Hunger

Der allen Nahrung gibt

Mehr als eine Milliarde Menschen auf der Welt leidet Hunger – so viele wie nie zu-
vor. Das geht aus dem neuesten Bericht »The State of Food Insecurity 2009« des UN World Food Programme hervor. Gründe für die Ernährungskrise gibt es viele, dabei wird auch die Finanzkrise genannt. Alles hängt mit allem zusammen. Die Bauern haben weniger zu produzieren, die Konsumenten weniger Geld, um zu kaufen. Die Staaten haben weniger finanzielle Ressourcen für Entwicklungshilfe, die Migrantenarbeiter können weniger Geld nach Hause schicken. Es sind Menschen, die leiden.

Katastrophe Wie kann ein Rabbiner, der nie wirklich gehungert hat, darüber schreiben? Und das erst recht, nachdem wir uns erst vor weniger Wochen beim Feiertagsmarathon der Völlerei hingegeben haben. Der Bericht zeigt eine menschliche Ka-
tastrophe. Darüber kann man keine Witze machen. Die Frage ist nur: Was kann man machen? Was ist zu tun? Und gibt es Möglichkeiten, so zu handeln, dass das Problem sich nicht immer wiederholt, sogar verschlechtert? Schon sind die Meere fast leergefischt, große Teile der Erde fast steril geworden durch eine zu intensiv betriebene Landwirtschaft, mit künstlichen Düngemittel und Chemikalien – alles was kurzfristig hilft, aber langfristig das Land frisst.

Tora Hilft der Blick in die Tora? Gewiss. Es gibt mehrere Hinweise zu Hungersnöten in der Bibel. Im 1. Buch Moses (12,10) zum Beispiel muss Abraham seine Frau nach Ägypten bringen – sie flüchten vor dem Hunger. In Kapitel 13 ist der Notstand schon wieder vorbei, doch es gibt Zank, weil das Land nicht groß oder fruchtbar genug war für alle, die dort leben wollten. Im Kapitel 26 muss Jitzhak wegen »einer anderen Hungersnot« auch seine Wohnstätte verlassen, geht nach Gerar. Diese zwei Miseren waren von nur relativ kurzer Dauer und örtlich begrenzt. Anders ist es in der Geschichte von Jaakow. Zuerst geht sein Sohn Josef nach Ägypten. In Kapitel 41 kann er dort vorhersagen, was Gott für die gesamte Welt geplant hat. Der junge Josef wird zum Vize-Pharao ernannt. Später lesen wir von den sieben Jahren im Überfluss, und der darauffolgenden siebenjährigen Periode der Dürre, eine Hungersnot »Bechol Haarazot«, in allen Ländern. Nur in Ägypten gibt es Vorräte, aber um zu überleben, müssen die Ägypter zuerst ihr Kapital und dann ihr Land und schließlich ihre eigene Freiheit an den Staat verkaufen. Alle anderen müssen auch als machtlose Bettler vor dem ägyptischen Handelsministerium erscheinen. Das hat Josef sozusagen als damaliger Minister durchgesetzt.
Auch das Buch Ruth beginnt mit einer Hungersnot – anscheinend lokalisiert, weil Elimelech seine Familie von Betlehem (hebr.: Haus des Brotes) nur einige Kilometer weit weg nach Moab bringt. Wir lesen nicht, dass auch andere geflüchtet sind. Stattdessen findet die Geschichte ihren Höhepunkt einige Jahre später bei einem Erntefest, einer Party an der Tenne, wo alle wieder satt und glücklich sind.

Ursache So weit die biblischen Geschichten. Nun die Frage nach den Ursachen. Verschiedentlich wird Hunger als göttliche Strafe beschrieben. Sogar im zweiten Ab-
schnitt des Schema-Gebetes heißt es: »Lasst euer Herz nicht verführt werden! ... Sonst wird der Zorn des Ewigen gegen dich entbrennen ... es wird kein Regen fallen, der Acker wird keinen Ertrag bringen, und ihr werdet ... aus dem prächtigen Land getilgt sein.«
Dabei stehen wir vor einem interessanten theologischen Problem: Wir sind so ge-
schaffen worden, dass wir essen müssen. Und das regelmäßig, wir brauchen pro Tag Vitamine und Ballaststoffe, wir brauchen Kalorien. Aber die einzige Quelle für Nahrungsmittel ist unsere Welt, die auch von Gott geschaffen worden ist. Das heißt, um zu leben, müssen wir andere Schöpfungen Gottes töten und konsumieren. Genau wie es auch die Tiere tun.
Nur einmal gab es »Brot vom Himmel«, das Man. Sonst kommt Brot nur aus der Erde, »Hamotzi Lechem min Haaretz«. Und wie wir jetzt wissen, ist auch in unserer heutigen globalisierten Welt die Erde begrenzt.
Vielleicht also liegt das Problem ganz woanders? Das erste Gebot hieß: »Seid fruchtbar und mehret euch« (1. Buch Mo-
ses 1,28). Und dies ist die einzige Mizwa, die die Menschheit erfolgreich und ziemlich enthusiastisch erfüllt hat. Welche Lö-
sung wir auch immer für diejenigen finden können, die heute unter Hunger leiden. Das Problem wird nicht beseitigt, es wird wachsen. Im wahrsten Sinne des Wortes, durch die Zahl der Menschen auf dieser Erde. Eine langfristige Lösung kann nur gefunden werden, wenn weniger Menschen geboren werden. Aber wer wird das sagen? Denn auch das betont die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft: Die Agrarinvestitionen in den ar-
men Ländern müssten sich verfünffachen, um die Ernährung der Weltbevölkerung bis 2050 sicherzustellen. Denn bis dahinwird es der FAO zufolge schätzungsweise 9,1 Milliarden Menschen weltweit geben. Heute sind es 6,5 Milliarden.

Ernährer Im Tischgebet danken wir Gott dafür, das er der ganzen Welt Nahrung gibt: »Hasan et haolam kulo ... hu noten lechem lechol bassar ... weal jechssar lanu mason ... hasan et hakol« (dt.: »Der Essen für die ganze Welt gibt, der Nahrung für alle Lebewesen gibt ... der uns nie hungern lassen wird ... der alles ernährt«). Ist das wirklich wahr, haben wir genug Nahrung? Ist es also nur eine Frage, wie wir das richtig verteilen? In einer Welt, in der die einen an den Folgen von Überernährung leiden, andererseits viele gegen Unterernährung kämpfen und an Hunger sterben, kann man das so einfach behaupten?

Mahnung Deshalb mahnt uns Moses (5. Buch Moses 8,10): »Wenn du gegessen hast und satt geworden bist, dann preise den Ewigen, deinen Gott«. Diese Mahnung tut not. Denn wenn man satt ist, ist es leicht zu vergessen, was es bedeutet, Hunger zu leiden. Dann ist es auch einfach, zu vergessen, dankbar zu sein. Wir sollen durch eine Bracha immer zeigen, dass wir nichts als selbstverständlich nehmen, dass wir Gott für jedes Lebensmittel danken sollen. Und wir sollten an die anderen Weisungen denken, die von Zedakka und Tikkun Olam. Wenn wir zu viel haben, und andere zu wenig, sollten wir Gerechtigkeit, Zedakka, walten lassen. Wir müssen abgeben. Nahrung, Geld, Wissen.
Und noch einmal zurück zur Bibel. Vielleicht können wir uns auch an Josef ein Beispiel nehmen. So wie wir heute, schaute auch er damals auf eine Welt, die alle ihre Bewohner ernähren konnte. Nur er sah mit Gottes Hilfe den Mangel kommen, und er hatte die politische Macht, etwas zu unternehmen. Auch wenn wir darüber nicht verfügen, sollten wir nicht blind sein. Wir sollten vorausschauen und überlegen, was wir – jeder von uns – tun können, um unsere Welt zu einer fairen Welt zu machen, und welchen Preis wir bereit wären, dafür zu bezahlen.

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