Sheba-Klinik

Ein Ort der Wunder

Aaron wurde als Reservist in Gaza von Kugeln und Granatsplittern getroffen. Foto: Sabine Brandes

Für Vardi Rubin geschehen Wunder jeden Tag. »Wenn ein schwer verletzter Soldat wieder laufen kann, mit seinen Händen greift, einen Ball wirft und fängt, dann ist das oft ein echtes Wunder.« Rubin ist die Leiterin der Physio- und Beschäftigungstherapie im Rehabilitationszentrum »Returning to Life« des Sheba Medical Centers. Das Krankenhaus in Ramat Gan im Zentrum Israels ist das größte des Landes. Jetzt wurde es zum achtbesten der Welt gekürt.

Obwohl es bereits das siebte Jahr in Folge unter die besten zehn Hospitäler kam, hatte es zuvor noch nie ein israelisches Krankenhaus auf einen so hohen Platz im Ranking von »Newsweek« und »Statista«, den führenden Anbieter von Branchenrankings, geschafft.

Juden, Muslime und Christen werden von den Ärzten versorgt. Politik bleibt draußen.

»Diese Auszeichnung steht für Shebas Entschlossenheit und Widerstandsfähigkeit in einer turbulenten Region. Sie ist ein Beweis für unseren unermüdlichen Einsatz, jährlich fast zwei Millionen Menschen – Juden, Muslime und Christen – innovative Gesundheitsversorgung zu bieten«, so Generaldirektor Yitshak Kreiss. »Als Flaggschiff des nationalen Gesundheitssystems in Israel ist es unsere Pflicht, medizinische Versorgung von höchster Qualität zu bieten.«

Im vergangenen Jahr startete Sheba ein ehrgeiziges KI-Programm im gesamten Krankenhaus, das das israelische Gesundheitssystem und die Zukunft der Gesundheit verändern soll.

KI und Koexistenz

Doch die Klinik hat sich nicht nur der KI, sondern auch der Koexistenz verschrieben. Trotz des Krieges und der immer wieder aufflammenden Konflikte zwischen Arabern und Juden ist es eine Oase des friedlichen Zusammenlebens. »Sobald die Menschen das Krankenhaus betreten, lösen sich alle Grenzen auf«, ist sich Pressesprecher Steve Walz sicher. »Wir sehen über religiöse und politische Unterschiede hinweg und konzentrieren uns ausschließlich auf die Behandlungen und Patienten. Politik bleibt draußen.«

Sheba ist nicht nur ein einzelnes Krankenhaus, es hat die Größe einer Kleinstadt. Auf seinem Areal sind in sechs Krankenhäusern 120 Abteilungen und Kliniken untergebracht. Dazu gehören auch eine unterirdische fünfstöckige Einrichtung für den Kriegsfall, ein Hotel und Einkaufszentrum sowie ein Landeplatz für Militärhubschrauber. Hier sind in den vergangenen Wochen immer wieder freigelassene Geiseln angekommen.

Kurz nach Beginn des Krieges wurde der zweite Stock des geriatrischen Krankenhauses in das Rehabilitationszentrum »Returning to Life« (Zurück ins Leben) für Kriegsopfer umgewandelt. Bis heute hat Sheba dort mehr als 600 Zivilisten und Soldaten rehabilitiert. Derzeit sind hier etwa 70 Menschen in Behandlung.

Man sieht sie überall: auf dem Balkon beim Rauchen oder Kaffeetrinken mit Familie und Freunden, auf dem Sofa der Fernsehecke, in den Rehazimmern. Die jungen Männer laufen mit Krücken oder fahren im Rollstuhl, viele haben Gliedmaßen verloren und müssen sich neue Fähigkeiten aneignen, um ihr Leben weiterzuführen.

Ein langer, schmerzvoller und zermürbender Prozess

Vardi Rubin ist mit ihrer positiven Ausstrahlung der gute Geist der Abteilung. Inmitten von Trainings- und Rehabilitationsgeräten erklärt sie, dass es für viele der Soldaten ein langer, schmerzvoller und zermürbender Prozess sei. »Sie sind durch die Hölle gegangen. Aber sie haben es überlebt und kehren ins Leben zurück.« Dann lächelt sie. Es sei »ein ganz persönliches Anliegen, jedem Einzelnen dabei zu helfen«.

Viele Räume sind mit Videospielsystemen ausgestattet, um die kognitiven Fähigkeiten zu trainieren. Tägliche Kurse und Aktivitäten wie Yoga und Kochen sollen den Patientinnen und Patienten helfen, in einer ganzheitlichen und positiven Umgebung die Kontrolle über Körper und Geist zurückzuerlangen. Neben Soldaten werden hier immer noch Überlebende des Hamas-Massakers auf dem Nova-Festival behandelt.

Israel Dudkiewicz, Chef der Soldatenrehabilitation des Zentrums, hat die verschiedensten Traumata »von Kopf bis Fuß« gesehen. Die größte Herausforderung sei aber weniger die Behandlung selbst als vielmehr »den Soldaten das Gefühl zu geben, dass wir uns um sie kümmern und ihnen echte Chancen bieten, ihr Leben wieder eigenständig leben zu können«.

Dazu brauche es mehr als Physiotherapie und die Behandlung von Depressionen, weiß er. »Es geht auch um die vielen Dinge dazwischen, die nicht offensichtlich sind.« Aus diesem Grund treten regelmäßig Entertainer auf, und es sind ständig zahlreiche Freiwillige im Einsatz, um die Station zu einem angenehmen, hoffnungsvollen Ort zu machen.

Hier wurden auch Geiseln nach ihrer Freilassung behandelt.

In der Fernsehecke sitzt Aaron, ein 33-jähriger Reservist. Ursprünglich aus den USA, hatte er kurz vor seiner Einberufung geheiratet. Ein Bein ist bandagiert, neben ihm auf dem Sofa liegt eine Krücke. Jeden Tag verbringt er bis zu sechs Stunden mit Beschäftigungs-, Physio-, Hydro-, Psychotherapie und sogar virtueller Realität. Alles, um sich von dem schweren Trauma zu erholen, das er im Krieg erlitt. »Auch wenn es oft höllisch wehtut … Ich bin sehr dankbar für die wirklich unglaubliche Menge an Behandlungen, die uns die Menschen hier ermöglichen.«

Am 30. Oktober 2023 entsandte man Aaron nach Gaza, und schon kurz darauf wurde seine Einheit aus dem Hinterhalt von Hamas-Schützen überfallen. Aaron erlitt dabei gleich mehrere lebensgefährliche Verletzungen: Granatsplitter steckten in Hüfte und Rücken, eine Kugel in seinem linken Bein und eine weitere in seinem rechten, die dort acht Zentimeter Knochen zerstörte. Obwohl Aaron noch versuchte, den Leiter seiner Einheit unter Beschuss in Sicherheit zu zerren, überlebte dieser den Anschlag nicht.

Aaron verlor daraufhin das Bewusstsein und wurde von Kameraden gerettet. Schließlich flog man ihn mit dem Hubschrauber ins Sheba-Krankenhaus. Jede Sekunde zählte, doch die Mediziner retteten nicht nur sein Leben, sondern auch beide Beine. Und das ist für Aaron »nicht nur nicht selbstverständlich – das ist ein echtes Wunder«.

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