Stefan Zweig

Fremd in seiner Zeit

von Harald Loch

In einer Welt des Krieges wollte der Pazifist Stefan Zweig nicht weiterleben. Ehe »ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide«, wie er in seinem Abschiedsbrief vom 22. Februar 1942 schrieb, »drängt es mich eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben.«
Zweigs Arbeit in dieser letzten Zeit hatte vor allem in tatkräftiger Hilfe für jüdische Flüchtlinge bestanden, die Geld, Fürsprache, Protektion brauchten. Seine Hilfsbereitschaft war legendär – er setzte große Teile seines bedeutenden Vermögens für verfolgte Leidensgenossen ein. Dieses Vermögen hatte er mit Schreiben verdient. Stefan Zweig war lange Jahre der erfolgreichste deutschsprachige Schriftsteller, der meistübersetzte Autor der ganzen Welt. Bis 1933 die Nazis an die Macht kamen und seine Werke verboten. Als im selben Jahr die brasilianische Ausgabe seines Freud-Essays Die Heilung aus dem Geist erschien, schickte er sie mit der bitteren handschriftlichen Widmung »Dem verehrten Meister im Jahr der Verbrennung, sein getreuer Stefan Zweig« an Freud nach Wien.
Dort war Stefan Zweig vor 125 Jahren, am 28. November 1881 am Schottenring zur Welt gekommen. Die Eltern waren assimilierte großbürgerliche Juden, der Vater Textilunternehmer, die Mutter aus einer etablierten Bankiersfamilie stammend. »So wie meine Eltern haben zehntausend oder zwanzigtausend Familien in Wien gelebt in jenem Jahrhundert der gesicherten Werte.« Der junge Zweig ging aufs Gymnasium, wo er »einige hundert Gedichte« schrieb, wie er sich später erinnerte. Er studierte Philosophie und Literaturgeschichte in Wien und Berlin, reiste nach Frankreich und Belgien, promo- vierte 1904. Und er schrieb: Noch vor dem Ersten Weltkrieg erschienen aus seiner Feder Übersetzungen von Verlaine, ein Essay über William Blake, Theaterstücke und Novellen. Während des Kriegs begegnete er in der Schweiz Romain Rolland, Max Reinhardt, James Joyce und Hermann Hesse. 1920 heiratete er Friderike von Winternitz, eine aus jüdischer Familie stammende Katholikin mit zwei Töchtern aus erster Ehe.
Die Zweigs lebte in einem herrschaftlichen Haus am Kapuzinerberg in Salzburg. Hier entstand in kurzer Zeit ein literarisches Werk von beeindruckenden Di- mensionen: Eine kritische Edition von Do-stojewskis sämtlichen Romanen, Novellen, eine Romain-Rolland-Biographie, ein Essayband über Hölderlin, Kleist und Nietzsche, das Theaterstück Volpone, das am 6. November 1927 im Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde und vor allem die im selben Jahr erschienenen Sternstunden der Menschheit – fünf historische Mi-niaturen. Zweigs populärstes und erfolgreichstes Buch schildert einige dramati- sche Stunden oder Tage im Leben von historischen Persönlichkeiten, deren Entscheidungen den weiteren Verlauf der Menschheitsgeschichte bestimmten: Die Schlacht von Waterloo, Goethes unerfüllte Liebe zu Ulrike von Levetzow, Johann August Suters Entdeckung von Gold in Kalifornien, Dostojewskis Begnadigung in letzter Sekunde sowie Scotts und Amundsens Wettlauf zum Südpol. Danach schrieb er erfolgreiche Biographien von Joseph Fouché, Marie Antoinette und Erasmus von Rotterdam sowie das Libretto zur Oper Die schweigsame Frau von Richard Strauss.
Schon 1934, vier Jahre vor dem »Anschluß« verließ Zweig seine Heimat Österreich. Er, der an Martin Buber einmal geschrieben hatte, »daß ich die Diaspora lie- be«, spürte früh, daß das, was in Deutschland ein Jahr zuvor begonnen hatte, sich bald über ganz Europa blutig ausbreiten würde. Er lebte in London bevor er 1938 nach Brasilien ging, wo er seine bis heute in aller Welt populäre Schachnovelle beendete. Als sie im Exilverlag von Gottfried Berman Fischer in Stockholm erschien, hatte der Zweite Weltkrieg gerade begonnen. Wie sehr das europäische Gemetzel dem überzeugten Pazifisten zusetzte, belegt die Reaktion Zweigs, nachdem ein Freund in Brasilien in einem Brief von einem »geglückten« Luftangriff auf Berlin geschrieben hatte: »Wissen Sie, ich kann da nicht mitmachen, wenn da jemand triumphierend sagt: Berlin ist aber tüchtig bombardiert worden...«
Angesichts des Kollapses all seiner Ide-ale von Vernunft und Solidarität fiel Stefan Zweig zunehmend in Verzweiflung. Es ist wohl kein Zufall, daß er seiner im Exil entstandenen Autobiographie den Titel Die Welt von gestern gab. Wenige Monate bevor er mit seiner zweiten Frau Suizid beging, schrieb Zweig: »Ich passe nicht in diese Zeit. Diese Zeit mißfällt mir.«

Neu erschienen ist: Stefan Zweig/Friderike Zweig: »Wenn einen Augenblick die Wolken weichen« Briefwechsel 1912 - 1942, (434 S., 24,90 €)

München

Paul Lendvai: »Freiheit ist ein Luxusgut«

Mit 96 Jahren blickt der Holocaust-Überlebende auf ein Jahrhundert zwischen Gewalt und Hoffnung zurück. Besorgt zeigt er sich über die Bequemlichkeit der Gegenwart - denn der Kampf »gegen das Böse und Dumme« höre niemals auf

 21.10.2025

Abkommen

»Trump meinte, die Israelis geraten etwas außer Kontrolle«

Die Vermittler Steve Witkoff und Jared Kushner geben im Interview mit »60 Minutes« spannende Einblicke hinter die Kulissen der Diplomatie

von Sabine Brandes  20.10.2025

Washington

Trump droht Hamas mit dem Tod

Die palästinensische Terrororganisation will ihre Herrschaft über Gaza fortsetzen. Nun redet der US-Präsident Klartext

von Anna Ringle  16.10.2025

Terror

Hamas gibt die Leichen von Tamir Nimrodi, Uriel Baruch und Eitan Levy zurück

Die vierte Leiche ist ein Palästinenser

 15.10.2025 Aktualisiert

München

Friedman fordert Social-Media-Regulierung als Kinderschutz

Hass sei keine Meinung, sondern pure Gewalt, sagt der Publizist. Er plädiert für strengere Regeln

 10.10.2025

Waffenruhe

»Wir werden neu anfangen, egal, wie schwer es ist«

Im Gazastreifen feiern die Menschen die Aussicht auf ein Ende des Krieges

 09.10.2025

Perspektive

Wir lassen uns nicht brechen – Am Israel Chai! 

Ein Zwischenruf zum 7. Oktober

von Daniel Neumann  06.10.2025

Berlin

Preis für Zivilcourage für Brandenburger Bürgermeisterin

Christine Herntier wird für ihr Engagement gegen Rechtsextremismus vom »Denkmal für die ermordeten Juden Europas« und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ausgezeichnet

 01.10.2025

Terror

»Das Einfühlungsvermögen für Juden ist aufgebraucht«

Die Berliner Psychologin Marina Chernivsky zieht eine bittere Bilanz nach dem 7. Oktober

von Franziska Hein  30.09.2025