Gaza

Schreck und Schadenfreude

Ein Bild aus friedlicheren Zeiten: Itzik Schmuli bei den Sozialprotesten 2011 Foto: Flash 90

Gaza

Schreck und Schadenfreude

Wie ein Israeli und ein Palästinenser den Konflikt erleben

von Gil Yaron  20.11.2012 07:39 Uhr

Der Krieg erwischte Itzik Schmuli mitten beim Schabbatessen. Seine Familie war Freitag eigens in die südisraelische Stadt Aschdod gefahren, um dem alten Onkel Efraim beizustehen, der seit mehreren Tagen im Raketenhagel der Hamas seine Tage und Nächte verbringt. »Draußen Explosionen und Sirenen, drinnen sangen wir unsere traditionsreichen Lieder«, erzählt der 32-Jährige.

Plötzlich klingelte Schmulis Handy. Seine Verbindungsoffizierin bei der israelischen Armee war dran. Sie gab dem Studenten den Befehl, sich umgehend bei der Panzereinheit zu melden, zu der er als Reservist gehört: »Ich gab Omer, meinem neuen Neffen, noch einen Kuss auf die Stirn, dann raste ich mit dem Auto nach Hause, um meine Sachen zu packen.«

Befehl Noch vergangenen Sommer war Schmuli der charismatische Anführer der größten Protestwelle in Israels Geschichte gewesen. Mit Hunderttausenden Landsleuten demonstrierte er gegen Teuerung und für soziale Gerechtigkeit, forderte den Rücktritt von Benjamin Netanjahu.

Doch jetzt folgt nicht nur Itzik Schmuli dem Befehl des Premierministers: Mehr als 75.000 Reservisten will Israels Regierung für eine Bodenoffensive in Gaza einziehen, mehr als doppelt so viele wie in den großen Militäraktionen in Gaza 2008 oder im Libanon 2006. Zehntausende Lehrer, Rechtsanwälte, Ärzte und Sozialarbeiter, Väter und Mütter haben alles stehen und liegen lassen, um dem Marschbefehl Folge zu leisten. Alle hoffen sie, Israels Süden, der seit mehr als zehn Jahren mit Raketen beschossen wird, mit ihrem Einsatz ein wenig Ruhe bescheren zu können: »Es ist eine Frage der Solidarität«, erklärt Schmuli.

Iyad al Bayary lebt im Flüchtlingslager Dschebaljah in Gaza. Angst vor einer möglichen israelischen Bodenoffensive hat er nicht, obwohl bereits Dutzende Palästinenser ums Leben gekommen sind, die Mehrheit von ihnen Hamas-Aktivisten, die von Israel gezielt getötet wurden. »Diesmal greifen die Israelis keine Zivilisten an, sondern nur die Raketenbasen der Hamas«, ist sich Bayary, der als Aufseher der Krankenpflege im Gesundheitsministerium in Gaza arbeitet, sicher.

Zwar hat er seine Ehefrau und seine fünf Jahre alte Tochter vorsichtshalber zu Verwandten in Gaza-Stadt geschickt, falls die Israelis doch einmarschieren sollten. Aber er ist überzeugt, diesmal sei »alles anders, die Gleichung hat sich geändert«, so der 36-Jährige: »Die Israelis werden nicht kommen, der Widerstand ist zu stark geworden.«

Welten Voriges Wochenende hörte Itzik Schmuli in Tel Aviv zum ersten Mal seit 1992 Luftschutzsirenen. Jeden Tag schossen Palästinenser Raketen auf Israels größte Metropole. Auch Bayary sah die Bilder aus Tel Aviv, nur mit dem Unterschied, dass sie ihn stolz machen: »Ich bin kein Anhänger der Hamas«, beteuert er. »Aber zu sehen, wie Israelis in den Straßen Tel Avivs in Panik Deckung suchen, das ist ein tolles Gefühl. Endlich erfahren sie auch mal, was wir seit Jahren durchmachen.« Damit steht er nicht allein. Palästinenser betrachteten in Gesprächen am Wochenende ausnahmslos die Hamas als großen Gewinner des neuen Schlagabtauschs mit Israel.

Tel Aviv und Gaza sind nur 60 Kilometer voneinander entfernt, aber dennoch liegen Welten zwischen Itzik Schmuli und Iyad al Bayary.

Glosse

Auf, auf zum bewaffneten Kampf!

Eine deutsche Komikerin wechselte am Wochenende wieder einmal das Genre. Enissa Amani versuchte allen Ernstes, rund 150 Berlinern zu erklären, dass Nelson Mandela das Vorgehen der Hamas gegen Israel gutgeheißen hätte

von Michael Thaidigsmann  20.11.2025 Aktualisiert

Geiseln

»Alon – du bist nicht allein«

Der israelisch-deutsche Doppelstaatsbürger Alon Ohel spielt auf dem Klavier, das eigens auf dem Platz der Geiseln für ihn aufgestellt wurde

von Sabine Brandes  20.11.2025

Gaza-Gefangenschaft überleben

»Wut zerstört dich«

Der nach mehr als zwei Jahren aus der Hamas-Gefangenschaft entlassene Avinatan Or hat eine zutiefst bewegende und motivierende Rede über Resilienz gehalten. Eine Dokumentation

von Avinatan Or  20.11.2025

Gespräch

»Der Überlebenskampf dauert an«

Arye Sharuz Shalicar über sein neues Buch, Israels Krieg gegen den palästinensischen Terror und die verzerrte Nahost-Berichterstattung in den deutschen Medien

von Detlef David Kauschke  20.11.2025

Israel

Späte Aufklärung

Der Oberste Gerichtshof erwirkt einstweilige Verfügung gegen die politische Untersuchungskommission der Regierung

von Sabine Brandes  20.11.2025 Aktualisiert

Wetter

Hitzewelle im November

In Israel werden Temperaturen erwartet, die deutlich über dem jahreszeitlichen Durchschnitt liegen

 20.11.2025 Aktualisiert

Nahost

Israels Armee greift Hisbollah-Gebäude im Libanon an

Vor einem Jahr trat die Waffenruhe in Kraft. Nun wirft Israel der libanesischen Terrorgruppe vor, sich neu zu strukturieren und aufzurüsten

von Cindy Riechau  19.11.2025

Kommentar

Danke, Berlin!

Die Entscheidung der Behörden, einem Hamas-Fanboy die Staatsbürgerschaft zu entziehen, sendet ein unmissverständliches und notwendiges Signal an alle Israelhasser. Mit Mahnwachen allein können wir die Demokratie nicht verteidigen

von Imanuel Marcus  19.11.2025

Weltall

Studie: Viele ferne Planeten könnten über Wasser verfügen

Israelische und amerikanische Wissenschaftler gehen davon aus, dass diese Himmelskörper Wasser direkt in ihrem Inneren produzieren

 19.11.2025