Israel

Fluch und Segen

von Rabbinerin Gesa Ederberg

Der hebräische Name unseres Wochenabschnitts und auch des ganzen vierten Buches der Tora lautet Bamidbar, zu Deutsch: »in der Wüste«. Ursprünglich hat sich dieser Name nur ergeben, weil hebräische Texte oft nach ihren Anfangsworten benannt werden, und es hier heißt: Der Ewige sprach zu Mosche in der Wüste …
In diesem Fall trifft der Name auch tatsächlich den Inhalt, denn dieses Buch erzählt von 38 der insgesamt 40 Jahre, die das Volk Israel durch die Wüste gewandert ist. Jahre der Mühsal und des Kampfes, aber auch Jahre, in denen aus einem Haufen befreiter Sklaven ein Volk wurde, das diese Wanderung überstand und sich nicht mehr unterdrücken ließ.
Jeder von uns hat ein Bild, ja vielleicht viele Bilder der Wüste im Kopf. Manche dieser Bilder sind mit Not verbunden, mit Durst und Hunger, mit Sandstürmen und erbarmungsloser Sonne. Andere Bilder sind positiver und zeugen von Freiheit und Reinheit, von der Abwesenheit von Menschenmengen und von spirituellen Erfahrungen.
Auch in der jüdischen Tradition gibt es diese beiden Deutungen der Wüste, und sie sind beide in der Bibel verankert: In der Tora wird die 40-jährige Wanderung als Strafe verstanden. Mosche und dem ganzen Volk, das aus Ägypten ausgezogen ist, werden Kleinmut und Ungehorsam gegenüber Gott vorgeworfen. Und tatsächlich spielen die Geschichten vom Goldenen Kalb oder von der Rotte Korach alle in der Wüste. Die Wüste ist hier der Ort der Verfehlung und der Bestrafung. Auch der Sündenbock wird »in die Wüste geschickt«. Die Dauer der Wüstenwanderung ist Sühne für die mangelnde Bereitschaft, auf Gott zu vertrauen.
Die Propheten Hoschea und Jeremia aber verstehen die Zeit der Wüstenwanderung ganz anders: Für sie ist es die Zeit der aufkommenden Liebe zwischen Gott und seinem Volk, eine Zeit der ungestörten, reinen Gottesbeziehung, bevor das Zusammenleben mit anderen Völkern auch zur Übernahme von fremden Gottesvorstellungen kommt.
In der Mischna vertreten Rabbi Akiva und Rabbi Elieser diese beiden Gegensätze: In Sanhedrin 10 heißt es: »Ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt«. Für Rabbi Akiva gehört die Wüstengeneration zu den wenigen Ausnahmen von dieser Regel im jüdischen Volk. Sie hat keinen Anteil an der zukünftigen Welt, denn – so zitiert er aus der Tora (4. Buch Moses 14,35): »In dieser Wüste sollen sie hinschwinden und da sollen sie sterben.«
Rabbi Elieser beruft sich dagegen auf Psalm 50,5: »Versammelt meine Frommen mir, die meinen Bund geschlossen über dem Opfer.« Selbstverständlich zählt die Generation, die am Sinai die Tora erhalten hat, zu den Frommen, die Anteil an der kommenden Welt haben.
Auch im modernen Zionismus kann man diese Ambivalenz gegenüber der Wüste sehen. Der Staat Israel ist einerseits stolz darauf, die Wüste zu besiegen, sie zum Blühen zu bringen – und die Israelis sind weltweit als Experten für Bewässerungstechnik in Wüstenklimaten anerkannt. So liegt beispielsweise mitten im Negev der Kibbuz Jotvata, der eine äußerst erfolgreiche Milchviehwirtschaft betreibt.
Andererseits war gerade für viele junge Kibbuzniks und Stadtbewohner zur Zeit der Staatsgründung vor 60 Jahren der (muslimische!) Beduine, der als freier Mensch die Wüste durchstreift, das Ideal und Vorbild schlechthin.
In allen Fällen bleibt die Zeit in der Wüste jedoch in der Tora nur eine Durchgangsstation. Sei diese Zeit gut oder schlecht, das Ziel ist der Einzug in das Land Israel. Die Wüste ist per Definition die Ausnahme, selbst da, wo sie als der Ort gilt, in der Gott reiner zu erfahren ist, als es in dem von Menschen und ihrem Alltagsleben überquellenden Kulturland möglich ist. Ohne die direkte Hilfe Gottes hätte das Volk Israel in der Wüste nicht überleben können. Nur weil Gott jeden Tag Manna regnen ließ und Mosche in der Not aus Stein Wasser fließen lassen konnte, war es mit der Geschichte der Nachkommen Abrahams und seiner Verheißung nicht damals schon vorbei.
Viele der Regeln und Anweisungen, die die Tora für das Leben in der Wüste gibt, üben letztlich nur ein, was später im Lande Israel passieren wird. So ist zum Beispiel das Stiftszelt in der Wüste ein Modell und Vorgeschmack des Tempels, den David für Gott erbauen lässt.
Man kann diese Ambivalenz zwischen der Wüste als dem Ort der besonderen Gottesbegegnung und dem gelobten Land als dem Ort des gelebten Alltags sicher auch verallgemeinern. Unter den extremen Bedingungen der Wüste wird das Wesentliche deutlicher, das Lebensnotwendige lässt sich besser erkennen. Zugleich aber kann man unter diesen extremen Bedingungen ohne Gottes ständigen rettenden Eingriff gar nicht leben. Es ist kein Zufall, dass, wie auch immer positiv oder negativ die jüdische Tradition sich auf die Zeit der Wüstenwanderung bezieht, diese Zeit nie zum Vorbild für uns heute, zum Vorbild für ein reineres jüdisches Leben erhoben wird. Wir können aus den Erfahrungen der Wüstengeneration lernen, ja wir können sogar selber spirituelle Erfahrungen in der Wüste machen. Doch wir leben im Kulturland, dafür sind die Regeln des jüdischen Lebens, die Regeln der Halacha, gemacht.

Die Autorin ist Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.

Nach Absage in Belgien

Dirigent Shani in Berlin gefeiert

Nach der Ausladung von einem Festival werden die Münchner Philharmoniker und ihr künftiger Chefdirigent Lahav Shani in Berlin gefeiert. Bundespräsident Steinmeier hat für den Fall klare Worte

von Julia Kilian  15.09.2025

New York City

UN-Sicherheitsrat verurteilt Israels Angriff auf Katar einhellig

Sogar die USA schlossen sich der Erklärung an

 12.09.2025

Eurovision Song Contest

Gegen Israel: Irland erpresst Eurovision Song Contest-Veranstalter

Nach Slowenien hat auch Irland verkündet, dem Eurovision Song Contest fernzubleiben, sollte Israel teilnehmen. Damit verstoßen sie gegen Grundregeln des international beliebten TV-Wettbewerbs

 11.09.2025

Krieg

Zwei Raketen aus Gaza auf Israel abgeschossen

Am Sonntagmorgen wurde Israel aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen. Eine Bekenner-Erklärung gibt es auch

 07.09.2025

Berlin

Uni-Präsidentin rechnet mit neuen »propalästinensischen« Aktionen

Die Präsidentin der Humboldt-Universität, Julia von Blumenthal, rechnet zum Wintersemester erneut mit »propalästinensischen« Aktionen. Dabei seien unter den Beteiligten kaum Studierende

 07.09.2025

Diplomatie

Netanjahu geht auf Belgiens Premier los

Für seine Entscheidung, Palästina als Staat anzuerkennen, wird Bart De Wever vom israelischen Ministerpräsident persönlich attackiert

von Michael Thaidigsmann  04.09.2025

Hannover

Angriff auf Gedenkstätte: Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Ein 26-jähriger Rechtsextremist war im Mai in Budapest festgenommen worden

 02.09.2025

Nahost

Deutscher Beauftragter für Menschenrechte reist nach Israel

Lars Castellucci macht sich ein persönliches Bild von der Lage in Israel und den palästinensischen Gebieten. Ein Augenmerk liegt darauf, wo deutsche Hilfe möglich ist - und wo sie behindert wird

 01.09.2025

Rotes Meer

Huthi greifen Öltanker an

Das Schiff gehört einem israelischen Milliardär

 01.09.2025