Mehr als zwei Jahre nach Beginn des Krieges in Israel und Gaza schlägt Israels Verteidigungsestablishment Alarm: Ohne eine deutliche Aufstockung des Verteidigungsetats bliebt die Armee (IDF) auf einen möglichen Mehrfrontenkrieg unzureichend vorbereitet.
Nach Informationen von »ynet« warnt die Armeeführung in einem internen Schreiben an das Finanzministerium, dass die aktuellen Bestände, Produktionskapazitäten und logistischen Reserven »nicht ausreichen, um eine längere militärische Konfrontation zu tragen«.
Die Kritik richtet sich insbesondere an die jahrelange Kürzung des Verteidigungshaushalts im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt. Seit dem Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 habe sich die Lage dramatisch verschärft, da sich der Konflikt weit über die ursprünglichen Einsatzszenarien hinaus ausgedehnt habe.
Langfristige Aufbauphase
Statt der geplanten zwei Fronten – Gaza und Libanon – habe sich die Armee inzwischen auf acht Einsatzräume einstellen müssen. Allein zur Nachversorgung seien über 900 fremde Frachtflugzeuge und 150 Transportschiffe eingesetzt worden, überwiegend aus den USA.
Führende Offiziere erklärten laut »ynet«, die IDF müssten dringend vom reinen Wiederauffüllen der Bestände zu einer langfristigen Aufbauphase übergehen. Dazu gehöre die Anschaffung moderner Panzer, Kampfhubschrauber, Präzisionsmunition, Abfangsysteme und weiterer gepanzerter Fahrzeuge.
»Wir müssen in die nächste Entwicklungsstufe übergehen – in Systeme, die auch künftige Bedrohungen abwehren können. Ein einziger Arrow-3-Abfangkörper kostet rund 2,8 Millionen Euro und braucht Monate bis zur Auslieferung«, sagte ein ranghoher Militär.
Etat überlastet
Doch im Finanzministerium, unter der Leitung von Bezalel Smotrich, stößt dieser Kurs auf Widerstand. Die Beamten argumentieren, der Verteidigungsetat sei bereits durch bestehende Verträge überlastet. Allein für 2026 seien Ausgaben von rund 100 Milliarden Schekel (etwa 28 Milliarden Euro) fest eingeplant – ohne die laufenden Kosten für Gaza-Einsätze und Grenzsicherung. Allein die Aufrechterhaltung der Reservekräfte verschlinge Schätzungen zufolge 20 Milliarden Schekel, also etwa 5,6 Milliarden Euro pro Jahr.
Zudem beobachten israelische Sicherheitsgremien mit Sorge neue Entwicklungen in der Region. Neben der weiterhin angespannten Lage im Libanon und im Gazastreifen bereitet ihnen vor allem die wachsende türkische Präsenz in Syrien Sorgen. Eine sicherheitspolitische Kommission unter Leitung von Prof. Yaakov Nagel warnte, dass Ankara verstärkt auf islamistische Milizen setze, die sich in Grenznähe zu Israel festsetzen könnten.
Die Experten empfahlen außerdem den Bau einer zusätzlichen Grenzbarriere zu Jordanien, um mögliche Instabilität im Nachbarstaat einzudämmen – ein Projekt, das rund fünf Milliarden Schekel, also etwa 1,4 Milliarden Euro kosten könnte.
»Gaza ist brüchig«
Ein hochrangiger Sicherheitsvertreter fasste die Lage so zusammen: »Frieden ist nicht ausgebrochen. Der Iran erholt sich von seinen Verlusten, der Waffenstillstand in Gaza ist brüchig, im Libanon gibt es tägliche Angriffe, die Türkei schaut nach Syrien, die Ostgrenze ist durchlässig und das Westjordanland brodelt.«
Innerhalb des Generalstabs heißt es, die derzeitigen Zusatzmittel reichten bei weitem nicht aus, um die strukturellen Versäumnisse der vergangenen Jahre auszugleichen. »Die Lehren aus dem 7. Oktober betreffen nicht nur diese Nacht. Sie sind das Ergebnis jahrelanger strategischer Fehleinschätzungen. In diese Denkweise dürfen wir nie zurückfallen«, betonte ein General gegenüber »ynet«. im