Sie kommt immer erst nach Einbruch der Dunkelheit. Doch die, die auf sie warten, erkennen sie bereits von Weitem. Sie maunzen und schnurren, wenn sich die Frau mit den dicken Jackentaschen nähert, laufen auf sie zu, streichen um ihre Beine, sobald sie vom Fahrrad absteigt. Dina möchte ihren vollen Namen nicht nennen. Denn das, was sie tut, ist umstritten. Dina füttert Straßenkatzen in Tel Aviv.
»Bou, metukim scheli«, säuselt sie und streut Trockenfutter auf kleine Plastikteller, die sie in ihrem Fahrradkorb aufbewahrt: »Kommt her, meine Süßen.« Jeden Abend radelt sie durch den Süden der Stadt und ist dabei stets wachsam. Nicht alle, die sehen, was sie tut, sind ihr wohlgesinnt. »Oft muss ich mir anhören, dass ich mit dem Futter Ratten anlocke und die Gegend verschmutze.« Dina sieht das anders: »Wenn ich die Katzen fit und munter halte, verscheuchen sie die Ratten und anderes Ungeziefer. Und nur eine gut genährte Katze kann gesund sein.«
Städtische Tierpopulationen auf humane und effektive Weise managen
Laut einem Bericht des Knesset-Forschungs- und Informationszentrums aus dem Sommer streunen zwischen einer halben und 1,5 Millionen Katzen durch Israel. Die Politik steht vor der Herausforderung, die zumeist städtischen Tierpopulationen auf humane und effektive Weise zu managen. Eine Untersuchung der Hebäischen Universität Jerusalem, gefördert vom Ministerium für Landwirtschaft und Ernährungssicherheit, zeigt die komplexen und oft widersprüchlichen Einstellungen der Bevölkerung zu den Streunern auf vier Pfoten im Land. Viele füttern sie zwar regelmäßig, doch die Mehrheit befürwortet zugleich eine Reduzierung ihrer Zahl.
Auch unter denjenigen, die die Tiere füttern, befürworten viele eine Reduzierung ihrer Zahl.
Laut der Studie von Idit Gunther, Eyal Klement und Doron Levin von der Koret-Fakultät für Tiermedizin, an der etwa 700 Personen an öffentlichen Verkehrsknotenpunkten zwischen Metullah im Norden und Eilat im Süden teilnahmen, gaben 32 Prozent von ihnen an, dass sie im Vormonat streunende Katzen gefüttert hätten. Immerhin elf Prozent machten das sogar täglich. Dennoch waren 77 Prozent der Befragten, darunter viele, die die Vierbeiner versorgten, der Meinung, dass die Zahl der Tiere reduziert werden müsse. Die täglichen Fütterer allerdings sprachen sich überdurchschnittlich oft dagegen aus.
»Die Menschen füttern streunende Samtpfoten aus Mitgefühl«, weiß Gunther zu berichten. »Oft werden die Folgen jedoch nicht verstanden. Reichlich verfügbares Futter und die hohe Fortpflanzungsfähigkeit der Katzen führen zu Überpopulation. Das erzeugt Druck, Krankheiten werden schneller übertragen, und die Sterblichkeit steigt. Nicht nur aus Gründen des Tierschutzes ist das bedenklich, sondern auch das Risiko für die öffentliche Gesundheit und das städtische Ökosystem steigt.«
90 Prozent gegen Tötung der Katzen
Ihr Kollege Eyal Klement ist sich sicher: »Die Menschen wünschen sich humane Lösungen. Es braucht jedoch ein größeres öffentliches Bewusstsein dafür, wie sich das Fütterungsverhalten auf die Populationsdynamik auswirkt.« Obwohl eine Überpopulation von den meisten als problematisch erkannt wird, sprechen sich 90 Prozent gegen eine Tötung der Katzen als Kontrollmaßnahme aus. Zwar bewerten die Befragten Sterilisationsprogramme deutlich positiver, aber nicht mehrheitlich. »Es ist auffällig, dass religiöse Personen dabei deutlich zurückhaltender sind«, so der Jerusalemer Tiermediziner. »Das steht womöglich in Zusammenhang mit kulturellen oder religiösen Normen.«
Die Wissenschaftler empfehlen daher, dass Kommunen Sterilisationskampagnen mit gezielter Aufklärungsarbeit verbinden, insbesondere über den Zusammenhang zwischen Futterverfügbarkeit und Populationswachstum. Sie warnen davor, dass ohne die Bekämpfung dieses entscheidenden Faktors Bemühungen zur Kontrolle streunender Katzen langfristig nicht nachhaltig sein können.
Die öffentliche Meinung zu streunenden Katzen in Israel spiegelt weitgehend die in den USA und Teilen Europas zu beobachtenden Trends wider, wo ebenfalls das Mitgefühl parallel zur Sorge um die wachsende Zahl der Katzen besteht. In beiden Regionen werden Sterilisationsprogramme als Alternative zur Tötung weitgehend bevorzugt.
»Das Problem geht über veterinärmedizinische und ökologische Aspekte hinaus, weil es tief im Sozialverhalten von Menschen verwurzelt ist«, so das Fazit der Wissenschaftler. »Um die Überpopulation frei laufender Katzen einzudämmen, müssen die öffentliche Meinung und das alltägliche Verhalten mit ökologischen Gegebenheiten in Einklang gebracht werden. Ohne ein besseres Verständnis für das Problem werden selbst gut gemeinte Bemühungen scheitern.«
Einen besonderen Fokus legt die Studie auf die potenzielle Rolle von regelmäßigen Fütterern. »Viele von ihnen kümmern sich um mehrere Tiere, oft in unmittelbarer Nähe ihres Zuhauses, und leisten nicht selten medizinische Versorgung«, erklärt Klement. »Ihr Engagement könnte in die offiziellen Bemühungen zur Überwachung und Stabilisierung der Populationen sehr gut miteinfließen.«
Zusammenarbeit mit dem Tierarzt
Auch Dina zählt zu diesem Personenkreis. Denn sie tut mehr, als die Tiere nur zu füttern: »Immer wenn ich eine verletzte oder kranke Katze sehe, spreche ich mit meinem Tierarzt oder bringe sie direkt in die Praxis. Wir arbeiten eng zusammen.«
Manchmal nimmt sie ein Tier zum Gesundwerden sogar mit nach Hause. »Und so passiert es, dass hin und wieder aus der Straßenkatze ein Stubentiger wird«, sagt sie, zuckt mit den Schultern und steigt wieder auf ihr Fahrrad. Auf zur nächsten Station. Denn die hungrigen Streuner warten bereits auf sie.