Berlin

Jugendkongress eröffnet

In Berlin ist am Donnerstagabend der bisher größte Jugendkongress des Zentralrats und der Zentralwohlfahrtsstelle (ZWST) der Juden in Deutschland eröffnet worden. Mehr als 400 Jugendliche und junge Erwachsene waren aus allen Teilen der Bundesrepublik in die Hauptstadt gekommen, um an dem viertägigen Kongress unter dem Motto »50 Jahre diplomatische Beziehungen Deutschland – Israel« teilzunehmen.

Ebi Lehrer, Vorstandsvorsitzender der ZWST, sagte zur Begrüßung: »Wir sind der Meinung, dass dieses Thema für euch etwas ganz Wichtiges darstellt. Sonst hätten wir es heute nicht zum ersten Mal geschafft, die 400er-Teilnehmergrenze zu überschreiten.«

Junge jüdische Erwachsene müssten an ihren Universitäten und Arbeitsstellen gewappnet sein »für das, was manchmal auf euch einströmt: nämlich die Kritik am Staat Israel und zunehmend manchmal auch antisemitische Geschichten hier in Deutschland«.

Medien Zentralratspräsident Josef Schuster sagte, die Ablehnung Israels durch viele Menschen in Deutschland, die sich in jüngsten Meinungsumfragen widerspiegele, basiere einerseits auf Unwissen, hänge aber auch mit der einseitigen Berichterstattung über Israel in vielen Medien zusammen. Vermeintliche »Gutmenschen« riefen zum Boykott israelischer Waren aus besetzten Gebieten auf, kritisierte Schuster: »Schließlich, als Gipfel, wird das Existenzrecht Israels infrage gestellt.«

Vielen Menschen sei gar nicht bewusst, dass sie dabei antisemitische Stereotypen verwendeten, wenn sie in Bezug auf israelische Politik von »Genozid« sprächen – und andere Vergleiche zögen, die die Opfer der Schoa verhöhnten, so der Zentralratspräsident.

»Diese Argumentationskette von Mechanismen zu durchbrechen, das ist sicherlich nicht leicht. Dafür braucht man Know-how der israelischen Geschichte und der heutigen politischen Lage«, sagte Schuster weiter. Das sei unter anderem auch die Aufgabe der jungen Generation. »Auch für jüdische Jugendliche gilt es, sich Wissen über Israel anzueignen, nach Israel zu reisen, Wissen über Israel weiterzugeben und mit Empathie über Israel zu sprechen.« Für die jüdische Gemeinschaft überall stehe bis heute fest: »Israel ist für Juden auf der ganzen Welt, in der historischen Erfahrung ganz besonders für Juden in Deutschland, unsere Lebensversicherung.«

Politik Das heiße aber nicht, dass man alles in Israel unkritisch bejahen müsse, so der Zentralratspräsident: »Sicherlich gibt es auch Äußerungen israelischer Politiker und Dinge in Israel seitens der Politik, die man vielleicht selbst nicht unbedingt immer nachvollziehen kann.« Aber etwas gehe »nicht und nie: den Staat Israel in seiner Existenz selbst infrage zu stellen oder stellen zu lassen«, betonte Schuster unter Beifall.

Yakov Hadas-Handelsman, Botschafter des Staates Israel in Deutschland, erklärte, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik vor 50 Jahren sei von manchen Menschen als »Wunder« bezeichnet worden. »Wenn wir die derzeitige Lage in Europa und Deutschland betrachten, dann werden die Herausforderungen nicht kleiner«, so der Botschafter.

Antisemitismus sei nicht nur ein Problem für die Opfer, sondern für die ganze Gesellschaft. Heute manifestiere sich Antisemitismus häufig verpackt als Kritik an Israel: »Wer sagt schon gerne: Ich bin Antisemit. Viel besser ist es doch, zu sagen, ich bin Israelkritiker«, kritisierte Hadas-Handelsman.

Gesellschaft Die Frage sei, ob die europäische und die deutsche Gesellschaft genug tue, um ihre eigenen Werte zu verteidigen. »Die Haltung: Das geht mich nichts an, ich will meine Ruhe haben, ist jedenfalls nicht angebracht. Hier wird die Demokratie angegriffen. Und wer sagt denn, dass es nicht jederzeit auch eine andere Minderheit in Deutschland oder in einem anderen Land in Europa treffen kann. Dies zu verhindern, muss im Interesse aller Demokraten sein, besonders in Deutschland«, unterstrich der israelische Diplomat.

Zu den Teilnehmern des Jugendkongresses sagte Hadas-Handelsman: »Sie haben, so hoffe ich zumindest, auch einen besonderen Bezug zum Staat Israel. Schließlich sind Sie diejenigen, die die israelisch-deutschen Beziehungen schon bald mitgestalten werden, wenn Sie es nicht sogar schon längst tun.«

In ihrem Gastvortrag sagte Hildegard Müller, Präsidentin der Deutsch-Israelischen Wirtschaftsvereinigung und Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft, die Partnerschaft zwischen beiden Ländern sei in beiderseitigem Interesse. Deutschland sei Israels drittgrößter Handelspartner, der Handel mit Israel sichere Tausende deutscher Arbeitsplätze. Im 50. Jahr der deutsch-israelischen Beziehungen sei bewiesen, dass »Deutschland und Israel nicht Vergangenheit, sondern Zukunft miteinander teilen sollten«.

Erwartungen Die Erwartungen der jungen Teilnehmer an die Veranstaltung sind hoch: Ilana (20) sagte, sie sei zum ersten Mal zum Jugendkongress angereist. Sie ist Madricha im Jugendzentrum der Synagogen-Gemeinde Köln und sucht bewusst Kontakt zu anderen jungen jüdischen Erwachsenen: »Im letzten Jahr habe ich nicht so viel Schönes erlebt«.

Die junge Frau berichtete von antisemitischen Anfeindungen in der Schule: »Da hat sich jemand neben mich gesetzt und gesagt: Na, Jude, heute schon ein paar Kinder gebombt?« Auf Facebook bekomme sie Hassnachrichten von Menschen, die sie überhaupt nicht kenne. »Ich bin schockiert darüber, was in den vergangenen Monaten passiert – dieser Aufmarsch von Menschen, die contra Israel und contra Judentum sind. Das habe ich selten in meinem Leben so stark erlebt.« Sie hoffe, beim Jugendkongress zu erfahren, woher dieser Antisemitismus kommt und wie sie sich besser dagegen zur Wehr setzen kann.

Auch Paul (27) aus Offenbach ist zum ersten Mal dabei. »Dieses Jahr war es so, dass mich das Thema sehr interessiert hat. Während meines Politikstudiums habe ich mich sehr intensiv mit deutsch-israelischen Beziehungen beschäftigt, und das war auch eines meiner Abschlussthemen«, sagt er.

zukunft Er fühle sich beiden Ländern sehr verbunden und hoffe, sich in Zukunft auch beruflich mit dem Thema beschäftigten zu können. Auch Freunde zu treffen, sei für ihn interessant, aber in erster Linie habe das Programm ihn nach Berlin gezogen: »Ich wusste, wenn ich nicht hierherkomme, werde ich es bereuen.«

Der Jugendkongress fand unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen statt. In seiner Begrüßung bedankte sich der ZWST-Vorsitzende Ebi Lehrer ausdrücklich bei der Berliner Polizei für ihren Einsatz. »Ihr wisst alle, in welchen kritischen Zeiten wir uns heute befinden.« Auf dem Kongressprogramm stehen von Freitag bis Sonntag Vorträge, Workshops, Diskussionen und Gottesdienste. Am Samstagabend steigt nach der Hawdala die traditionelle Party mit der Showband »MUIZKA«.

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