Korfu

Arm an Betern

von Ludger Heid

Zu Füßen der trutzigen Neuen Festung von Korfu-Stadt, die die Korfioten Kerkyra nennen, liegt im Westen der Altstadt der Inselhauptstadt das ehemalige Judenviertel Evraiki, das durch deutsche Deportationen und Bombardements während des Zweiten Weltkriegs praktisch ausgelöscht wurde. Am Eingang der pittoresken Altstadt bemerkt der Besucher an der Odos Solomou eine Bronzeplastik. Es ist das Mahnmal für die im Juni 1944 von den Nationalsozialisten nach Auschwitz-Birkenau verschleppten 2.000 Juden aus Korfu, von denen 130 überlebten.
Vier Synagogen hatte die einst zu Italien gehörende Insel noch zu Beginn des Ersten Weltkriegs. Neben der Architektur, der Sprache, dem Lebensstil brachten die Italiener auch Unterdrückung und Gewalt auf die ionischen Atolle. Ihrer viel gerühmten Toleranz zum Trotz waren sie, da soll man sich nichts vormachen, auch Fremdherrscher und nicht gerade zimperlich, wenn es um Juden ging. Drei zerstörte Synagogen, die Korfu einst beherbergte, gehen auf das Konto der Italiener. Übrig geblieben ist eine namenlose Synagoge, die sich keineswegs »unscheinbar« präsentiert wie der Reiseführer glauben machen will. Dass diese letzte Synagoge die italienische Fremd- und die deutschen Schreckensherrschaft unbeschadet überstanden hat, ist allein dem Zufall geschuldet.
In der ersten Etage setzt ein großzügiger Betraum den Besucher in Erstaunen. Durch die bunten Fenster flutet Sonnenlicht und gibt den Blick frei auf den Toraschrein, der hier Hekal genannt wird, an der Jerusalem zugekehrten Wand. Ungewöhnlich der Standort des dominierenden und in kunstvoller Arbeit ausgeführten mit Baldachin versehenen Almemors gegenüber dem Toraschrein, wie in romanischen Synagogen üblich, an der Westseite der Synagoge. Im Zentrum des Betraumes die Sitzbänke quer zu den beiden rituellen Kristallisationspunkten, was den Betern – entweder Rücken an Rücken oder sich direkt zugewandt – die Möglichkeit gibt, das religiöse Geschehen zu verfolgen.
Einen eigenen Rabbiner kann sich die Gemeinde nicht leisten. Nur an den Hohen Feiertagen bestellt sie einen Rabbiner, der sich aus Italien einschiffen lässt. In dringenden religiösen Fällen muss der Athener Rabbiner einspringen. Und damit haben sich die religiösen Aktivitäten auch schon nahezu erschöpft, sieht man einmal davon ab, dass es im letzten Jahr zwei Bar Mizwot gab. Die letzte jüdische Hochzeit liegt schon 15 Jahre zurück.
Die heute aus etwa 60 Personen bestehende Gemeinde setzt sich zumeist aus kleinen Geschäftsleuten zusammen, die ihre Läden im ehemaligen jüdischen Viertel um die Synagoge betreiben. Die meisten wohnen auch in der Evriaki. Die Gemeinde ist überaltert, es gibt 23 Kinder. Ein Teil der Älteren spricht noch Ladino. Die Gemeinde finanziert sich aus Mitteln, die aus Athen kommen, Zuwendungen ehemaliger in der Welt zerstreut lebender Mitglieder und Spenden von Synagogenbesuchern. Gemeindevorsitzender ist der 58 Jahre alte Bauingenieur Raphael Linos Sousis.
Die Gemeinde lebe mit der korfiotischen Bevölkerung im besten Einvernehmen, sagt Sousis. Das größte Problem sei nicht ein kaum wahrnehmbarer Antisemitismus, sondern die fortgeschrittene Assimilation, wie der Gemeindevorsitzende bedauert. Seine Familie sei das beste Beispiel: Seine beiden Töchter studieren und leben in Großbritannien, »wo sie ihre Jüdischkeit ver-
lieren«.
Zwei Chassiden sind zu Besuch in Kerkyra, Seminaristen einer New Yorker Jeschiwa der Chabbad Lubawitsch, die für drei Wochen die griechisch-jüdischen Gemeinden bereisen. Zwei jüdische Welten treffen dabei in Korfu aufeinander. Hier der emanzipierte griechische Jude Linos Sousi mit seinem Lacoste-Hemd und daneben die zwei nach strenger chassidischer Vorschrift lebenden bärtigen Jeschiwe Bocherim mit ihren Schläfenlocken und breitkrempigen schwarzen Hüten. An die staunenden Talmudstudenten gewandt, sagt Sousi: »In euch habe ich gute Botschafter im Jüdischsein: Ihr tut etwas für mich, was ich nicht kann – beten.«
Für einen Tag scheinen die Chassiden der dahinsiechenden Gemeinde auf Korfu neues Leben einzuhauchen. Doch allen Werbens für einen Minjan zum Trotz, scheitert das notwendige Beterquorum an der sprichwörtlichen Unzuverlässigkeit der angesprochenen griechischen Männer aus der Gemeinde.
Die offene Eingangstüre der Synagoge, die täglich eine Handvoll Inselbesucher anzieht, und die zugemauerte Mikwe im Innenhof stehen symbolisch für die Realität jüdischer Existenz auf Korfu heute. Die Gemeinde ist arm an Betern. Die Gefahr, dass es schon in ein paar Jahren keine jüdische Gemeinde auf Korfu mehr gibt, ist groß. »Vielleicht werden wir«, orakelt der Gemeindevorsitzende Linos Sousi, »in 20 oder 30 Jahren an die Stadtverwaltung herantreten müssen und diese bitten, unser Gotteshaus als Museum weiterzuführen.«

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