Iran

Gerüchte und Drohungen

Ort des Anschlags: In der Nähe von Teheran ist am Freitag der iranische Top-Atomwissenschaftler Mohsen Fakhrizadeh ums Leben gekommen. Foto: imago images/ZUMA Wire

Waren wir es, oder waren wir es nicht? Diese Frage wird dieser Tage in Israel diskutiert. Nicht nur in den Fluren der Knesset, sondern ebenso auf Märkten, in Büros und den Schulen des Landes. Die anonyme Tötung des iranischen Top-Atomwissenschaftlers Mohsen Fakhrizadeh vor einigen Tagen wirft nicht nur Fragen auf, sondern lässt auch die Alarmglocken schrillen, dass das Regime in Teheran auf Vergeltung aus sein könnte. In Jerusalem sind sie besonders laut zu hören.

Das iranische Verteidigungsministerium hatte am vergangenen Freitag bestätigt, dass der Wissenschaftler in der Nähe von Teheran aus einem vorbeifahrenden Auto erschossen worden war. Es habe eine Schießerei mit seinen Bodyguards gegeben, während der er tödlich getroffen wurde. Die Nachrichtenagentur Fars gab Details bekannt: Angeblich wurde Fakhrizadeh von einem ferngesteuerten Maschinengewehr erschossen, das anschließend explodierte.

Experten sind sicher, dass der Iran auf irgendeine Weise reagieren wird.

Kurz nach der Tat beschuldigten iranische Offizielle »die Zionisten« und drohten den »Feinden der Islamischen Republik« mit »Zerstörung«. Stabschef Muhammad Bagheri sprach von einer »harten Vergeltung«.

MOSSAD Auch iranische Medien erklärten im Anschluss sofort, der israelische Geheimdienst Mossad stecke hinter dem Anschlag. Die Hardliner-Zeitung »Kayhan« wurde sogar konkret mit ihren Drohungen und forderte, als Vergeltungsakt Haifa anzugreifen. Premierminister Benjamin Netanjahu hatte Fakhrizadeh in einer Präsentation über das Atomprogramm vor zwei Jahren namentlich erwähnt. Heute ist aus Jerusalemer Regierungskreisen kein einziges Wort zu dem Anschlag zu vernehmen – keine Bestätigung, kein Dementi.

Während Teheran behauptet, das Atomprogramm diene ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken und der Wissenschaftler sei lediglich ein Hochschulprofessor, gehen westliche Geheimdienste schon lange davon aus, dass Fakhrizadeh hinter dem Atomwaffenprogramm des Iran steckt. 2018 hatte Israel Dokumente veröffentlicht, die zeigen, dass der Iran zumindest an einem bestimmten Punkt ein Waffenprogramm geplant hatte – und dass Fakhrizadeh darin involviert war.

»Über ihn persönlich ist wenig bekannt«, sagt der Kriminologe und Politikwissenschaftler Ardavan Khoshnood vom Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar-Ilan-Universität. Er sei 1957 oder 1958 in der religiösen Stadt Qom geboren worden, war verheiratet und hatte drei Söhne. Fakhrizadeh war Brigadegeneral der islamischen Revolutionären Garden (IRGC) und Professor für Nuklear-Ingenieurwesen. Er wird der Imam-Hossein-Unversität zugerechnet, die von den Garden geleitet wird.

VERSAGEN Auch Khoshnood geht davon aus, dass er der »Architekt des Nuklearprogramms« war, sein Alias bei der Regierungskommunikation sei »Dr. Hassan Mohseni« gewesen. »Wegen seiner bedeutenden Rolle in dem Programm wurde er 2013 in die ›Foreign Policy‹-Liste der 500 mächtigsten Menschen aufgenommen.« Der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) sei es nie erlaubt worden, ihn zu interviewen.

»Es wird angenommen, dass dies die fünfte Tötung eines Wissenschaftlers ist, der zum Atomprogramm des Iran gehört«, so Khoshnood. Der erste, Majid Shahriari, wurde 2010 getötet. Es folgten zwei Männer im Jahr darauf und einer 2012. »Und es gibt keinen Zweifel, dass alle Attentate ein grobes Versagen der Gegenspionage des Iran darstellen«, macht der Experte klar.
»Die Eliminierung von Fakhrizadeh war hochgradig professionell und gut geplant. Die Täter hatten gezieltes Wissen über die Sicherheitsvorkehrungen und seine Route. Wie kann das sein?«

Der Politikwissenschaftler zieht drei mögliche Szenarien als Antwort in Betracht: »Erstens ist es wahrscheinlich, dass die Gegenspionage schwach, unorganisiert und amateurhaft ist. Zweitens ist es möglich, dass die Technologie des Regimes so veraltet ist, dass Gegner wichtige Daten hacken können. Und drittens besteht der Verdacht, dass der heimische Geheimdienst unterwandert ist. Dann können die Informationen direkt an die Feinde weitergegeben werden.«

instabilität Die Tötung kommt in einer Zeit der Instabilität, während die US-Präsidentschaft im Umbruch ist. Der neu gewählte Präsident Joe Biden wird im Januar Präsident Donald Trump ablösen. Doch die Übergabe und die damit zusammenhängenden Sicherheitsabsprachen verlaufen alles andere als glatt, denn Trump weigert sich kategorisch, Biden miteinzubeziehen und ihm den Einzug ins Weiße Haus zu ebnen.

Trump hatte das Atomabkommen mit dem Iran verlassen, das die Obama-Regierung 2015 abgeschlossen hatte. Noch ist nicht klar, welche Politik Biden diesbezüglich verfolgen wird. Eine Instabilität, die das Regime in Teheran ausnutzen könnte.

In den vergangenen Jahren hatten sich Israel und verschiedene sunnitische arabische Staaten einander angenähert. Angespornt von einem gemeinsamen Feind: dem Regime in Teheran, dessen imperiale Pläne nicht nur Israel als existenzielle Bedrohung ansieht.

ABKOMMEN Nach den Normalisierungsabkommen mit Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten könnte auch Saudi-Arabien folgen. So zumindest hört man es aus Washington. Trumps Berater und Schwiegersohn Jared Kushner hatte mehrfach betont, dass die Saudis die Nächsten auf der Liste sein könnten, die Frieden mit dem jüdischen Staat schließen.

Vor einigen Tagen reisten israelische Top-Diplomaten, darunter Mossad-Chef Yossi Cohen, nach Saudi-Arabien. Und das, obwohl bislang zwischen den beiden Ländern keinerlei diplomatische Beziehungen bestehen – zumindest offiziell.

Die Onlinezeitung »Times of Israel« schreibt, es sei »so gut wie unmöglich, Fakhrizadeh zu ersetzen«. Es sei in der Tat ein Rückschlag und peinlich für die Islamische Republik, meint auch Khosnood. »Die Rufe nach Vergeltung sind laut. Das Regime wird im In- und Ausland reagieren müssen.«

verhaftungen Intern könnte es seiner Meinung nach sein, dass man in den kommenden Tagen oder Wochen die Verhaftungen von verschiedenen Individuen sehen wird. »In Übereinstimmung mit dem Modus Operandi des Regimes werden sie dann im Fernsehen vorgeführt. Sie gestehen, für den israelischen Geheimdienst zu arbeiten, und werden exekutiert.«

Im Ausland gebe es zwei Möglichkeiten: Gesicht wahren oder in den Krieg ziehen.

Im Ausland gebe es zwei Möglichkeiten: Gesicht wahren oder in den Krieg ziehen. »Es ist wahrscheinlicher, dass sie die erste Variante wählen.« Dabei, spekuliert Khoshnood, kann es sein, dass sie eine begrenzte Aktion starten, um zu zeigen, dass sie aktiv sind, zum Beispiel das Feuern einiger Raketen oder Granaten auf Israel durch ihre Stellvertreter Hamas im Gazastreifen oder Hisbollah im Libanon. Eine andere – und viel gefährlichere – Option könnten Attacken auf israelische Einrichtungen im Ausland sein, etwa Botschaften. Auch könnte die Hisbollah kraftvollere Raketen gen Israel senden.

»Das ist allerdings eher unwahrscheinlich, denn es würde den Iran an den Rand eines vollen Krieges bringen, und das will das Regime derzeit nicht«, ist Khoshnood sicher. »Doch irgendetwas wird passieren. Denn nichts zu tun, ist für sie keine Option.«

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