Korruption

Angriff ist die beste Verteidigung

Der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu Foto: Flash 90

Netanjahu schlägt zurück. Beim offiziellen Wahlkampfauftakt der Likud-Partei am Montagabend im Hotel Kfar Maccabiah in Ramat Gan bei Tel Aviv ging der amtierende Premier hart mit seinen Gegnern ins Gericht. Unter dem Jubel von Hunderten Anhängern warf Netanjahu einer angeblich linken Medienlandschaft vor, ihn durch eine Schmutzkampagne stürzen zu wollen, da er gute Chancen habe, auch die nächste Knessetwahl zu gewinnen.

Teil der Kampagne seien auch Benny Gantz und Yair Lapid mit ihrem Bündnis Blau-Weiß. Ihnen warf der Premier vor, nach der Wahl eine Koalition mit arabischen Parteien bilden zu wollen, was beide vehement bestreiten. »Entweder Bibi oder Tibi«, brachte er es auf den Punkt – in Anspielung auf den arabischen Knessetabgeordneten Ahmad Tibi.

Diese Art der Vorwärtsverteidigung wirkt wie ein Verzweiflungsakt. Der Premierminister soll in drei Fällen wegen Korruption angeklagt werden. Das hatte Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit am vergangenen Donnerstag erklärt. Netanjahu sprach von einer »nie da gewesenen Hexenjagd von politischen Gegnern« und griff Mandelblit persönlich an. Der indes bescheinigte Netanjahu, »das Ansehen öffentlicher Ämter und das Vertrauen der Öffentlichkeit in diese verletzt« zu haben.

Sämtliche Oppositionsparteien fordern Netanjahus Rücktritt.

Der Generalstaatsanwalt schrieb an Netanjahu: »Sie nutzten ihre Machtstellung aus, um persönliche Interessen und solche, die Ihre Familie betreffen, zu verfolgen. Sie korrumpierten öffentliche Angestellte, die unter Ihnen dienten.« Damit ist zum ersten Mal in Israels Geschichte verkündet worden, dass ein amtierender Regierungschef angeklagt werden soll. Der damalige Premier Ehud Olmert war 2008 zurückgetreten, noch bevor die Ermittlungsbehörden ihre Empfehlung öffentlich gemacht hatten. Sämtliche Oppositionsparteien reagierten auf Mandelblits Ankündigung mit der Forderung nach Netanjahus Rücktritt.

VERLEUMDUNG Am Abend nach Mandelblits Worten beklagte Netanjahu dessen Timing in einer öffentlichen Fernsehansprache und wies jegliche Schuld von sich: »Der Druck der Linken hat funktioniert.« Es gehe hier nur um Lügen und Verleumdung. Er, Netanjahu, werde alle Vorwürfe gegen ihn zerstreuen. Dann wiederholte er sein altbekanntes Mantra, um seine Unschuld zu beteuern: »Da ist nichts, weil da nichts war.« Drei Jahre lang hätten die Justizbehörden politische Verfolgung gegen ihn betrieben, mit dem einzigen Zweck, die rechte Regierung unter seiner Führung zu stürzen »und Lapid sowie Gantz’ Linkspartei an die Macht zu bringen«.

Yair Lapid und Benny Gantz hatten vor einigen Wochen ihre Parteien zum Bündnis Blau-Weiß vereinigt, die mittlerweile in Umfragen den regierenden Likud überholt. Zahlen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt Kan und des Senders 13 zeigen, dass der Likud zwar weiterhin bei 29 Mandaten liegt, die Union Blau-Weiß jedoch auf 37 Sitze käme. Außerdem könnte es für Netanjahu unmöglich werden, eine Rechtskoalition zu bilden, weil es einige Parteien, darunter Israel Beiteinu, dieser Umfrage zufolge nicht über die 3,25-Prozent-Hürde schaffen würden.

Doch der Regierungschef will davon nichts wissen. »Das Kartenhaus wird bald zusammenfallen«, ließ er sichtlich angespannt vor den Fernsehkameras verlauten. »Ich bin 4000-prozentig sicher. Ich habe vor, dem Land noch viele Jahre zu dienen.« Später postete Netanjahu auf seiner Facebook-Seite ein Video der US-Sendung Fox and Friends, das über einen »israelischen Deep State« berichtet. Damit wird ein Staat im Staate bezeichnet. Eine Beschuldigung, die der amerikanische Präsident Donald Trump oft benutzt, um die Ermittlungen des Sonderermittlers Robert Mueller gegen ihn zu kritisieren.

GRUNDSÄTZE Netanjahu bezichtigte auch die Mitarbeiter von Mandelblit, Staatsanwalt Schai Nitzan und die Chef-Ermittlerin Liat Ben-Ari, »besonders stark« darauf gedrängt zu haben, ihn anzuklagen. »Offenbar gibt es ein Gesetz für jedermann und eins für Netanjahu.« Die Justizbehörden wiesen diesen Vorwurf von sich und äußerten sich mit den Worten: »Es gibt keine Grundlage für diese Anschuldigungen.«

Zu dem Vorwurf, sich aus politischen Gründen vor der Wahl geäußert zu haben, stellte Nitzan klar: »Wenn eine Akte zur Veröffentlichung bereit ist, gibt es keinen Grund, zu warten. Auch nicht wegen Wahlen. Das ist unser Grundsatz. Das Recht der Öffentlichkeit auf Information und andere juristische Prinzipien leiten uns dabei.« Nitzan und Ben-Ari erhielten nach Drohungen Personenschutz.

Die Ermittlungsbehörden hatten schon vor Wochen eine Anklage empfohlen.

Wochen zuvor hatten bereits die Ermittlungsbehörden der Polizei empfohlen, den Ministerpräsidenten vor Gericht zu stellen. Ebenfalls angeklagt werden sollen der Medienmogul Shaul Elovitch und der Herausgeber der Tageszeitung Yedioth Ahronoth, Arnon Mozes. Die Verfahren gegen Netanjahus Ehefrau Sara und seinen ältesten Sohn Yair indes hat Mandelblit eingestellt.

GESCHENKE Die Vorwürfe wiegen schwer. Im »Fall 1000« werden Netanjahu und seine Frau verdächtigt, regelmäßig luxuriöse Geschenke von Milliardärsfreunden entgegengenommen zu haben. Teure Zigarren, Champagner und edler Schmuck im Wert von einer Million Schekel (etwa 230.000 Euro) sollen an die Netanjahus geschickt worden sein. Es handele sich um illegale Schenkungen des israelischen Hollywood-Produzenten Arnon Milchan und des Milliardärs James Packer aus Australien. Im Gegenzug soll sich der Regierungschef unter anderem für ein Gesetz starkgemacht haben, das Milchan Steuervergünstigungen in Millionenhöhe verschaffen sollte, und ihm dabei geholfen haben, sein US-Visum zu erneuern.

Netanjahus Verteidigung meint, es sei »legal, Geschenke von Freunden anzunehmen«, und fügte hinzu, dass der Premier nicht darum gebeten habe, weil er das gar nicht brauchte. Einst sagte Netanjahu zu Journalisten: »Milchan schwamm in Zigarren und Champagner.« Zudem sei es nie um das Prinzip »Eine Hand wäscht die andere« gegangen. Die Anklage soll auf Betrug und Verletzung des öffentlichen Vertrauens lauten.

Es geht um Geschenke, Begünstigungen und geheime Absprachen.

Im »Fall 2000« wird angenommen, dass Netanjahu gemeinsam mit dem Herausgeber der Zeitung Yedioth Ahronoth eine regierungsfreundliche Berichterstattung absprach. Hierzu gibt es belastende Tonaufnahmen. Netanjahu und Mozes sagten übereinstimmend, sie beide hätten »nur so getan, als ob«, und nie vorgehabt, sich an die Absprachen zu halten. Auch hier soll der Premier wegen Betrug und Verletzung des öffentlichen Vertrauens vor Gericht gestellt werden.

Laut »Fall 4000« soll Netanjahu als Kommunikationsminister, der er von 2014 bis 2017 war, in einem Interessenkonflikt politische Entscheidungen getroffen haben, die Shaul Elovitch Vorteile verschafften. Er habe sich zudem bestechen lassen. Die Ermittler hätten Beweise, dass »sich die Netanjahus unverhohlen in den Inhalt der Walla-Nachrichtenseite, die von Elovitch herausgegeben wird, einmischten, zum Teil täglich, und Einfluss auf die Einstellungen von Redakteuren und anderen Angestellten nehmen wollten, indem sie ihre Verbindungen zu Shaul und Iris Elovitch nutzten«, hatte die Polizei damals in einer Erklärung erläutert.

GESETZ Elovitch ist Hauptaktionär der größten Telekommunikationsfirma im Land, Bezeq, die auch verschiedene Medienseiten im Internet herausgibt, darunter die beliebte Nachrichtenseite Walla. Hier lauten die Anklagen auf Bestechung und Verletzung des öffentlichen Vertrauens.

Netanjahu versicherte, auf keinen Fall zurückzutreten. Im Gegenteil, er kündigte an, er werde seinen Namen in der Anhörung reinwaschen. Diese könnte sich über Jahre hinziehen. Juristisch zwingend ist ein Rücktritt Netanjahus nicht. Die Experten vom Israel Democracy Institute meinen jedoch: »Man darf nicht den ernsthaften potenziellen Schaden durch Vertrauensverlust der Öffentlichkeit ignorieren, der entsteht, wenn jemand krimineller Verfehlungen und des Machtmissbrauchs beschuldigt wird.«

»Es ist entscheidend, dass wir die Lek­tionen aus dieser Affäre lernen und eventuell das Gesetz anpassen«, so der Präsident des Instituts, Yohanan Plesner. »Denn keine Demokratie kann öffentliche Korruption oder Ausnahmen von der Gleichheit vor dem Gesetz dulden.«

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