hofintrigen

Allein am Nil

Diese Woche erreicht die Josefserzählung ihren dramatischen Höhepunkt. Josef, Vizekönig von Ägypten, sieht seine Brüder als Bittsteller, als Lebensmitteleinkäufer wieder. Die Geschwister, die ihn einst nach Ägypten verkauften, stehen nun vor ihm und verneigen sich tief, wie es sich vor einem mächtigen Herrn gehört – genauso wie es Josef vor Jahren im Traum vorhergesehen hatte.
Josef treibt ein hartes Spiel mit ihnen: Nachdem sie Getreide eingekauft haben, lässt er seinen Kelch im Sack von Benjamin, dem Jüngsten, verstecken. Daraufhin werden die Brüder verfolgt, verhaftet und stehen bald verzweifelt vor Josef. Sie wissen, dass sie diesmal unschuldig leiden, aber damals, als sie grausam und gewissenlos ihren Bruder verkauften, damals haben sie sich schuldig gemacht. Jetzt bekennen sie sich dazu – zumindest untereinander.
Jehuda ergreift das Wort: Aus seiner Rede strahlt das Gefühl der Verantwortung. Er ist bereit, für den zu büßen, in dessen Sack der Kelch gefunden wurde, für den Jüngsten, für Benjamin. Josef, der Vizekönig, weiß jedoch, was er seinem Amt schuldig ist. Er gibt sich nobel, will keine Ungerechtigkeit. Nur derjenige, der sich selbst schuldig gemacht habe, soll eingekerkert werden. Die anderen dagegen mögen zu ihrem alten Vater zurückkehren. Doch Jehuda argumentiert unermüdlich weiter: Den Verlust eines weiteren geliebten Sohnes, einen von der verstorbenen Mutter, würde der Vater nicht verkraften. Er zieht alle Register seiner Redekunst, um auf die Gefühle des Vizekönigs eine Wirkung zu erzielen – bis Josef schließlich in Tränen ausbricht und den Geschwistern seine Identität preisgibt.

tränen Raschi (1040–1105), der mittelalterliche Torakommentator aus Worms, bemerkt dazu, dass »Josef des Öfteren weinte«. Vermutlich fiel dies dem Kommentator auch deshalb auf, weil er weder in Nordfrankreich, wo er geboren wurde, noch im Rheinland jemals erlebt hatte, dass Männer ihren Gefühlen freien Lauf ließen. Josef hingegen und auch andere Männer der Bibel pflegten ihre Empfindungen offen, manchmal sogar überzogen, zu zeigen.
Die genauen Beobachter der biblischen Josefsgeschichte notieren sogar fünf Vorkommnisse, bei denen Josef in Tränen ausbrach: das erste Mal, als Reuwen die Geschwister daran erinnerte, dass er sich ge- gen den Verkauf des Bruders gestemmt habe; dann, als die Geschwister seinen jüngeren Bruder Benjamin zuführten; auch, als ihm erzählt wurde, dass der geliebte Vater Jakow es nicht überleben würde, wenn Benjamin auf der Reise etwas zustößt. Außerdem brach er in Tränen aus, als er seinen Vater wiedersah, und zuletzt weinte er verbittert, weil die Geschwister nach dem Tod ihres Vaters offen die Befürchtung geäußert hatten, dass der mächtige Josef sich nun für all das erlittene Unrecht rächen könnte. Dass sie ihm dies zutrauten, verärgerte ihn, doch er tobte nicht, sondern weinte. Es ist vor allem Josefs Gefühlsbetontheit, die aus der biblischen Gestalt eine liebenswerte Figur für Literaten machte.
Die Kommentatoren sind voller Fragen über diese Erzählung: Wollte sich Josef etwa an den Geschwistern rächen? Oder wollte er sie nur auf die Probe stellen, wie sie sich heute ihrem Jüngsten gegenüber verhalten würden? Hat Jehuda seinen Bruder Josef vielleicht doch erkannt und wollte den mächtigen Vizekönig zum Einlenken zwingen? Über all diese Fragen kann man lange diskutieren.

spionage Don Jitzchak Abarbanel (1437–1508), der mittelalterliche spanische Autor, der als hoher Finanzbeamter am portugiesischen Hof diente, fragte sich, warum Josef in all den Jahren in Ägypten nie Kontakt zu seiner Familie gesucht hatte. Am Anfang hatte er wahrlich keine Möglichkeit dazu, aber als Vizekönig hätte er sogar einen Boten zu seinem Vater senden können. Abarbanel entwickelt eine logische Argumentation, um dies zu erklären: Josef war ein Emporkömmling, dazu noch ein »Ausländer«, und er hatte im Gefängnis gesessen.
Sicherlich gab es am Hofe viele Neider und Feinde, die ihn wegen seines raschen Aufstiegs argwöhnisch beobachteten. Sie warteten nur auf eine passende Gelegenheit, um ihn vor dem Pharao diskreditieren zu können, indem sie ihm Spionagekontakte ins Ausland verwarfen. Und Josef wusste auch: Obwohl er das richtige Wirtschaftsprogramm hatte und das Volk vor dem Verhungern rettete, war er nicht beliebt im Land. In dieser angespannten Lage traute er sich nicht, Kontakt zu seinem Vater in Kanaan aufzunehmen.
Man kann sich vorstellen, in welcher Bedrängnis die Brüder waren, als sie erkannten, dass ihr geschundener Bruder Vizekönig von Ägypten geworden war. Josef aber wollte ihre Ängste zerstreuen. »Nun grämt euch nicht und kränkt euch nicht, dass ihr mich hierher verkauft habt, denn zur Lebenserhaltung hat mich G’tt vor euch hergesandt« (1. Buch Moses 45,5).
Und als er so das Vertrauen seiner Brüder gewann, bat er sie, diese »frohe Botschaft« rasch dem Vater kundzutun und ihn zu bitten, mit all seinem Hab und Gut nach Ägypten zu ziehen. Denn die Hungersnot würde noch mindestens fünf Jahre lang herrschen. Jakow entschließt sich nicht leicht, nach Ägypten überzusiedeln. Hatte die die g’ttliche Stimme doch seinem Vater Jitzchak untersagt, das Land der Verheißung zu verlassen. Doch der Wunsch, Josef vor seinem Tod noch einmal zu sehen, und die g’ttliche Zusicherung: »Ich werde mit dir nach Ägypten hinabziehen und dich auch wieder von dort heraufführen« (46,4) lassen ihn seine Bedenken überwinden.
Mit dieser Übersiedlung des letzten der drei Erzväter beginnt ein neuer Abschnitt in der Geschichte: das Leben der Kinder Israels in der Diaspora, im fremden Ausland. Der Weg von der Freiheit in die Knechtschaft hat begonnen. Doch in der Sklaverei Ägyptens wurde aus der Familie Jakows ein Volk.

Sydney

Jewish organizations decry the »scourge« of antisemitism

This time the focus is on Australia. It is hosting a conference of the international Jewish initiative »J7.« The group is presenting figures on Jew-hatred on the continent – and speaks of historic highs.

von Leticia Witte  03.12.2025

Kino

Blick auf die Denkerin

50 Jahre nach Hannah Arendts Tod beleuchtet eine Doku das Leben der Philosophin

von Jens Balkenborg  02.12.2025

Thüringen

Verfassungsschutz-Chef schätzt AfD-Jugend als rechtsextrem ein

Die Mitglieder der »Generation Deutschland« würden in ihren ersten Auftritten »weder eine Mäßigung noch eine Distanzierung oder gar Wandlung« zeigen, so Kramer

 02.12.2025

Tel Aviv-Jaffa

Shimon-Peres-Preis wird erstmals in Israel verliehen

60 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Israel sind der Anlass: Zum ersten Mal wird der Shimon-Peres-Preis für gemeinsame demokratische Vorhaben in Israel feierlich übergeben

von Alexander Riedel  01.12.2025

TV-Kritik

Viel Krawall und wenig Erkenntnis: Jan Fleischhauer moderiert im ZDF den Kurzzeitknast der Meinungen

Mit »Keine Talkshow - Eingesperrt mit Jan Fleischhauer« setzt das ZDF auf Clash-TV: ein klaustrophobisches Studio, schnelle Schnitte, Big-Brother-Momente und kontroverse Gäste - viel Krawall, wenig Erkenntnis

von Steffen Grimberg  24.11.2025

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

Hebraica

»Was für ein Buchschatz!«

Stefan Wimmer über die Münchner Handschrift des Babylonischen Talmuds als UNESCO-Weltkulturerbe

von Ayala Goldmann  23.11.2025

TV-Tipp

Oliver Masucci brilliert in dem Mehrteiler »Herrhausen - Der Herr des Geldes«

Biografischer Mehrteiler über Bankier Alfred Herrhausen

von Jan Lehr  17.11.2025

Amsterdam

Chanukka-Konzert im Concertgebouw kann doch stattfinden

Der israelische Kantor Shai Abramson kann doch am 14. Dezember im Amsterdamer Konzerthaus auftreten - allerdings nur bei zusätzlich anberaumten Konzerten für geladene Gäste

 13.11.2025