Stuttgarter

Zauber der Bühne

Jung ist sie und sinnlich. Und doch verlassen von Mann und Gott. Wer wird eine Aguna wie sie – im kleinen Schtetl Frampol – noch wollen? Gefühl und Verstand streiten in Toibele. Olga Barskij, die die Rolle der jungen Frau übernommen hat, ringt mit den Händen, greift sich ins dunkellockige Haar, schaut mit flehendem Blick gen Himmel. Der Himmel, das ist jetzt das Probenzimmer der Theatergruppe der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg (IRGW) in Stuttgart.
Rund um zwei Stühle lebt hier unter der Regie von Felix Charam provisorisch die kleine Welt des polnischen Schtetls. Isaak Bashevis Singer hat die Geschichte von der verlassenen Toibele, ihrem glühenden Verehrer Alchonon, der sich als Dämon Hurmisa ausgibt, ihrer Freundin Genendel –männerlos wie sie –, Alchonons Busen-
freund Menasche und dem Rebbe an einen Ort platziert, den er aus eigenem Erleben bestens kannte. Seine Charaktere sind fein gezeichnet, die Sujets aus tradioneller Religion und Moderne, Mythizismus und rationaler Einsicht gewoben.
Eine Aguna – eine verstoßene Ehefrau – zu sein, war wohl das Schlimmste, was einer Frau passieren konnte. Ungewiss, ob der Mann zurückkehrte, ungewiss, ob sie jemals eine Nachricht über seinen Tod bekam. Und ohne Totenschein keine Wie-
derverheiratung. »Mit einem Mann im Bett ist der Winter angenehmer«, findet auch Genendel, Toibeles Freundin. Olena Rozova spielt die Rolle und ist im wirklichen Leben Elektroingeneurin. Gemeinsam mit Semion Schreiber, der den weisen Rebbe spielt, mit Vladislaw Kaufmann, einem humorigen Naturtalent und Sergei Motsa, der im realen Leben als Busfahrer arbeitet, schlüpfen sie beim Theaterspielen in eine zweite Haut, probieren das Leben auf den Brettern, die die Welt be-
deuten, aus.
Die Diplomkauffrau Olga Rozova ist seit dem ersten Tag dabei, als der ukrainische Regisseur und Theaterpädagoge das Theaterstudio gründete. »Spannend« sei es, sagt sie und eine Möglichkeit, in einer Rolle neue Gefühle zu entwickeln. Für Semion Schreiber ist das aktuelle Stück ein Debüt. Aber Lampenfieber spürt er nicht. Er lä-
chelt und sagt: »Ich war schon früher auf der Bühne, ich war Professor an der Uni.«
Zehn Theaterstücke in zehn Jahren ha-
ben sie geprobt und zur Aufführung ge-
bracht, waren auf Einladung anderer Ge-
meinden zu Gastspielen unterwegs. Finanziell gefördert werden sie von der IRGW. Wenn sie sparsam wirtschaften, reicht es für die Stoffe der Kostüme, für Kulissen, für professionelle Choreografie und Regie. Felix Charam führt nachdrücklich, aber de-
mokratisch Regie, korrigiert mit sparsamen klaren Gesten Körpersprache und Text.
Isaak Bashevis Singers Geschichte vom Toibele begeisterte schon im vergangenen Jahr das Publikum. Nun wird es in deutscher Sprache aufgeführt. Sieht die Gruppe das als Beitrag zur Integration? »Wenn ich auf der Bühne stehe, spiele ich, da denke ich nicht an Integration«, sagt Sergei Motsa, der Busfahrer. »Ich tu es für die Gemeinde, doch das Publikum wird sagen, wie hat er gespielt, nicht, wie hat er die deutsche Sprache benutzt«, kommentiert Vladisslaw Kaufmann. »Das gleiche Theaterstück in verschiedenen Sprachen ge-
spielt, löst unterschiedliche Gefühle bei den Zuschauern aus«, erklärt Felix Charam. Gleiche Szenen hat der Regisseur deshalb unterschiedlich inszeniert. »Ich verstehe nicht viel Russisch, habe mich aber bei der russischen Version von Singers Stück im letzten Jahr prächtig amüsiert«, erzählt Landesrabbiner Natanel Wurmser. Toibele und ihr Dämon wird als Beitrag der Jüdischen Kulturwochen in Stuttgart in deutscher Sprache am 8. November um 18 Uhr im Gemeindesaal der IRGW aufgeführt. Brigitte Jähnigen

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025

Ankara

Türkei bricht Handelsbeziehungen zu Israel ab

Der Handel der Türkei mit Israel belief sich im Jahr 2023 noch auf mehrere Milliarden US-Dollar. Nun bricht die Türkei alle Handelsbeziehungen zu Israel ab. Doch es ist nicht die einzige Maßnahme

 29.08.2025

Geburtstag

Popstar der Klassik: Geiger Itzhak Perlman wird 80

»Sesamstraße«, »Schindlers Liste« und alle großen Konzertsäle der Welt natürlich sowieso: Der Geiger gehört zu den ganz großen Stars der Klassik. Jetzt wird er 80 - und macht weiter

von Christina Horsten  29.08.2025

Bonn

Experte: Opfer mit Bewältigung von Rechtsterror nicht alleinlassen

Der erste NSU-Mord liegt beinahe 25 Jahre zurück. Angehörige der Opfer fordern mehr Aufmerksamkeit - und angemessenes Gedenken, wenn es um rechtsextreme Gewalt geht. Fachleute sehen unterschiedliche Entwicklungen

 29.08.2025

Frankfurt am Main

Michel Friedman will nicht für TikTok tanzen

Es handle sich um eine Plattform, die primär Propaganda und Lügen verbreite, sagt der Publizist

 28.08.2025

Geburtstag

Holocaust-Überlebende Renate Aris wird 90

Aris war lange stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Chemnitz und Präsidiumsmitglied des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden. 1999 gründete sie den ersten jüdischen Frauenverein in den ostdeutschen Bundesländern

 25.08.2025