Bolivien

Adios, Sozialismus!

von Daniel Bush

Am Sonntag werden die Weichen gestellt. Mehr als jedes andere Ereignis der letzten Jahre wird der für 4. Mai geplante nationale Volksentscheid über eine neue Verfassung Einfluss auf die Zukunft des bolivianischen Judentums haben. Seit Wochen kämpft die Mittel- und Oberschicht, einschließlich der Juden des Landes, gegen den Verfassungsentwurf, der eine stärkere Kontrolle des Staates über private Unternehmen vorsieht.
Die jüdische Gemeinschaft Boliviens ist in den letzten Jahren stark geschrumpft. Viele haben das Land auf der Suche nach freier, unbehinderter beruflicher Entfaltung verlassen, seitdem 2005 der Sozialist Evo Morales zum Präsidenten gewählt wurde. Das erste indigene Staatsoberhaupt Boliviens ist stramm antiamerikanisch und hat sich dem Appell des venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez angeschlossen, eine »Achse des Guten«, bestehend aus Bolivien, Venezuela und Kuba, ins Leben zu rufen.
Laut Ricardo Udler, Präsident des Israeli Circle von La Paz, der jüdischen Hauptorganisation des Landes, verfolgt die jüdische Gemeinschaft mit wachsendem Unbehagen, in welche Richtung das 9-Millionen-Einwohner-Land unter Morales’ Herrschaft treibt. »Die Dinge haben sich radikal geändert«, sagt Udler. Obwohl es keinen offenen Antisemitismus gibt, fühlten sich die etwa 350 Juden des Landes von Morales’ engen Beziehungen zu Chávez und seiner wachsenden Verständigung mit dem iranischen Präsidenten Mahmud Achmadinedschad bedroht. »Die Lage könnte sich für uns verschlechtern«, warnt Udler. Seit Morales im Amt ist, hat die jüdische Bevölkerung der Hauptstadt La Paz, wo die meisten Juden leben, um etwa zehn Prozent abgenommen – ein großer Verlust für eine Gemeinde von rund 180 Mitgliedern.
Die Juden Boliviens stecken in dem gleichen Dilemma wie die Juden in Venezuela, dem führenden sozialistischen Land Südamerikas. Wie in Venezuela ist die Angst groß, dass die staatliche Kontrolle über ihre Geschäfte und ihr Leben immer weiter verschärft wird. Und die Tatsache, dass Morales die Beziehungen zu Teheran ausbaut, hat die Beunruhigung verstärkt.
Die wachsende Zahl jüdischer Auswanderer markiert eine überraschende Umkehr. Während des Zweiten Weltkriegs gehörte Bolivien zu den wenigen Ländern Südamerikas, das Visa an europäische Juden vergab. Die Einwanderer siedelten sowohl in La Paz als auch in den Städten Cochabamba und Santa Cruz. Sie gründeten Gemeinden, die in den Nachkriegsjahren aufblühten. Zwischen 12.000 und 15.000 Juden lebten in den 50er-Jahren in La Paz.
Die meisten, die in den vergangenen Jahren das Land verlassen haben, sind bolivianische Juden in der dritten Generation, die sich in den USA, Israel und Europa bessere Ausbildungs- und berufliche Chancen erhoffen. »Wir versuchen, den Weggang der jüngeren Generation zu verhindern und die jungen Leute dazu zu bringen, hier in Cochabamba zu studieren«, sagt Harald Schoengut, Präsident der Israeli Association von Cochabamba. Doch trotz aller Bemühungen hält die meisten jungen jüdischen High-School- und Uniabsolventen nichts im Land. »Die Zukunft hier ist zu ungewiss«, so Schoengut. »Das Problem ist, dass unsere Kinder zum Studieren ins Ausland gehen und nicht wiederkommen«, sagt sein Amtskollege Ricardo Udler. »Meine Söhne zum Beispiel werden nicht nach Bolivien zurückkehren, weil es hier keine jüdische Zukunft gibt.«
Seit Morales an der Macht ist, verlassen zunehmend auch ältere Menschen das Land. »Familien mit größeren und profitablen Geschäften fällt es schwer, alles aufzugeben. Sie tendieren eher zum Bleiben«, sagt Joe Epelbaum, der zusammen mit zwei Schwägern eine große Textilfabrik führt. Er wurde in Polen geboren und kam als Siebenjähriger mit seinen Eltern nach Bolivien. »Für Juden gibt es keine Zukunft hier, selbst wenn jemand ein gut gehendes Geschäft hat.«
Die unberechenbare Arbeits- und Handelsgesetzgebung hat den jüdischen Unternehmern in der Textilindustrie des Landes geschadet, sagt Epelbaum. Die Regie- rung beschränkt den Zugang zu den internationalen Märkten.
Epelbaums Textilgeschäft in einer belebten Straße im Zentrum von La Paz ist voll von Ballen farbiger Stoffe. Ein Bild seiner drei Töchter hängt an der Wand hinter dem Verkaufstresen im rückwärtigen Teil des Ladens. Alle drei haben das Land verlassen. »Dass ich noch hier bin, hat rein wirtschaftliche Gründe«, sagt der Unternehmer. »Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass ich bleiben werde.«
Die beruflich und gesellschaftlich motivierte Auswanderung der jüngeren Juden und der eher politisch motivierte Weggang etablierter Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft des Landes sind der Grund, dass die Tage des bolivianischen Judentums gezählt zu sein scheinen. »In den nächsten zehn bis 20 Jahren«, so Ricardo Udler, »wird es hier keine Juden mehr geben.«

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