Justizreform

Die schwierige Suche nach Einigung

Seit Wochen scheint es in Israel nur noch ein Thema zu geben: den Streit um die geplante Justizreform. Das ganze Land scheint sich gespalten zu haben in zwei Lager, die einander unversöhnlich gegenüber stehen: die Gegner der Reform, die Opposition in der Knesset und die Demonstranten auf den Straßen, die vor der Zerstörung der Gewaltenteilung warnen, der Unterjochung von Minderheiten und dem Ende der Demokratie; und die Regierung, die die Protestler Anarchisten und schlechte Verlierer schimpft. So hoch kochen dieser Tage die Emotionen, dass manche Beobachter das Schreckensszenario eines Bürgerkrieges an die Wand malen.

In den kommenden Wochen will die Regierung ihre mehrteilige Justizreform durch die Knesset bringen. Dass die beiden Lager sich vorher auf einen Kompromiss einigen könnten, scheint kaum vorstellbar. Und doch gibt es Menschen, die darauf hinarbeiten.

dialog Den am meisten beachteten Versuch, Regierung und Opposition zu einem Dialog zu bewegen, startete Präsident Isaac Herzog. Viele Wochen arbeitete er mit erfahrenen Juristen an einem eigenen Reformentwurf, der als Grundlage für einen Kompromiss dienen sollte.

In den kommenden Wochen will die Regierung ihre mehrteilige Justizreform durch die Knesset bringen.

Die von der Regierung geplante Reform sieht unter anderem eine Schwächung des Obersten Gerichtshofes vor. Bisher kann das Gericht Gesetzesvorhaben für ungültig erklären, wenn sie den israelischen Grundgesetzen widersprechen. In Zukunft soll eine einfache Mehrheit im Parlament einen solchen Beschluss aufheben können. In der Folge gäbe es keine Institution mehr, die die Beschlüsse einer knappen politischen Mehrheit aufhalten könnte. Kritiker fürchten eine »Tyrannei der Mehrheit«, wie es etwa Yohanan Plesner ausdrückt, der Präsident des Israel Democracy Institute, eines liberalen Thinktanks.

Des Weiteren will die Regierung die Besetzung der Komitees verändern, die Richter ernennen: Vertreter der Regierung sollen dort in Zukunft die Mehrheit stellen. Kritiker fürchten, dass die Maßnahme ehrgeizige Juristen dazu bewegen könnte, um die Gunst der Regierung zu werben – zum Vorteil Netanjahus, gegen den weiterhin ein Verfahren wegen Verdacht auf Betrug, Bestechlichkeit und Untreue läuft.

befürworter Die Befürworter der Reform beklagen dagegen, dass der Oberste Gerichtshof sich in den Neunzigerjahren eigenmächtig die Freiheit genommen habe, Gesetze auf ihre Kompatibilität mit Israels Grundgesetzen zu prüfen. Dabei habe das Gericht den Grundgesetzen den Rang einer Quasi-Verfassung gegeben, was ursprünglich nicht vorgesehen war.

Zudem seien die Richter am Obersten Gerichtshof Vertreter einer aschkenasischen, also europäischstämmigen Elite, die zu linken und säkularen Positionen neige und deshalb die Belange sefardischer und gläubiger Juden häufig übersehe. Eine kleine, privilegierte Gruppe bediene sich des Gerichtshofes, um Politik entgegen den Interessen einer eher traditionellen und rechtsorientierten Mehrheit zu machen, heißt es.

»Erzählen Sie mir nicht, Sie seien ein Beschützer der Minderheiten«, sagte der Knessetabgeordnete Simcha Rothman, einer der Architekten der Reform, im Februar einem Reporter der Zeitung Haaretz. »Sie schützen Ihr Privileg als aschkenasischer, säkularer Linker aus Tel Aviv.«

HÜRDE In seinem Kompromissvorschlag, den Herzog Mitte März der Öffentlichkeit vorstellte, versuchte der Präsident, die Beschwerden der Regierung zu adressieren und zugleich die Balance zwischen den drei Gewalten zu bewahren. So erhöht der Entwurf die Hürde, die der Oberste Gerichtshof nehmen muss, um ein Gericht für ungültig zu erklären; in Entscheidungen, die Grundgesetze betreffen, soll das Gericht sich wiederum gar nicht einmischen dürfen.

Und die Zahl der Regierungsvertreter in den Komitees, die für die Richterernennung zuständig sind, würde zwar steigen, doch könnten Entscheidungen nur mit breitem Konsens getroffen werden. »Der Vorschlag erfüllt die wichtige Anforderung, das Justizsystem vielfältiger zu gestalten, sodass die verschiedenen Stimmen Israels daran beteiligt sein werden«, sagte Herzog bei der Vorstellung seines Planes.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sieht das anders: Er lehnte den Vorschlag kurz vor dessen Veröffentlichung ab. »Wichtige Elemente darin erhalten die derzeitige Situation nur aufrecht«, ließ er verlauten. Bildungsminister Yoav Kisch wiederum kritisierte, der Entwurf enthalte »nicht ein Minimum der nötigen Balance« zwischen den drei Gewalten.

entwurf Oppositionsführer Yair Lapid und andere Politiker der Gegenseite begrüßten die Initiative des Präsidenten. Als Diskussionsgrundlage scheint der Entwurf fürs Erste jedoch auszufallen.

Es gibt erste Zeichen einer wachsenden Kompromissbereitschaft in der Koalition.

Nichtsdestotrotz gab es zuletzt erste Zeichen wachsender Kompromissbereitschaft in den Reihen der Koalition. David Biton, ein Abgeordneter der Likud-Partei Netanjahus, sprach sich vor einigen Tagen in einem Radiointerview dafür aus, die Reformpläne vorübergehend auf Eis zu legen. »Wir brauchen diese Zeit, um eine Pause einzulegen und uns untereinander zu beraten«, sagte er. »Wir müssen innehalten und zuhören.«

Und auch Netanjahu selbst signalisiert seit Kurzem Flexibilität. Am Montag verkündete er eine Änderung jener Pläne, die die Komitees zur Ernennung von Richtern betreffen. Dem neuen Entwurf zufolge würden Vertreter der Regierung noch immer eine Mehrheit stellen, sie fiele jedoch kleiner aus als ursprünglich vorgesehen.

Yair Lapid bezeichnete den neuen Vorschlag dennoch als »feindliche politische Übernahme des Justizsystems«. Und mehrere Organisatoren der Anti-Regierungs-Proteste nannten den Entwurf in einer gemeinsamen Erklärung gar eine »Kriegserklärung an die israelische Demokratie«.

kapitulation Selbst aus seiner eigenen Partei schlug Netanjahu Kritik entgegen. »Das ist kein Kompromiss, das ist eine Kapitulation«, schimpfte die Likud-Abgeordnete Tali Gottlieb in einem Radiointerview. Auch andere Vertreter der Koalition äußerten sich ablehnend.

Von einer Einigung scheinen die beiden Lager noch weit entfernt. Doch wenigstens eine kleine Atempause kündigt sich an: Anfang April wird das Parlament für vier Wochen pausieren. In der aktuellen Lage könnte das allen Beteiligten guttun.

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