Finale

Der Rest der Welt

Noch nie habe ich mich so auf die zehn Bußtage zwischen Rosch Haschana und Jom Kippur gefreut wie in diesem Jahr. Noch nie war ich so interessiert daran, an den Hohen Feiertagen in der Synagoge zu erscheinen. Gerade Jom Kippur war für mich immer ein Riesenproblem: In meinem Sündenregister konnte ich nie genug Missetaten finden, für die sich die ewig langen Bußgebete gelohnt hätten. Zugegeben, in meiner Vergangenheit gab es ein paar Sünden, von denen kein Leser je erfahren wird, aber ich wette, die alten Geschichten werden Haschem allmählich langweilig.

Und sonst? Alles Nichtigkeiten. Warum sollte Er sich anhören, dass es mir leidtut, zu meiner Mutter bei ihrem Berlin-Besuch nicht netter gewesen zu sein, wenn andere Beter mit den großen Themen aufwarten können: Ehebruch, Steuerhinterziehung und Wahlfälschung?

Lektüre Dann wurde mir schlagartig klar, wo mein Denkfehler liegt – nach der Lektüre kluger rabbinischer Texte, die die »Jamim Noraim« als Gelegenheit zur seelischen Erneuerung feiern. Es geht nämlich gar nicht darum, sich schlecht zu fühlen. Es geht darum, sich gut zu fühlen – indem man zum Beispiel (so interpretiere ich unsere Weisen) damit aufhört, sich dauernd Vorwürfe zu machen und sich Launen und persönlichen Sorgen hinzugeben!

Grantigkeit und Miesepetrigkeit sind die größten Sünden überhaupt: Nicht nur Mann und Kind, sondern auch Freunden und Kollegen kann man damit den Tag verderben. Und sich selbst! Also werde ich es ab jetzt aktiv unterlassen, zu bedauern, was ich in meinem Leben falsch gemacht habe. Stattdessen werde ich mir beim Al-Chet-Gebet voller Reue an die Brust schlagen, weil ich das Jahr 5775 nicht bewusster genossen habe.

Zuflucht Mal ehrlich: Ist hier nicht alles im Lot? In unserem Land herrscht Frieden. Wir haben genug zu essen und ein Dach über dem Kopf. Andere Leute flüchten mit ihren Kindern vor dem Krieg. Wir sitzen im Trockenen und denken darüber nach, wie wir uns fühlen, weil sie kommen. Können wir unseren Lebensstandard halten? Und was wird aus uns Juden? Wer beachtet uns noch, wenn Hunderttausende aus dem Nahen Osten hier Zuflucht suchen? Sind wir noch wichtig? Oder sind andere, Gott bewahre, ausnahmsweise einmal wichtiger als wir?

Teschuwa bedeutet, so eine Rabbinerin, dem »göttlichen Anteil in sich selbst und anderen gerecht zu werden«. Ein Therapeut würde sagen: »Lass dich doch einfach mal drauf ein …« Warum eigentlich nicht? Spätestens nach der Neila werde ich wissen, ob die Feiertags-Therapie erfolgreich war. Falls nicht, ist es laut Rabbinern für eine Umkehr nie zu spät!

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