Der Kanzler war angetreten, um die stark belasteten deutsch-israelischen Beziehungen wieder in jenen Status zurückzuversetzen, der sowohl in Berlin als auch in Jerusalem traditionell mit der Vokabel »unverbrüchlich« beschrieben wird. Der Unionspolitiker Roderich Kiesewetter brachte es wenige Tage vor Friedrich Merz‘ erstem Besuch in Israel als Bundeskanzler auf den Punkt, als er forderte, dass dieser nun jenes Porzellan wieder kitten müsse, das er zuvor möglicherweise irreparabel zerschlagen hatte.
Zur Erinnerung: Das bilaterale Verhältnis hatte massiv gelitten, nachdem es im August dieses Jahres mit Friedrich Merz ausgerechnet ein CDU-Kanzler war, der gegen Israel ein Rüstungsembargo verhängt hatte und Jerusalem im Kampf gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas jene Unterstützung verwehrte, die es verdient hätte und auf die der jüdische Staat auch – politisch womöglich mehr noch als militärisch – angewiesen ist. Quasi im Alleingang, wohlgemerkt zum Entsetzen auch seiner eigenen Partei, die ihm vorwarf, die Sicherheit Israels als deutsche Staatsräson auf dem Altar der Meinungsumfragen und auf Druck des sozialdemokratischen Koalitionspartners SPD geopfert zu haben.
Merz versuchte, in Israel keine Fehler zu begehen
Ausgerechnet Merz also, der im politischen Berlin als mitunter ebenso unbeherrscht wie impulsiv gilt, versuchte nun bei seiner ersten Reise alles richtig zu machen oder zumindest keinen Fehler zu begehen. Um nicht die Israelis zu verprellen, erteilte er der SPD mit ihrer Forderung, auch die Palästinensergebiete zu besuchen, eine klare Abfuhr.
Zum Ausgleich betonte er zum Auftakt seiner zweitägigen Nahost-Reise in Akaba nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II.: »Wir müssen den Weg zur palästinensischen Staatlichkeit offenhalten. Es darf keine Annexionsschritte im Westjordanland geben.« Die Lage im Westjordanland dürfe nicht aus dem Blick geraten, so Merz. Und schickte sogleich die Botschaft in Richtung Jerusalem hinterher: Die Hamas müsse endlich die Waffen niederlegen und demilitarisiert werden. »Wir müssen dem Terror der Hamas endgültig die Grundlage entziehen.«
Merz schlägt einen anderen Ton an als die alte Ampel-Bundesregierung und Ex-Außenministerin Annalena Baerbock.
Und tatsächlich war es auch in Israel selbst ein neuer Sound, den Merz an den Tag legte. Besonders im Vergleich zur alten Ampel-Bundesregierung, in der vor allem Ex-Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) während des 7-Fronten-Kriegs, in dem Israel sich nach dem Überfall der Hamas plötzlich wiederfand, keine Gelegenheit ausließ, Israel zu belehren und international politisch zu isolieren, wohingegen Druck von ihr und der Regierung auf die Hamas samt ihren Unterstützern Iran, Katar und der Türkei weitgehend ausblieb.
Bei seinem Treffen mit Israels Staatspräsidenten Herzog am Samstagabend stellte Merz denn auch direkt zu Beginn klar: Deutschland stehe bis heute fest an der Seite Israels, »insbesondere nach dem schrecklichen Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023«. Israel habe das Recht, sich selbst zu verteidigen. Und weiter: »Deutschland wird immer an der Seite dieses Landes stehen.«
Klarer geht es kaum.
Dass dieses Versprechen in den gemeinsamen westlichen Werten einerseits sowie in der deutschen Geschichte anderseits gründet, machte Merz in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem deutlich. Dort rief er das Schicksal der während der Nazi-Diktatur ermordeten sechs Millionen Juden in Erinnerung – und versprach: »Hier, in Yad Vashem ist mit Händen zu greifen, welche bleibende historische Verantwortung Deutschland trägt. Deutschland muss für die Existenz und die Sicherheit Israels einstehen. Das gehört zum unveränderlichen Wesenskern unserer Beziehungen, und zwar für immer.«
Beim Treffen mit Netanjahu gab es für Merz viel zu verlieren
Sichtlich nervös und angespannt wirkte Merz wenige Stunden später bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Prime Ministers Office in Jerusalem. Öffentliche Treffen mit Netanjahu gelten unter Diplomaten international als Königsdisziplin der Staatskunst. Zu gewinnen gibt es bei Treffen mit ihm nichts, zu verlieren dagegen oftmals schon.
Der ausgebuffte Machtpolitiker, der insgesamt auf mehr als 18 Amtsjahre zurückblickt, ist berüchtigt dafür, sein Gegenüber vor laufenden Kameras zu überraschen und die zuvor von den Delegationen verabredeten Statements in seinem Sinne zu verändern.
Doch auch dieses Treffen verlief ohne große Überraschungen. Pflichtschuldig wies Merz darauf hin, dass es für langfristigen und dauerhaften Frieden in Nahost eine Zweistaatenlösung braucht, auch wenn er diese – anders als etwa Macron in Frankreich oder Starmer in Großbritannien – am Ende von Verhandlungen sehe und nicht als Ausgangspunkt für neue Verhandlungen im Friedensprozess. Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch Deutschland seien nicht gegeben, stellte Merz klar.
Es waren Worte, die Netanjahu nur allzu gerne gehört haben wird. Zwar sieht Netanjahu wie Merz »Gelegenheiten für Frieden« in der Region, zugleich lehnt er einen unabhängigen palästinensischen Staat strikt ab. »Wir werden keinen Staat vor unserer Haustür schaffen, der sich unserer Zerstörung verschrieben hat.« Ein Argument, dem inoffiziell auch der ein oder andere in Merz‘ Delegation nicht mit der allergrößten Verve widersprechen konnte.
Dann trug Merz seine Kernbotschaft, abgelesen vom Sprechzettel, in mehreren Variationen vor. »Ich komme als ein Freund des Landes, als ein Freund Israels.« Offensichtlich wollte er sicherstellen, dass seine wichtigste Nachricht dieser Reise auch bei wirklich jedem ankommt.
Ein Besuch Netanjahus in Berlin steht nicht an
Blieben noch die heiklen Fragen nach den Siedlungen und nach einem Besuch Netanjahus in Berlin, gegen den wegen angeblicher Kriegsverbrechen ein Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) vorliegt. Doch auch hier gab es keinen Konflikt zwischen Merz und Netanjahu, nur kalten Dissens und eine Antwort, die keine Antwort war.
Die Kurzfassung: Berlin verurteilt den Siedlungsbau im Westjordanland, während Jerusalem verurteilt, dass Berlin israelische Innenpolitik kommentiert.
Und ein Besuch Netanjahus in Berlin, so Merz, steht vorerst nicht zur Debatte.
»Laden Freunde einander nicht ein?«, fragte nach der Pressekonferenz ein israelischer Journalist rhetorisch.
Noch kurz nach seinem Amtsantritt hatte er seine Bereitschaft erklärt, Netanjahu einen Besuch zu ermöglichen. »Grundsätzlich muss ein israelischer Premierminister nach Deutschland reisen können«, sagte Merz Mitte Mai. »Er ist ein demokratisch gewählter Ministerpräsident der einzigen Demokratie der gesamten Region. Dieser Ministerpräsident muss grundsätzlich nach Deutschland reisen können. Wie wir das ermöglichen, wenn es denn geplant werden sollte, darüber werden wir Sie dann rechtzeitig informieren.«
Davon wollte Merz nun nichts mehr wissen – und wiederholte bei seiner Reise mehrmals, dass sich die Frage eines Berlin-Besuchs des israelischen Regierungschefs momentan nicht stelle. »Laden Freunde einander nicht ein?«, fragte nach der Pressekonferenz ein israelischer Journalist rhetorisch.
Hat Merz also sein Ziel erreicht, die durch sein Teil-Embargo schwer belasteten deutsch-israelischen Beziehungen zu verbessern? In Maßen: durchaus. Der Kanzler hatte sich im Griff. Er hielt sich an seine Manuskripte, weder sein Temperament noch Netanjahus Unberechenbarkeit durchkreuzten sein Vorhaben. Die Reise nach Jerusalem sei vorab »fein kalibriert« worden, hieß es aus Merz‘ Umfeld. Und der Kanzler sei weder in die eine noch in die andere Richtung abgewichen.
Doch von »unverbrüchlichen« Beziehungen wie vor dem Rüstungsstopp mochte nach dem Antrittsbesuch von Friedrich Merz – nicht nur, aber auch wegen der fehlenden Gegeneinladung Netanjahus nach Berlin, mit der der Kanzler für einen Neustart der bilateralen Beziehungen wirklich etwas riskiert hätte – keiner in der israelischen Delegation sprechen. Eher von einem zarten Neuanfang.