Jerusalem

Attentat bei der Gay Pride Parade

Nach dem Attentat auf der Gay Pride Parade in Jerusalem Foto: Flash 90

Eben noch ausgelassene Partystimmung, kurz darauf blankes Entsetzen. Die rund 2500 Teilnehmer der diesjährigen Gay Pride Parade gingen am Donnerstag gerade die Keren-Hayesod-Straße Richtung Liberty Bell Park entlang, als sich ein Ultraorthodoxer mittleren Alters unter die Menge mischte, plötzlich ein langes Küchenmesser zückte und begann, wahllos auf die Umstehenden einzustechen.

Panik brach aus, Polizisten in Zivil überwältigten den Mann in kürzester Zeit. Dennoch wurden sechs Menschen von ihm verletzt. Drei hatten Glück und kamen mit leichten Stichwunden davon, die anderen traf es weitaus schwerer, eine 17-jährige Frau wurde lebensgefährlich verletzt.

Haft Der Attentäter ist kein Unbekannter. Bereits vor zehn Jahren hatte er auf der damaligen Gay Pride Parade schon einmal drei Menschen mit einem Messer verletzt. »Im göttlichen Auftrag«, wie er nach seiner Verhaftung verkündete. Dafür erhielt Yishai S. zwölf Jahre Haft, wurde aber vor drei Wochen auf Anordnung des Obersten Gerichts vorzeitig entlassen

Vor knapp zwei Wochen nun gab der Täter einer der Charedim nahestehenden Nachrichtensendung ein Interview, in dem er sein Verbrechen von vor zehn Jahren noch einmal rechtfertigte und zudem erklärte, dass die Gay Pride Parade dieses Jahr unter allen Umständen gestoppt werden müsse. »In Kriegen hat man seine Ziele beharrlich im Auge zu behalten«, hieß es in dem Interview. »Dafür muss man auch zu radikalen Mitteln greifen.«

Jerusalems Polizeichef Moshe Chico Edry sagte zwar, dass es keine Anhaltspunkte für eine erneute Tat gegeben hätte, erntete dafür aber vor laufender Kamera Hohn und Spott. »Das war ganz klar ein Mordversuch mit Ankündigung«, lautete das Urteil in den Nachrichten des israelischen Senders Channel 2.

Warnungen Der Nachrichten-Moderator Mosche Nussbaum sagte: »Viele wussten oder ahnten es, nur die Polizei wohl nicht.« Denn trotz zahlreicher Warnungen, dass sich S. wohl kaum von seinen Wahnvorstellungen verabschieden würde, kam niemand auf die Idee, ihn in irgendeiner Form überwachen zu lassen.

Politiker des gesamten Spektrums verurteilten den Angriff. Premierminister Benjamin Netanjahu sagte, dass dies ein sehr ernster Zwischenfall sei. »In Israel ist die Wahlfreiheit ein Grundprinzip. Wir müssen sicherstellen, dass jeder Mann und jede Frau in Sicherheit leben kann – wie auch immer sie leben wollen.« Präsident Reuven Rivlin warnte: »Mangel an Toleranz wird uns ins Verderben führen. Wir dürfen so etwas nicht erlauben.«

Sogar Hardliner Naftali Bennett vom Jüdischen Haus zeigte sich entsetzt und bezeichnete den Angriff als »moralisches Verbrechen, das nicht vergeben werden kann«.

Oppositionsführer Isaac Herzog von der Arbeitspartei forderte auf Facebook die Polizei auf, auch nach der »abscheulichen Hass-Attacke« die Parade weitergehen zu lassen. »Wir dürfen den Feinden von allem, was an Israel gut und schön ist, nicht nachgeben«, forderte Herzog.

Sein Parteimitglied, Itzik Schmuli, outete sich nach dem blutigen Angriff am Freitag als homosexuell. In einem Artikel für die Tageszeitung Yedioth Ahronoth schrieb der Parlamentarier: »Wir können nicht länger still sein, denn das Messer ist gegen die gesamte LGBT-Gemeinde – die meine Gemeinde ist –, gezückt. Und es wird nicht hier stoppen«.

Schock Etwa eine Stunde nach dem Attentat gab es eine Abschlusskundgebung der Gay Pride in Jerusalem. »Ich stehe immer noch unter Schock«, erklärt Miki Zaidel. Der 38-Jährige aus Aschdod ist ein Aktivist von Hoshen, einer LGBT-Gruppe, die überall im Land in die Schulen geht und Aufklärungsarbeit zum Thema Homosexualität leistet. »Die Gay Pride Parade steht doch unter dem Motto von Vielfalt und Toleranz. Wir nehmen ja anderen nichts weg, sondern fordern einfach nur gleiche Rechte für alle. Warum dann dieser Hass und diese Gewalt?«

Auch Jerusalems stellvertretender Bürgermeister Ofer Berkovich ist entsetzt. »Wir werden keinen Schritt zurückweichen und irgendwelchen Radikalen erlauben, das Leben anderer hier einzuschränken«, rief er den Anwesenden zu. »Jerusalem hat schließlich Platz für alle!«

Meinung

Gratulation!

Warum die Ehrung der ARD-Israelkorrespondentin Sophie von der Tann mit dem renommierten Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis nicht nur grundfalsch, sondern auch aberwitzig ist

von Lorenz Beckhardt  30.11.2025

Jerusalem

Netanjahu bittet Israels Präsidenten um Begnadigung

US-Präsident Trump hat eine Begnadigung des wegen Korruption angeklagten Regierungschefs Netanjahu gefordert. Nun schreibt Netanjahu selbst ein Gnadengesuch. Israels Opposition übt scharfe Kritik

 30.11.2025

Meinung

Der Weg zum Frieden in Nahost führt über Riad

Donald Trump sieht in Saudi-Arabien zunehmend einen privilegierten Partner der USA. Die Israelis müssen gemäß dieser neuen Realität handeln, wenn sie ein Abkommen mit dem mächtigen Ölstaat schließen wollen

von Joshua Schultheis  29.11.2025 Aktualisiert

Portrait

Die Frau, die das Grauen dokumentieren will

Kurz nach dem 7. Oktober 2023 gründete die israelische Juristin Cochav Elkayam-Levy eine Organisation, die die Verbrechen der Hamas an Frauen und Familien dokumentiert. Unser Redakteur sprach mit ihr über ihre Arbeit und ihren Frust über die Vereinten Nationen

von Michael Thaidigsmann  29.11.2025

Jerusalem

Koalition stoppt Zusatzhilfen für freigelassene Geiseln

In der Knesset lehnt die Regierungsmehrheit hat einen Gesetzentwurf der Opposition ab, der Betroffenen eine sofortige finanzielle Unterstützung zusichern sollte

 29.11.2025

Nachrichten

Wetter, Geiselforum, Künstliche Intelligenz

Kurzmeldungen aus Israel

von Sabine Brandes  29.11.2025

Nahost

Siedlergruppe dringt nach Syrien ein: IDF nimmt acht Personen fest 

Mehrere Menschen überqueren die Grenze. Medien zufolge wollen sie im Nachbarland eine Siedlung gründen. Es ist nicht ihr erster Versuch

 28.11.2025

Staatsbesuch

Kanzler Merz reist am nächsten Wochenende nach Israel

Das Datum steht: Bundeskanzler Merz reist in gut einer Woche zum Antrittsbesuch nach Israel. Der Gaza-Krieg hatte die Reise verzögert, durch die Waffenruhe wird sie jetzt möglich

 28.11.2025

Wirtschaft

Wenn Krembo zum Luxus wird

Die Lebenshaltungskosten steigen weiter. Mittlerweile befürchtet ein Drittel aller Israelis, sich bald nicht mehr ausreichend Lebensmittel leisten zu können

von Sabine Brandes  28.11.2025