erinnerung

Herkunft wird Zukunft

Die Parascha Ha’asinu will uns in lyrischer Form mit der Lehre und der Ermahnung des Lehrers Mosche konfrontieren. Das hebräische Wort Ha’asinu bedeutet »horchet auf«, »hört zu«. Der Vokativ, die Form der Anrede, soll die Aufmerksamkeit der Zuhörer intensivieren, die folgende Verkündung gilt für alle und zu jeder Zeit.
Unser Meister Mosche begann sein Werk als Wegweiser Israels mit einem Lied, damals am Schilfmeer nach dem Untergang der bewaffneten ägyptischen Verfolger. Und nun, zum Schluss des fünften Buches der Tora beendet er seine Mission mit diesem Lied. Auch im jüdischen Altertum waren sich unsere Väter dem vertiefenden Effekt und der bleibenden Wirkung der dichterischen Rede, beziehungsweise dem lyrischen Gesang, bewusst.
Die Parascha Ha’asinu erwähnt, dass das Lied dem Volk nicht nur vorgetragen werden soll, sondern Mosche und sein Nachfolger Joschua baten die Israeliten, das Lied zu lernen. »Also schrieb Mosche dieses Lied zur selben Zeit und lehrte es die Kinder Israel« (5. Buch Moses 31,22). An vielen jüdischen Gymnasien war es selbstverständlich, dass die Schüler und Schüle- rinnen das Ha’asinu auswendig lernten.
Am Anfang der Parascha warnt der Meister sein Volk, die erlösende Befreiung aus der Knechtschaft, wie die wohltätige Gnade der Wanderjahre in der Wüste, nicht zu vergessen. »Gedenke der vorigen Zeit und begreifet die Jahre der (früheren) Geschlechter. Frage deinen Vater, der wird dir’s verkünden, (sogar) deine Ältesten, die werden es dir sagen« (5. Buch Moses 32,7).
Mosche appelliert vor seinem Tode an die Seinigen, nicht zu vergessen. Er hat in seinem Leben gelernt, dass in der Fähigkeit, sich an Vergangenes zu erinnern, die Bewältigung der Zukunft liegt. Auch von dieser dichterischen Hymne leiten wir unsere Verpflichtung ab, die Ereignisse der Vergangenheit unseres Volkes den Nachkommen verbindlich und aufrecht weiterzugeben.
Wir erleben es heute bei vielen Gelegenheiten, dass unangenehme Erinnerungen, Taten der Vergangenheit verdrängt werden. Wir leiden darunter, wenn andere versuchen, das qualvoll von uns durchlebte Leid zu verleugnen.

ewigkeit Für uns Juden ist die Tora, die Unterweisung, Lehre und Offenbarung G’ttes durch seinen Propheten Mosche, nicht nur eine Kunstform oder Erzählung, sondern sie ist das Bindeglied zur Ewigkeit. Literatur ist eine subjektive Darstellung, in der die Vorstellung oder Erinnerung des Autors festgehalten wird. Sie umschreibt nach Gutdünken die Vergangenheit, deutet sie aufs Neue und wird oft retuschiert, je nach aktuellem Bedarf. So schwindet die Vergangenheit aus dem Bewusstsein der Menschen. Sie wird sogar nachträglich »erneuert« durch Ersatzmittel eines kollektiven Bewusstseins, mit Wunschträumen, die die Gegenwart entwurzeln und dazu in der Lage sind, falsche Erwartungen zu wecken. Gegen solches Umdeuten des früher Erlebten haben sich unsere Vorfahren zu allen Zeiten aufgelehnt. Man erinnere sich an dieser Stelle auch an die schmerzhafte Episode, wie die Kundschafter, die Mosche zuerst ins verheißene Land gesandt hatte, durch ihre entstellten und verleumderischen Berichte einem ganzen Geschlecht die Landnahme vereitelten.
Des Weiteren lehrt die Parascha, dass wir uns zu unseren Verfehlungen bekennen sollen. Dies wurde unseren Vorfahren von Mosche klar vorgelegt: »Da ward Jeschurun übermütig … er ist dick und stark geworden und hat den G’tt fahren lassen, der ihn erschuf. Er hat den Fels seines Heils gering geachtet« (5. Buch Moses 32,15). Mosches »Schwanengesang«, die letzte Ermahnung vor seinem Tod, ist eines der schönsten Lieder im Tenach, reich an Allegorien, die der Midrasch mit späteren Ereignissen in Verbindung bringt. Jeschurun, die Bezeichnung für Israel, kommt hier dreimal vor und wird auch im Buch des Propheten Jeschajahu aufgegriffen: »Fürchte dich nicht, mein Knecht Jakob, und du Jeschurun, den Ich erwählt habe« (Jeschajahu 44,2). Wohl eine nochmalige Bestärkung der Erwählung der Israeliten. Mosche verkündet im nächsten Kapitel: »Und er ward König über Jeschurun …« (5. Buch Moses 33,5). Dieser Vers reiht sich nahtlos in die Liturgie der Hohen Feiertage ein, an denen wir uns zur Herrschaft des Einzigen G’ttes bekennen (Malchujot im Mussafgebet). Der Name Jeschurun kommt von dem hebräischen Wort »jaschar«, was auf Deutsch »redlich« und »geradlinig« heißt. »Jeschurun« wird als Ehrenbezeichnung für die Israeliten angesehen.

leben Gegen Ende des Wochenabschnitts vernehmen wir Mosches letzte Mahnung: »Denn es ist nicht leeres, vergebliches Wort an euch, denn es ist euer Leben …, (das Wort), das euer Leben im Lande verlängern wird« (32,47). Der hebräische Text dieses Verses sagt nicht, wie die Übersetzung »an euch«, sondern »mikem«, also »von euch«. Der Talmud (Jerus. Pea 1) erklärt den Ausdruck folgendermaßen: Wenn sich die Tora für euch als »leeres Gerede« erweisen sollte, ist es auch wegen euch (»mikem«), weil ihr nicht mehr Tora studiert und euer Judesein dann versiegt. Sollte dies eintreffen, klagt nicht gegen G’tt, sondern kehrt um. Dieser Gedanke verbindet Ha’asinu mit Jom Kippur, dem Versöhnungstag, an dem wir durch Reue und Umkehr inbrünstig für Frieden und Wohlergehen beten.

Geiseldeal

Itay Chen ist wieder in Israel

Die Leiche des 19-jährigen, israelisch-amerikanischen Soldaten wurde am Dienstagabend von Terroristen der Hamas übergeben

 05.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  06.11.2025 Aktualisiert

Terror

Hamas übergibt erneut Leichen an Rotes Kreuz

Die Hamas hat dem Roten Kreuz erneut Leichen übergeben. Ob es sich bei den sterblichen Überresten in drei Särgen wirklich um Geiseln handelt, soll nun ein forensisches Institut klären

 02.11.2025

Augsburg

Josef Schuster und Markus Söder bei Jubiläumsfeier von jüdischem Museum

Eines der ältesten jüdischen Museen in Deutschland feiert in diesem Jahr 40-jähriges Bestehen. Das Jüdische Museum Augsburg Schwaben erinnert mit einer Ausstellung an frühere Projekte und künftige Vorhaben

 29.10.2025

Interview

»Wir sind für alle Soldaten da«

Shlomo Afanasev ist Brandenburgs erster orthodoxer Militärrabbiner. Am Dienstag wurde er offiziell ordiniert

von Helmut Kuhn  29.10.2025

Bayern

Charlotte Knobloch kritisiert Preisverleihung an Imam

Die Thomas-Dehler-Stiftung will den Imam Benjamin Idriz auszeichnen. Dagegen regt sich nicht nur Widerstand aus der FDP. Auch die 93-jährige Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Münchens schaltet sich nun ein

von Michael Thaidigsmann  29.10.2025

Jerusalem

Karin Prien in Yad Vashem: »Jedes Mal für mich erschütternd«

Bei ihrer Israel-Reise erinnert die Bildungsministerin an die Millionen Opfer des Holocaust. Der Moment berührt die CDU-Politikerin auch aus einem persönlichen Grund

von Julia Kilian  28.10.2025

Bildungsministerin

Karin Prien reist nach Israel

Die CDU-Ministerin mit jüdischen Wurzeln will an diesem Sonntag nach Israel aufbrechen. Geplant sind Treffen mit dem israelischen Bildungs- und Außenminister

 26.10.2025

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025