Angehörige

Helfende Hand

von Elke Wittich

Deutschkurse, Hilfe bei Bewerbungen und Behördengängen, Beratungen über die deutschen Sozialgesetze – die jüdischen Gemeinden helfen den zugewanderten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion beim Start in der unbekannten Heimat. Und nicht nur ihnen, denn die Integrationshilfen können in aller Regel auch von den nichtjüdischen Angehörigen der neuen Gemeindemitglieder in Anspruch genommen werden.
In Mönchengladbach, so berichtet Gemeindevorsitzende Leah Floh, würden die nichtjüdischen Ehefrauen und Kinder »als Familienmitglieder in die Gemeinde integriert«. Man führe für sie sogar extra Akten. Gegen einen monatlichen Spendenbetrag von 2 Euro 50 haben sie Anrecht auf »komplette Sozialbetreuung«. Die Nichtjuden haben jedoch verständlicherweise weder das aktive noch das passive Wahlrecht, noch dürfen sie im Gottesdienst aus der Tora lesen. Bei feierlichen Anlässen werden sie allerdings nicht anders behandelt als ihre jüdischen Angehörigen. »Die Gemeinde gratuliert ihnen zu Geburtstagen und Jubiläen«, sagt Leah Floh.
Eine zusätzliche staatliche Unterstützung für die Betreuung und Integration der nichtjüdischen Angehörigen gibt es für die Gemeinden nicht. Aber Geld sei auch nicht der entscheidende Punkt. »Entscheidend ist, dass unsere Tradition nicht verloren geht«, sagt Floh. Besonders wichtig sei dabei die Betreuung der nichtjüdischen Kinder. »Sie im Judentum zu unterrichten, bedeutet automatisch, auch die Eltern darin zu unterrichten, denn natürlich sprechen sie zu Hause über das, was sie gelernt haben.« Die nichtjüdischen Kinder dürfen die Sonntagsschule der Gemeinde besuchen. »Die halachischen Kinder kommen eine halbe Stunde früher und lernen zum Beispiel Hebräisch. Ab zehn Uhr werden dann alle in jüdischer Tradition unterrichtet.«
Auch das Machane, das Sommerlager, stehe allen offen. »Zwölf Tage lang wird jüdisches Programm geboten, unter anderem Schabbat-Vorbereitungen, koscheres Kochen, ein In- formationstag über den verstorbenden Zentralratspräsidenten Paul Spiegel.« Zwanzig Kinder hätten sich bereits angemeldet, sagt Floh stolz, »und zwar auch solche, die noch nie in der Gemeinde waren. Ich bin zuversichtlich, dass wir sie anschließend auch in unserer Sonntagsschule sehen werden.«
Vor allem aber gelte: »Jüdische Sozialarbeit ist im jüdischen Sinne nicht nur für Juden, sondern für jeden Bedürftigen da.« Rabbiner Avichai Apel bekräftigt, schon im Babylonischen Talmud stehe, »dass wir helfen müssen, wenn ein Nichtjude unsere Hilfe braucht, damit Frieden in die Welt kommt.« Die Dortmunder Gemeinde, erzählt er, betreue nicht nur die jüdischen Mitglieder. Die Sozialabteilung und Institutionen wie Schule, Kindergarten, Jugendzentrum seien auch für die nichtjüdischen Familienmitglieder, die dies möchten, offen. Natürlich sei es das Ideal, »wenn die Familien komplett jüdisch wären, aber so ist die Situation nun einmal, die Nichtjuden sind Teil dieser Familien. Wenn wir sie nicht mitbetreuten, dann würden wir auch den jüdischen Familienteil verlieren.«
In den Jahren 1999 bis 2002 verbrachte Avichai Apel mit seiner Familie drei Jahre in der ehemaligen Sowjetunion: in Moskau, Rostow und in Weißrussland. »Dadurch kann ich die Situation der Zuwanderer etwas besser verstehen. Aber die Hauptsache ist natürlich, dass die Betreuung der Nichtjuden nicht der Halacha widerspricht. Natürlich gibt es für sie keine Barmizwa, keine jüdischen Hochzeiten oder Beerdigungen.«
Das Risiko, den jüdischen Familienteil zu verlieren, sieht auch Alex Kenigstein, Mitglied der Limburger Gemeinde und Fernstudent der Jüdischen Sozialarbeit an der Uni Erfurt: »Für eine kleine Gemeinde wäre es ein riesiges Problem, wenn man sich nur um die jüdischen Mitglieder einer Familie kümmerte. Dies könnte sogar zum Zerfall der Gemeinde führen. Denn es wäre einfach nicht menschlich und nicht gerecht, wenn die Kinder oder Ehepartner zu Hause bleiben müssten.«
Es wäre unfair, wenn eine nichtjüdische Frau, die 30 Jahre lang mit ihrem Mann verheiratet ist, nun anders behandelt würde als er, sagt auch Elena Tanaeva von der Jüdischen Gemeinde Dresden: »Denn die Familie ist gemeinsam durch schwere Zeiten gegangen.« Stand im Pass des Mannes unter dem sogenannten Punkt fünf, der Nationalität »jüdisch«, dann durfte er bestimmte Berufe nicht ausüben, wurde unter Druck gesetzt oder nicht befördert. In einigen ukrainischen Städten wurden Juden auch bei der Wohnungsvergabe benachteiligt. »Und dann sollen wir zu jemandem, der das alles mit seinem Partner durchgestanden hat, sagen, dass wir ihm niemanden mitgeben, der bei einem Arztbesuch dolmetscht?«
Die nichtjüdischen Angehörigen werden in Dresden nicht anders behandelt als der jüdische Familienteil. »Wir machen keine Unterschiede. Auch bei Veranstaltungen bezahlen sie nur den Eintrittspreis, den die Gemeindemitglieder bezahlen.« Im Gegenzug profitiere die mehr als 700 Mitglieder starke Gemeinde vom Engagement der rund 300 nichtjüdischen Angehörigen. »Sie machen alles mit und helfen beispielsweise bei den Vorbereitungen für Veranstaltungen.«
Auch in Köln werden nichtjüdische Familienangehörige genauso betreut wie Juden, »mit der einen Ausnahme, dass sie natürlich keine Gemeindemitglieder werden dürfen«, sagt Benzion Wieber, Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde Köln. Von Anfang an sei klar gewesen: »Bei den ersten Schritten im neuen Land, Wohnungssuche, Deutschkurs, Fitmachen für den Arbeitsmarkt, da gehört eine Familie zusammen.«
Von 1.200 Mitgliedern im Jahr 1990 ist die Kölner Gemeinde auf cirka 5.000 gewachsen. Wie viele Nichtjuden zusätzlich betreut werden, könne Wieber nur schätzen. Vermutlich liege ihr Anteil bei 30 Prozent, sagt er. »Wir führen keine Listen.« Auch nicht über die Mehrkosten. »Unter dem finanziellen Aspekt haben wir das nie betrachtet, wir sehen das so: Die Leute sind zu uns gekommen und brauchen Hilfe, und wir müssen sie leisten, soweit wir es können.«
In der Kölner Gemeinde stehen Krabbelgruppe, Kindergarten und die jüdische Grundschule auch den nichtjüdischen Kindern offen. Aber auch schon vor dem Zuzug der ehemaligen Sowjetbürger habe man nichtjüdische Ehepartner ganz selbstverständlich mitbetreut, berichtet Wieber. »Das waren meist die Ehepartner von Israelis. Damals ging es allerdings darum, sie im gesellschaftlichen Bereich zu unterstützen, während es bei den jetzigen Zuwanderern eher um soziale Hilfe geht.«

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