Tora

Wasser und Wissen

von Rabbiner Joel Berger

Nach diesem Schabbat verabschieden wir uns von den Hohen Feiertagen. Zum Abschluß jedoch begehen wir noch ein Fest, am achten Tag von Sukkot.
An diesem Tag gedenkt man, nach alter Überlieferung, des Wassers im Heiligen Land. Eine bemerkenswerte Stelle des Talmuds erinnert uns daran, daß während Rosch Haschana der Ewige ein Urteil über die Erdenbewohner fällt. Am Sukkot-Fest dagegen wird über die Natur, über die lebensspendenden Regenfälle der Winterzeit Israels bestimmt. Diese Aussage unserer Weisen drückt die innige Verbindung der jüdischen Menschen mit dem Land der Ahnen aus. Jahrhundertelang waren wir aus unserem Land vertrieben. Wir haben jedoch nie aufgehört, an diesen Festtagen um Regen für das Land zu beten. Keiner von uns verdrängte aus seinem Be-
wußtsein, daß der Regen in Israel in der Regel nur zwischen Sukkot und Pessach fällt – und für das ganze Jahr der Landwirtschaft reichen muß.
Juden haben seit ältesten Zeiten das Ausbleiben des Regens im Land als schwere, himmlische Strafe aufgefaßt. Bereits der zum Tagesgebet gewordene Toravers aus dem 5. Buch Moses (11,17) formuliert dies so: »Der Zorn des Herrn würde (dann) über euch entbrennen und Er würde (als Strafe) den Himmel verschließen, so daß kein Regen komme...« Daher ist es also nur zu verständlich, daß am Ende der Hohen Feiertage ein Gebet für Regen im Heiligen Land in allen Synagogen der Welt gespro-chen wird.
Der achte Tag nach dem Beginn des Sukkotfestes ist ein selbständiger Festtag. Er wird Schemini Azeret, das Schlußfest, genannt. Raschi erläutert die Bedeutung dieses Festes so: »Es ist, als würden sich die Kinder von ihrem Vater verabschie-den und dieser sagt zu ihnen: Kinder, der Abschied fällt mir so schwer, verweilt doch noch einen Tag bei mir. Schemini Azeret, das Schlußfest, ist ein Ausdruck der Liebe Gottes gegenüber Israel.«
Nach den Worten unserer Gelehrten, verweilten die Pilger noch einen Tag, um für sich selbst zu beten, denn während der Sukkottage beteten sie für die Völker der Welt.
Im Altertum war der Tempel zu Jerusalem während der Sukkottage der Schauplatz symbolträchtiger Zeremonien, wie zum Beispiel Nissuch Hamajim, das Ausgießen von Wasser auf den Altar des Heiligtums. Das Wasser wurde aus der Schiloach-Quelle geschöpft und unter dem Klang des Schofars in den Tempel gebracht. Der Sinn dieser Zeremonie ist der Wunsch und die Hoffnung, daß Gott die Äcker Israels während der kommenden Regenzeit mit ausreichendem Niederschlag segnen möge.
Es ist vielleicht interessant zu erwähnen, daß an der altertümlichen Schiloach-Quelle am Ende des 19. Jahrhunderts eine mit althebräischer Schrift versehene Gedenktafel gefunden wurde. Diese bestätigt und ergänzt zugleich die biblischen Berichte über die von König Chiskija im achten Jahrhundert vor der Zeitrechnung erbaute Wasserleitung in Jerusalem. Das 2. Buch der Könige berichtet über Chiskija, (20,20), wie er »den Teich und die Wasserleitung angelegt und das Wasser in die Stadt geleitet hat.« Das 2. Chronikbuch (32,30) fügt noch ergänzend hinzu: »Chiskija war es auch, der den oberen Abfluß des Gichonwassers versperrte und es nach Westen in die Stadt Davids (Jerusalem) hinableitete.«
In demselben Tunnel, der die Quelle des Gichon-Baches mit dem Schiloach-Teich verband, wurde die Gedenktafel entdeckt, die mit dem klassischen biblischen Wortschatz über das Erlebnis der Arbeiter berichtet, die nach harter Arbeit den Durchbruch im Tunnel erreicht hatten. Diesen Arbeitern im alten Jerusalem gelang es nicht nur, einen großartigen Augenblick ihrer Schöpfungskraft zu verewigen, sondern gleichzeitig ihr eigenes Ebenbild und ihre Sprache für uns über 2.500 Jahre hindurch zu vermitteln.
Zurück zu den Feiertagen: Bei uns in der Diaspora wird nach Schemini Azeret noch ein zusätzlicher Tag gefeiert. Dieser ist als Simchat Tora, als Fest der Gesetzesfreude, bekanntgeworden. Er geht auf den im babylonischen Exil entstandenen Brauch zurück, an diesem Tag den Jahreszyklus der wöchentlichen Toralesungen zu beenden.
Am Vorabend dieses Tages beginnt man bereits mit den fröhlichen Umzügen der Torarollen in den Synagogen. Dem Zug schließen sich die Kinder mit ihren bunten Fähnchen an. Es wird gesungen und getanzt. An diesem Freudentag der Tora zeigt sich die Synagoge in einem bunten Bild.
Gleich nach Abschluß der Schriftlesung am nächsten Tag wird feierlich mit der Le-sung des 1. Buches Mose, Bereschit, angefangen, um zu zeigen, daß die Beschäftigung mit dem Gotteswort einen ununter-
brochenen Jahreskreislauf darstellt.
An diesem Tag werden alle namentlich zur Toralesung aufgerufen, damit jeder sinnbildlich einen Anteil an der Schrift erhält. Sogar die Kinder werden an diesem Freudentag der Tora zur Lesung auf die Bima geholt. Unter einem über ihren Köp-fen ausgebreiteten Tallit sprechen sie, mit Hilfe eines Erwachsenen, die Brachot für die Toralesung.
In der Vorstellung der Kabbalisten und Chassidim stellt die Tora die Braut des ge-samten jüdischen Volkes dar. Daher werden diesmal aus der Gemeinde drei Bräuti-game gewählt. Sie betreten dann die Bima, um gemeinsam mit den anderen Gemeindemitgliedern den Abschluß des fünften Buches Moses, sowie den Anfang des ervsten Buches und die Haftara, den Prophetenabschnitt des Tages, vorgelesen zu bekommen. Es ist auch üblich, daß die Chatanim, die drei Geehrten, nach dem Got-
tesdienst die Gemeindemitglieder zu einem festlichen Kiddusch einladen. Im Laufe dieser Mahlzeit werden von Rabbinern und Gelehrten exegetische Erläuterungen der Schrift vorgetragen. Fröhlichkeit und Gesang runden die Feststimmung ab.
Der Schriftsteller Josef Roth hat in Juden auf Wanderschaft ein ausgelassenes Simchat-Tora-Fest beschrieben, wie es einst in Galizien begangen wurde: »Ich sah, daß in dieser kleinen Stadt lauter rothaarige Juden wohnten. Einige Wochen später feierten sie das Fest der Tora, und ich sah, wie sie tanzten. Das war nicht der Tanz eines degenerierten Geschlechts. Es war nicht nur die Kraft eines fanatischen Glaubens. Es war gewiß eine Gesundheit, die den Anlaß zu ihrem Ausbruch im Religiösen fand.
Die Chassidim faßten sich bei den Händen, tanzten in der Runde lösten den Ring und klatschten in die Hände, warfen die Köpfe im Takt nach links und rechts, ergriffen die Torarollen und schwenkten sie und weinten vor Freude. Es war im Tanz eine erotische Lust. Es rührte mich tief, daß ein ganzes Volk seine Sinnenfreude seinem Gott opferte und das Buch der strengsten Gesetze zu seiner Geliebten machte und nicht mehr trennen konnte zwischen körperlichem Verlangen und geistigem Genuß, sondern beides vereinte. Es war Brunst und Inbrunst, der Tanz ein Gottesdienst und das Gebet ein sinnlicher Exzeß.
Die Menschen tranken Met aus großen Kannen. Woher stammt die Lüge, daß Ju-den nicht trinken können? Es ist halb eine Bewunderung, aber auch halb ein Vor-wurf, ein Mißtrauen gegen eine Rasse, der man die Stete der Besinnung vorwirft. Ich aber sah, wie Juden die Besinnung verloren, allerdings nicht nach drei Krügen Bier, sondern nach fünf Kannen schweren Mets und nicht aus Anlaß einer Siegesfeier, sondern aus Freude darüber, daß Gott ihnen Gesetze und Wissen gegeben hatte.«
Mit dem Freudenfest Simchat Tora schließen wir die Jamim Noraim und Sukkot ab. Aus dem Geist und der Lehre dieser Feste wollen wir Kraft und Ausdauer schöpfen für ein neues Jahr, von dem wir uns Frieden und Wohlergehen erhoffen.

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025