatsache, dass die Hamas Hilfslieferungen gestohlen habe, werde mit keiner Silbe erwähnt.

Das Papier könne auch deswegen nicht ernst genommen werden, weil darin versäumt werde, »auf die Tausenden von Raketen hinzuweisen, die wahllos aus dem Gazastreifen auf israelische Zivilisten abgefeuert wurden«. Jede einzelne stelle ein eigenständiges Kriegsverbrechen dar, so die israelische Seite. Die Regierung in Jerusalem monierte auch, dass an andere EU-Partnerländer im Mittelmeerraum, mit denen es Assoziierungsabkommen gebe, nicht dieselben Maßstäbe angelegt würden. Auch die israelische Organisation »NGO Monitor« nannte das Papier in einer ersten Bewertung eine »Farce«.

Hamas wurde ausgeklammert

Die deutsche Europaabgeordnete Hildegard Bentele (CDU) ging mit dem EAD-Prüfbericht und der EU-Außenbeauftragten ebenfalls hart ins Gericht. »Ich fordere Frau Kallas auf, unverzüglich offenzulegen, wer diesen Bericht verfasst hat, auf welchen Quellen er beruht, inwieweit israelische Stellen sowie die Mitgliedstaaten einbezogen wurden und ob Artikel 79 des Assoziierungsabkommens gewahrt wurde. Dieser sieht ausdrücklich Dialog, Verhältnismäßigkeit und eine sorgfältige Prüfung vor.«

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Die in dem Papier zitierten Angaben basierten »fast ausschließlich auf palästinensischen oder sogar Hamas-nahen Quellen«, sagte Bentele. »Opferzahlen und Bedrohungslagen wurden mehrfach korrigiert, eine Differenzierung zwischen Kombattanten und Zivilisten erfolgt selten. Außerdem ist festzuhalten: Die Hamas, die nach wie vor aktiv ist, hat ein offensichtliches Interesse daran, humanitäre Hilfe für eigene Zwecke zu instrumentalisieren.« Dennoch sei ihr Handeln nicht Gegenstand dieses Berichts gewesen, so Bentele.

Seit einigen Monaten sitzt die gelernte Diplomatin der Delegation des Europaparlaments für die Beziehungen mit Israel vor. In der Volksvertretung ist die Stimmung längst gekippt, zahlreiche Redner forderten Mitte Mai in einer Debatte Sanktionen gegen Israel. Darunter waren auch deutsche Abgeordnete. Auch NGOs machen Druck. So erneuerten 110 Menschenrechtsorganisationen am Montag in einem offenen Brief ihre Forderung nach sofortiger Aussetzung des EU-Israel-Assoziierungsabkommen.

Die Entscheidungsgewalt darüber liegt jedoch nicht bei den gewählten Parlamentariern, sondern bei den Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten. Wegen des Erfordernisses der Einstimmigkeit ist es aktuell unwahrscheinlich, dass es so weit kommen wird. Neben Deutschland haben auch andere Staaten Widerstand gegen das Ansinnen Spaniens und Irlands angekündigt.

Allerdings ist in Brüssel die Wut auf Israel in den letzten Wochen merklich gestiegen.  Dass die Außenminister Israels Beteiligung an einzelnen EU-Förderprogrammen oder die Visafreiheit für Reisen in die EU aussetzen und sich zu anderen Sanktionen durchringen, schließen viele Beobachter nicht aus. Denn dafür würde eine qualifizierte Mehrheit von 15 der 27 Mitgliedsstaaten ausreichen, sofern die betreffenden Länder mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten.

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