Es war ein seltsames Schlusswort des Moderators: »Ich finde, diese Sendung hat heute viel erklärt – vor allen Dingen in den Momenten, in denen nichts gesagt worden ist«, meinte Markus Lanz, bevor er seine Zuschauer in die Nacht entließ.
Eine Talkshow, bei der etwas hängen bleibt, was gar nicht ausgesprochen wurde? Das wäre wohl ein Novum in der deutschen Fernsehgeschichte gewesen. Dabei hatten die drei Lanz’schen Studiogäste am Dienstag durchaus etwas zu sagen. Die Statements waren erhellend und streckenweise sogar berührend. Dabei war das Thema eines, das Lanz gefühlt schon hundert Mal abgehandelt hat: Wieder einmal wurde über Israel und den Krieg in Gaza geredet.
Viele interessante Erklärungen zur Umsetzung von Donald Trumps brandneuem Friedensplan konnten die Gäste im Studio aber nicht beisteuern. Dafür war der 20-Punkte-Plan des US-Präsidenten wohl noch zu frisch. Immerhin lieferte der – wieder einmal aus Amerika zugeschaltete – dortige Studioleiter des ZDF, Elmar Theveßen, ein paar seiner analytischen Einschätzungen. Viel hängen blieb aber nicht.
Im Studio kam es zu Wortgefechten zwischen der in Deutschland aufgewachsenen israelischen Kommunikations- und Politikberaterin Melody Sucharewicz und dem Chefredakteur des von ihm mitgründeten Nahostmagazins »Zenith«, Daniel Gerlach.
Er warf Israels Premier Benjamin Netanjahu vor, den soeben mit Trump vereinbarten Plan für Gaza schon wieder umzuinterpretieren und zu unterminieren. In Wahrheit plane Netanjahu gar keinen vollständigen Truppenrückzug Israels aus der palästinensischen Küstenenklave. Gerlach berief sich als Beleg auf eine Videobotschaft Netanjahus. Diese war nach der Pressekonferenz des Ministerpräsidenten mit Trump im Weißen Haus veröffentlicht worden.
Was genau Netanjahu gesagt hatte, blieb in der Lanz-Sendung unklar. Gerlach versuchte, sie sinngemäß wiederzugeben. Er verstehe schließlich Hebräisch, ließ der »Zenith«-Chefredakteur durchblicken.
Streit über Netanjahu-Aussagen in Video
Sucharewicz stellte klar, sie wolle Gerlachs Hebräisch-Kenntnisse ja nicht in Zweifel ziehen. Aber was er über Netanjahus angebliche Worte an das eigene Volk gesagt habe, das stimme nicht. Doch Gerlach blieb trotz der Widerrede dabei, auch wenn er kein wörtliches Zitat Netanjahus parat hatte. Der israelische Regierungschef wolle weiter die Kontrolle über große Teile Gazas ausüben, das habe er gestern Abend gesagt, da sei er sich sicher.
Auch Sucharewicz war sich sicher, es stand Aussage gegen Aussage. Sie habe sich das Video des Ministerpräsidenten angesehen, die Redaktion habe es ihr geschickt. Das einzige, was Netanjahu darin gesagt habe, sei, dass nunmehr die Hamas international isoliert sei und nicht mehr Israel und sie nun die Wahl habe, das Abkommen anzunehmen, die Waffen nierzulegen und die Geiseln freizulassen. Andernfalls werde Israel mit seiner Militäroperation fortfahren. Das und nichts anderes habe Netanjahu gesagt. »Wir setzen uns nach der Sendung hin und ich übersetze es Ihnen«, schlug Sucharewicz Gerlach vor.
Unabhängig davon befürwortete Sucharewicz in der Sendung die im Trump-Plan vorgesehene Schaffung einer Pufferzone am Rande des Gazastreifens, um israelische Städte und Kibbuzim in Grenznähe vor künftigen Angriffen der Hamas und anderer Terrororganisationen zu schützen. »Damit dort die Kinder wieder ruhig schlafen können«, wie sie es formulierte.
Um das Wohlergehen von Kindern dreht sich auch die Arbeit der deutsch-norwegischen Psychologin Katrin Glatz Bubbrak. Für die Organisation »Ärzte ohne Grenzen« war sie mehrfach im Gazastreifen, um vom Krieg traumatisierte Kinder und Jugendliche zu betreuen. Die Lage dort werde immer gefährlicher, auch und gerade für die kleinen Patienten. Alle Menschen wünschten sich nichts sehnlicher als ein Schweigen der Waffen.
»Meine Kollegen, die Patienten, die Kinder, sie sind in einem extremen Überlebensmodus«, sagte die Kinderpsychologin, die ihre Erlebnisse in Gaza in einem Buch verarbeitet hat. »Sie machen sich Sorgen, ob man überlebt, ob Menschen, die man lieb hat, überleben, und fragen sich, wo sie Wasser und Essen herkriegen sollen. Sie haben nicht die Kraft, viel über Politik nachzudenken, Sie wünschen sich nur, dass der Frieden kommt.«
Eine bessere Zukunft für die Kinder?
Nachdem Sucharewicz auf die Frage von Lanz hin die Lage ihrer eigenen Kinder angesichts der Raketenangriffe auf Israel geschildert und den Wunsch geäußert hatte, dass die Kinder Israels und Gazas »irgendwann mal miteinander sprechen« und »eine bessere und schmerzfreiere Zukunft erleben« können, was aber nur gelänge, wenn Terroristen wie die Hamas vertrieben würden, reagierte Gerlach in einer Art und Weise, die empathieloser und zynischer nicht hätte sein können.
»Glauben Sie nicht, dass die israelische Armee, dass der Staat, in dem sie leben, dem sie angehören und dessen Politik Sie verteidigen, dafür verantwortlich ist, was diesen Kindern passiert?« fragte er spitz. Er wolle ja die emotionale und geopolitische Dimensionen nicht unnötig vermengen, aber Sucharewicz habe »groß ausgeholt und alle möglichen Dinge reingepackt«, so Gerlach.
Um den Angriff auf die Mitdiskutantin zu untermauern, fügte er hinzu: »Ich spreche und arbeite jeden Tag mit Israelis.« Er frage sich, warum Sucharewicz immer nur auf das Leid der eigenen Leute, die geopolitische Situation und die Lage, in der Israel sich befinde, schaue, aber nicht auf das Leid in Gaza und auf die vielen Toten und Binnenvertriebenen dort. Es müsse doch »irgendwann« auch bei ihr »der Moment der Reflexion einsetzen«.
Sucharewicz sah sich in die Rolle der Sprecherin der israelischen Regierung gedrängt. Doch sie parierte die Vorwürfe. »Um Gottes Willen, Herr Gerlach. Sie werfen mir vor, dass ich die Frage von Herrn Lanz beantworte, der mich fragt, wie ich meinen Kindern diese Situation erkläre und wie die Kinder in Israel mit dem Trauma des 7. Oktober umgehen?« Wie voreingenommen müsse man sein, um nirgendwo Menschlichkeit und Hoffnung zu suchen, sondern stattdessen »bei dieser Obsession des Bashings zu bleiben« und Israel als einen Aggressor hinzustellen, der eine größere Gefahr für den Weltfrieden darstelle als der Iran, fragte sie empört zurück.
»Wir haben aufgehört, unsere eigenen Kinder zu opfern«
Gerlach fordere Verantwortung ein. Sie nehme ihre Verantwortung sehr ernst, so die 45-Jährige. Sie trauere auch um jedes tote palästinensische Kind. Aber die Verantwortung für die toten Kinder in Gaza trüge einzig und allein die Hamas.
Israel habe aber aus seiner Geschichte Lehren gezogen, so Sucharewicz. »Wir haben aufgehört damit, unsere eigenen Kinder dafür zu opfern, damit andere Kinder nicht sterben.« Das bedeute aber nicht, dass das israelische Militär nicht alles tue, um Kinder zu schützen, sagte sie.
Das wiederum zog Katrin Glatz Brubakk in Zweifel. Bei den israelischen Angriffen auf das Nasser-Krankenhaus, bei dem vor einigen Wochen 22 Menschen, darunter mehrere Ärzte und Journalisten, ums Leben kamen, habe es keine Vorwarnung der IDF gegeben. Bevor sie das letzte Mal nach Gaza gefahren sei, habe sie ihren eigenen Kindern Abschiedsbriefe hinterlassen, für den Fall, dass sie nicht zurückkommen werde, sagte die Psychologin.
Dann sprang die Diskussion wieder zurück auf die politische Ebene und auf die Frage, ob ein palästinensischer Staat die Lösung der Probleme darstellen kann oder nur ein zusätzliches Problem. Doch man spürte, dass vor allem zwischen Gerlach und Sucharewicz die Argumente bereits ausgetauscht waren. Viel Neues erfuhren die Zuschauer trotz der lebhaften Debatte nicht. Immerhin wurden die hinlänglich bekannten Argumente mit viel Verve vorgetragen.
Ob die Momente, in denen nichts gesagt wurde, zum Erkenntnisgewinn beitrugen, darf bezweifelt werden. Denn viele solcher stiller Momente gab es nicht.