Internationaler Strafgerichtshof

»Diese Entscheidung ist wirklich falsch«

Der Internationale Strafgerichtshof hat seinen Sitz im niederländischen Den Haag. Foto: imago/Peter Seyfferth

Das Urteil aus Den Haag kam am Freitagnachmittag, pünktlich zu Beginn des Schabbats, und es war ein Paukenschlag: Eine aus drei Richtern bestehende Kammer des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) kam mehrheitlich zu dem Schluss, das Palästina als unabhängiger Staat nach dem Völkerrecht anzusehen sei, und dass alle seit dem Sechstagekrieg 1967 von Israel besetzten Gebiete im Westjordanland und im Gazastreifen Teil dieses Staates seien.

GAZA-KRIEG Schon vor sechs Jahren, am 1. Januar 2015, hatten die Palästinenser den Gerichtshof angerufen, um mutmaßliche Verbrechen zu untersuchen, die »in den besetzten palästinensischen Gebieten, einschließlich Ost-Jerusalems, seit dem 13. Juni 2014« angeblich begangen worden waren. Auslöser war damals der Krieg in Gaza zwischen der Hamas und Israel.

Kurze Zeit später ratifizierte die Palästinenserführung das Römische Statut, die Rechtsgrundlage des IStGH, und trat damit dem Gericht bei. Israel – gemeinsam mit zahlreichen anderen Ländern, darunter die USA und Indien – erkennt den IStGH dagegen nicht an und ist von seiner Rechtsprechung daher nur indirekt betroffen.

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Bereits zwei Wochen nach Eingang des Antrags der Palästinenser begann die Staatsanwaltschaft am IStGH mit einer vorläufigen Prüfung der Zuständigkeit des Gerichts. Am 20. Dezember 2019 gab die Chefanklägerin des Gerichts, Fatou Bensouda aus Gambia, bekannt, dass nach gründlicher und objektiver Bewertung aller Informationen, die ihr zur Verfügung stünden, die vorläufige Untersuchung mit der Feststellung abgeschlossen werde, dass alle notwendigen Kriterien für die Einleitung einer Untersuchung erfüllt seien und sie Ermittlungen gegen Israel und die Hamas wegen möglicher Kriegsverbrechen plane. Allerdings bat Bensouda das Gericht, angesichts der besonderen Situation vor Einleitung etwaiger Ermittlungen über die territoriale Zuständigkeit des IStGH zu entscheiden.

WIDERSPRUCH Diese Entscheidung fällte die zuständige Kammer des Gerichts in Den Haag am vergangenen Freitag mit zwei Richterstimmen gegen eine. Der Kammervorsitzende, der Ungar Péter Kovács, verfasste eine abweichende Meinung, in der er harsch mit den Argumenten seiner beiden Kollegen ins Gericht ging.

Auch bei einem am Mittwoch von der Europe-Israel Press Association (EIPA) veranstalteten Webinar waren sich die Experten einig, dass die Entscheidung des Strafgerichtshofs, obschon sie nur einen Zwischenschritt in einem laufenden Verfahren darstelle, hochproblematisch sei.

Pnina Sharvit Baruch vom Think Tank INSS, einst als Juristin für den Generalanwalt der israelischen Armee tätig, sagte, das Gericht habe sich wenig Mühe gegeben, das Völkerrecht zu analysieren, sondern stattdessen einseitig den Palästinensern zugesprochen, dass die 1967 von Israel besetzten Gebiete Teil ihres Staatsgebiets seien. Das stehe im Widerspruch zu den Oslo-Verträgen zwischen Israel und der PLO aus den 90er-Jahren, die ausdrücklich das Westjordanland in bestimmte Hoheitszonen einteilte.

OSLO Für die Mehrheit der Kammer seien die Oslo-Verträge irrelevant für die Entscheidungsfindung gewesen, so Baruch. »Diese Entscheidung ist wirklich falsch.« Im Urteil der Kammer heißt es, über die Frage, inwieweit die Oslo-Verträge anwendbar seien, müsse gesondert entschieden werden.

Gefragt, ob sie besorgt sei über mögliche negative Konsequenzen für Israel und sein Militär, sagte Pnina Sharvit Baruch: »Wenn ich Vertrauen in das System hätte, wäre ich nicht so besorgt. Das Problem ist: Ich glaube nur nicht, dass es die richtigen Antworten produziert.«

Eugene Kantorovich, Professor an der George Mason’s Antonin Scalia School of Law, brachte das Urteil der Richter süffisant auf den Punkt: »Israel ist der einzige Nicht-Mitgliedsstaat, der auf Betreiben eines IStGH-Mitglieds untersucht wird, das selbst kein Staat ist.« Zudem lege das Gericht an Israel ganz andere Maßstäbe an als zum Beispiel an Russland (ebenfalls kein IStGH-Mitglied) und dessen Verhalten auf der Krim.

GEMEINSAMER NENNER »Das Gericht fängt langsam aber sicher an, wie eine juristische Version des UN-Menschenrechtsrats zu operieren«, sagte Kantorovich. In den 20 Jahren seines Bestehens habe der IStGH gerade einmal neun Personen verurteilt – der Strafgerichtshof sei keine Erfolgsstory, und sogar viele seiner einstigen Fürsprecher seien enttäuscht. Der IStGH schiele in dieser Situation auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, auf den sich die meisten Länder weltweit einigen könnten. Und der sei Israel.

Kantorovich: »Eigentlich hätte der IStGH eine unabhängige juristische Würdigung, ob Palästina ein Staat ist, vornehmen müssen. Stattdessen nimmt man einfach die Erklärungen der UN-Vollversammlung, welche das so behaupten.«

Der aus Australien stammende Jurist Andrew Tucker, der seit Jahrzehnten als Berater in Den Haag tätig und dort das Centre for International Law and Public Policy in the Middle East leitet, sagte, der Anklägerin Bensouda gehe es offenbar nicht nur um die Untersuchung möglicher Kriegsverbrechen im Gazakonflikt, sondern auch um die israelische Siedlungspolitik.

FALSCHE PRÄMISSE Tucker zeigte sich beim EIPA-Webinar auch verwundert darüber, dass das Gericht zwar renommierte Experten und Staaten eingeladen habe, ihre Rechtsauffassungen zu der Frage zu übermitteln, mehr als ein Jahr über die Frage beraten haben und dann zu diesem Schluss gekommen sei. »Es gibt da eine bedenkliche Tendenz anzunehmen, dass UN-Resolutionen identisch sind mit internationalem Recht.« Dem sei nicht so.

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Sieben Staaten – darunter Deutschland – hatten in ihren Amicus-Curie-Stellungnahmen die Auffassung kundgetan, dass Palästina keine eigene Staatlichkeit besitze und deshalb das Haager Gericht auch nicht zuständig sei.

Dieser Auffassung folgten die Richter mehrheitlich nicht. Außenminister Heiko Maas kritisierte denn auch das Urteil. Auf Twitter schrieb er am Dienstag, die Auffassung des Gerichts sei juristisch falsch. Andere Regierungen, darunter die ungarische, äußerten sich ähnlich. Australiens Außenministerin Marise Payne erklärte, ihr Land werde einen »Staat Palästina« nicht anerkennen. Das könne nur nach direkten Friedensverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern passieren.

Wie es nun weiter gehe, stehe aber noch in den Sternen, betonte Andrew Tucker. »Einige Staaten werden sich wahrscheinlich aus dem IStGH zurückziehen. Das könnte eine Pandorabüchse öffnen.« Für Heiko Maas ist aber eindeutig: Deutschland steht weiterhin zum IStGH. Das stellte er in einem zweiten Tweet klar.

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