Pianistin

Zum Frühstück Musik

Elzbieta Sternlicht unterrichtet an der Akademie der Künste und gibt Konzerte in Berlin, Frankreich und Polen. Foto: Gregor Zielke

Ein Tag ohne Klavier? Das ist für Elzbieta Sternlicht nur im Urlaub eine Option. Jeden Morgen setzt sich die Pianistin an ihren Flügel und lässt ihre Finger über die Tasten gleiten. Klavierspielen ist für sie wie Frühstücken.

Tagsüber unterrichtet die 76-Jährige als Dozentin an der Universität der Künste, recherchiert zu unbekannten jüdischen Komponisten oder geht mit der Journalistin und Buchautorin Judith Kessler das Premierenprogramm für ihr »Gesprächskonzert« in der Schwartzschen Villa Ende Februar durch. Bei der musikalischen Lesung soll die »Weltverbesserin« und Psychoanalytikerin Edith Jacobson im Mittelpunkt stehen.

Zwei Räume hinter dem Flügelzimmer steht ihr Cembalo. Die Schränke sind vollgestopft mit Noten. Alte EMI-Schallplatten aus den 60er-Jahren stehen ordentlich aufgereiht in den Regalen.

Konzerte »Das sind meine Schätze, die besten Aufnahmen, die es gibt, von denen würde ich mich nie trennen«, sagt Elzbieta Sternlicht liebevoll. An der Tür zu ihrem Musikzimmer hängen Plakate, die ihre kürzlich gegebenen Konzerte ankündigen. Besonders angetan haben es der Pianistin in den vergangenen Jahren französische Komponisten wie Claude Debussy und Maurice Ravel.

Am Ende steht oft eine Weltpremiere-Einspielung.

Doch ihre besondere Leidenschaft gilt bekannten wie unbekannten Stücken von Fanny Hensel oder dem Komponisten Arnold Mendelssohn (1855–1933). Sternlicht vertieft sich gern in Leben und Werke vergessener Komponisten.

Und wenn sie sich mit etwas beschäftigt, dann richtig: Sie macht sich auf die Suche nach den Werken, beginnt dann, die Handschriften zu entziffern, und studiert schließlich die Noten ein, wie zuletzt bei Arnold Mendelssohn. Am Ende steht die Aufnahme des Gesamtklavierwerks, oft eine Weltpremiere-Einspielung.

familie Dabei kommt Elzbieta Sternlicht aus einer Familie, in der niemand ein Ins­trument beherrschte. Den Eltern wurde nach dem Krieg in einer kleinen Stadt in Polen eine Wohnung zugewiesen – und dort stand ein Klavier.

»Meine Eltern mussten immer arbeiten und Geld verdienen, es gab kein Spielzeug für mich, nur das Klavier. Das war für mich das tollste Spielzeug, das es geben konnte«, erinnert sie sich.

In Warschau wurde Sternlicht neben der Grund- auch an der Musikschule angemeldet.

Eine Pianistin aus der Nachbarschaft bekam mit, dass das Mädchen auf dem Klavier übte, und bot an, es zu unterrichten. Und ihre Eltern waren beruhigt, dass ihre Tochter beschäftigt war. Denn sie hatten andere Sorgen: wie sie überleben können. Bald zog die dreiköpfige Familie nach Warschau, wo die Tochter neben der Grund- auch an der Musikschule angemeldet wurde.

»Der Unterricht war mittags zu Ende. Was sollte ich tun? Es gab ja keinen Hort oder Ähnliches, also ging ich gerne in die Musikschule.« Dort hatte sie eine Lehrerin, die ihre Liebe zur Musik an die Kinder weitergab. Als Elzbieta das Abitur in der Tasche hatte, bewarb sich die damals 18-Jährige an der Musikhochschule Warschau.

Frankreich »Es war ein Abenteuer, wie Lotterie, denn man wusste nicht, ob man angenommen würde.« Sie bestand jedoch auf Anhieb und wurde eine der jüngsten Studenten. Nach dem Studienabschluss 1967 – zeitgleich endete der Sechstagekrieg – beantragte Sternlicht einen Pass für eine Reise nach Frankreich, auf den sie viele Monate warten musste.

Paris gefiel ihr, und 1968, nach den antisemitischen Ereignissen in ihrem Heimatland und dem Exodus der Juden aus Polen, machte es für sie keinen Sinn mehr, dorthin zurückzukehren.

Nach den antisemitischen Ereignissen in Polen 1968 blieb sie in Paris.

Sternlicht blieb zehn Jahre in Paris. Sie verdiente ihr Geld mit Klavierspielen in Ballettstudios, was ihr weniger gefiel, und gab Unterricht. Schließlich erhielt sie ein Stipendium, konnte sich eine kleine Wohnung leisten und war glücklich. Was sie damals besonders schätzte: Sie konnte im Ausland Konzerte geben. Allerdings nicht in ihrer alten Heimat Polen.

Berlin Auch konnte Elzbieta weder ihre Eltern besuchen, noch durften diese zu ihr kommen. Erst vier Jahre nach ihrem Weggang wurde auch ihnen die Ausreise genehmigt.

Die Eltern entschieden sich jedoch für Berlin, nicht Paris. Denn damals lebte hier noch die Schwester ihres Vaters, die einzige Verwandte nach der Schoa. Ihr Vater hatte als Kind Deutsch gelernt und konnte diese Kenntnisse an der ersten Anlaufstelle, dem Sammellager in Marienfelde, gut nutzen.

Rasch wurde er als Dolmetscher für Polnisch, Russisch und Deutsch eingesetzt, ein Beruf, den er bis zu seinem Tod ausübte.

WIEDERSEHEN Elzbieta Sternlicht kam aus Paris, um ihre Eltern zu sehen und in der damals noch geteilten Stadt ein Konzert zu geben. »Nach den Jahren der Trennung wollten wir in einer Stadt leben«, sagt sie. Ihr Vater beantragte umgehend die deutsche Staatsangehörigkeit für seine Tochter, die sie nach einem Jahr auch erhielt.

Der Abschied von Paris war dennoch schmerzhaft. In Berlin konnte sie als Pianistin an der Tempelhofer Musikschule als Klavierlehrerin unterrichten – obwohl die damals 37-Jährige kaum Deutsch sprach. »Aber Kinder lernen per Nachahmung«, sagt sie, das war ihr Glück.

Später kam ein Lehrauftrag an der damaligen Hochschule der Künste dazu, den sie bis heute ausübt.

Sie nahm Sprachunterricht, gab Klavierabende, machte Kammermusik, trat im Rundfunk auf und war zufrieden. Dazu kam später noch ein Lehrauftrag an der damaligen Hochschule der Künste, den sie bis heute ausübt und wo sie immer noch elf Studenten betreut.

Schönberg Vor allem aber widmet Elzbieta Sternlicht sich seit Langem intensiv der sogenannten verfemten Musik: Sie spielt und studiert Stücke jüdischer Komponisten wie Arnold Schönberg und Jozef Koffler, der 1943 ermordet wurde und dessen Werke sie mit ihren Aufführungen einem größeren Publikum zugänglich machen will.

Nachdem ein polnischer Verlag bei ihr angefragt hatte, ob sie die Werke von Koffler einspielen würde, arbeitete sie sich durch seine handschriftlichen Aufzeichnungen. Mittlerweile hat sie zwei CDs mit Kofflers gesamtem Klavierwerk als Weltpremiere eingespielt.

Es freut sie, dass ihre Aufnahmen immer noch gut nachgefragt sind.

Ein anderer Schwerpunkt ist das Werk von Fanny Hensel. Elzbieta Sternlicht spielte drei CDs mit bis dahin unbekannten Werken der Schwester von Felix Mendelssohn Bartholdy ein.

»Für die zweite CD erhielt ich glücklicherweise ein Stipendium von der Stiftung Zurückgeben, denn während der Einspielungen konnte ich nicht so viel unterrichten.« Es freut sie, dass ihre Aufnahmen immer noch gut nachgefragt sind.

STOLPERSTEINE Eines ärgert sie aber fast täglich: Vor ihrer Haustür sind die Stolpersteine der Familie von Isaak Behar, des früheren Gemeindeältesten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, eingelassen. Sie sind so verschmutzt, dass die Namen kaum zu lesen sind.

»Ich hatte die Hausverwaltung gebeten, die Steine immer mitzureinigen, aber es geschieht nichts«, sagt sie. Ebenso hatte sie angeregt, zusätzlich eine Gedenktafel anbringen zu lassen. Aber die Hausbesitzer wollten, dass die Mieter für die Kosten aufkommen.

»Das kann doch nicht sein«, regt sich Elzbieta Sternlicht jedes Mal auf, wenn sie daran denkt. »Erst sollen wir alle ausgelöscht werden und dann noch für Gedenksteine bezahlen.« Gegen den Ärger hilft dann nur eines: Klavier spielen.

www.sternlichtelzbieta.de

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