Brüssel

Ursula von der Leyen macht Israel zum Bauernopfer

Ursula von der Leyen im Straßburger Parlament Foto: EC/DATI BENDO

Seit langem herrscht im Europäischen Parlament Israel gegenüber eine Stimmung, die man nur als feindselig beschreiben kann. Linke, grüne, sozialdemokratische und auch liberale Abgeordnete trommeln bei Plenardebatten und in Ausschusssitzungen lautstark gegen die Politik der israelischen Regierung.

Die Vorsitzende der S&D-Fraktion, Iratxe Garcia Pérez, hat seit Monaten bei diesem Thema die Wortführerschaft inne. Unermüdlich prangert die spanische Sozialistin einen angeblichen »Genozid« Israels an den Palästinensern in Gaza an und fordert, analog zu ihrer Regierung in Madrid, harte Strafmaßnahmen gegen den jüdischen Staat. Die Fürsprecher Israels auf der christdemokratischen Seite des Hohen Hauses waren dagegen zuletzt größtenteils verstummt.

Am Mittwoch sprach nun Ursula von der Leyen, die Präsidentin der Europäischen Kommission, in Straßburg zu den Abgeordneten. In den Mittelpunkt ihrer alljährlichen Rede zur Lage der Union stellte sie die Handlungsfähigkeit der EU. Europas Unabhängigkeit, so von der Leyen, hänge davon ab, ob es in der Lage sei, in »turbulenten Zeiten zu bestehen« und politisch handlungsfähig zu sein.

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Erst ging sie ausführlich auf den Ukraine-Krieg ein. Dann kam von der Leyen auf den Nahostkonflikt zu sprechen. Was in Gaza passiere, habe »das Gewissen der Welt erschüttert« und sei »inakzeptabel«, begann die Kommissionspräsidentin. »Menschen werden getötet, während sie um Essen bitten. Mütter halten leblose Babys im Arm. Diese Bilder sind einfach katastrophal.«

Sodann begann sie eine minutenlange Anklage gegen Israel – zunächst, ohne das Land oder die Regierung Netanjahu beim Namen zu nennen. Jedem im Straßburger Plenarsaal war aber klar, wer da gemeint war. Die Hamas erwähnte von der Leyen erst ganz zum Schluss. Da hatte sie ihre weitreichenden Sanktionsvorschläge schon gemacht.

Von der Leyens Furor, ihre ganze Aufmerksamkeit, galt der Regierung Netanjahu. Die habe zuletzt »systematisch« Grenzen verschoben, sagte sie, was »schlicht und ergreifend inakzeptabel« sei. »Wir haben gesehen, wie die Palästinensische Behörde finanziell ausgetrocknet wurde. Wie Pläne für ein Siedlungsprojekt im sogenannten Gebiet E1 geschmiedet werden, durch die das besetzte Westjordanland faktisch von Ostjerusalem abgeschnitten würde. Wie die besonders extremistischen Minister der israelischen Regierung mit ihren Handlungen und ihren Äußerungen Gewalt anstacheln. All dies weist auf den klaren Versuch hin, die Zweistaatenlösung zu untergraben«, so die Kommissionspräsidentin.

Nur weil Europa die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) unterstütze, gebe es diese überhaupt noch. Die EU dürfe nicht zulassen, dass die »Vision eines lebensfähigen palästinensischen Staates untergraben« werde, forderte die CDU-Politikerin. Es sei »schmerzhaft«, dass die Europäische Union bei diesem Thema gespalten sei und kaum handlungsfähig. Um das zu ändern, setzt von der Leyen nun auf weitere Sanktionen gegen Israel.  »Europa muss vorangehen – so, wie es das in der Vergangenheit bereits getan hat«, rief sie den Abgeordneten, die ihr eifrig Applaus spendeten.

Von der Leyen braucht die Unterstützung der EU-Staaten

Doch von der Leyen weiß natürlich, dass es nicht das Europaparlament ist, das die Entscheidungen fällt. Vielmehr braucht sie bei den meisten ihrer Vorhaben die Unterstützung der Regierungen der 27 EU-Mitgliedsstaaten. Das gilt auch für die weitreichenden Sanktionen, die die Kommissionspräsidentin plötzlich gegen Israel verhängen will.

Vielleicht machte sie die Vorschläge genau deshalb. Möglicherweise wollte sie signalisieren: »Schaut her, ich mache doch Sanktionsvorschläge, aber wenn ihr nicht zustimmt, ist es nicht meine Schuld.« Vielleicht wusch von der Leyen vor den Abgeordneten ihre Hände in Unschuld. Doch in jedem Fall klang sie wild entschlossen, es den Israelis zu zeigen. »Lähmung können wir uns nicht leisten«, so von der Leyen.

Zahlungen an Israel, über die die Kommission selbst entscheiden kann, sollen gestoppt werden. Mit zwei wichtigen Ausnahmen allerdings: Die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem soll weiter Fördermittel bekommen, und auch die israelische Zivilgesellschaft will von der Leyen nicht bestrafen.

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Aufmerksame Beobachter, auch in Israel, rätselten zunächst, was noch übrig bleibt an Fördertöpfen, von denen von der Leyens Haus Israel ohne Zustimmung der Mitgliedsstaaten ausschließen kann. Anders als die PA erhält Israels Regierung kaum Zuschüsse aus dem von der Kommission verwalteten EU-Haushalt. Das milliardenschwere Forschungsförderprogramm »Horizon Europe« kann von der Leyen nicht gemeint haben, denn ein Ausschluss Israels dort ist zustimmungspflichtig.

Das gilt auch für weitere Sanktionsvorschläge. Zum Beispiel den, die extremistischen israelische Minister und gewalttätige Siedler mit Einreiseverboten in die EU zu belegen.

Sogar eine teilweise Aussetzung des Assoziierungsabkommens im Bereich des Handels schlug von der Leyen vor. Das kam für viele überraschend, stellte es doch eine Kehrtwende der Kommissionschefin dar. Noch vergangene Woche, bei der Sitzung der EU-Botschafter, hatte die Kommission betont, keine drastischen Schritte dieser Art in Erwägung zu ziehen. Nun ist ihre Präsidentin umgefallen.

Die Kommissionschefin wirft Israel unter den Bus

Sie fühle sich »dem israelischen Volk schon seit Langem freundschaftlich verbunden«, beteuerte Ursula von der Leyen zum Schluss noch. Sie wisse, wie sehr »der grauenvolle Angriff der Hamas-Terroristen vom 7. Oktober die Nation bis ins Mark erschüttert« habe, sagte sie. Die Hamas sei schlimm, die Geiseln müssten sofort freigelassen werden.

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Warum dafür allerdings nur Sanktionen gegen Israel notwendig sind, sagte die Kommissionschefin nicht. Ihre Botschaft war so, wie sie eine Mehrheit im Parlament hören wollte. Von der Leyen ging auf die Abgeordneten zu – auch wenn sie Israel dafür unter den Bus werfen musste.

Aus ihrer eigenen Partei kam zwar Kritik. Der CDU-Abgeordnete Dennis Radkte schrieb auf X: »Man konnte sich für die Einseitigkeit an dieser Stelle einfach nur schämen. Dazu kein Wort zum unerträglichen Antisemitismus mitten in Europa«. Auch seine Parteifreundin Hildegard Bentele zeigte sich »schockiert über die Einseitigkeit des Vorschlags der Kommissionspräsidentin« und fügte hinzu: »Das Assoziierungsabkommen wird geopfert – ohne Plan für den künftigen Dialog mit Israel. Das ist verheerend für die EU-Israel-Beziehungen.«

Doch von der Leyen dürfte die Kritik verschmerzen. Sie hat sich mit ihren Gaza-Vorschlägen im Parlament Zeit und dringend benötigtes politisches Wohlwollen auf anderen Politikfeldern erkauft. Zuletzt stand sie für ihr Handelsabkommen mit US-Präsident Donald Trump schwer in der Kritik. Viele Abgeordnete empfanden sie als zu nachgiebig. Auch die Bilanz des ersten Jahres ihrer zweiten Amtszeit fällt mager aus.

Dass Israel nun das Bauernopfer war, hat von der Leyen wahrscheinlich kühl kalkulierend in Kauf genommen.

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