Bürgerinitiative

»Wir wollen eine Zusatzstimme sein«

Herr Adler, Sie haben eine Gruppe namens »WerteInitiative« gegründet. Warum?
Während des Gazakriegs 2014 brachten Äußerungen wie »Juden ins Gas«, die von der Meinungsfreiheit nicht mehr gedeckt waren, das Fass zum Überlaufen. Damals begann ich, Kontakt zur Politik zu suchen, um stärker zu kommunizieren, dass unsere Freiheit leicht zerstört werden kann. Wir müssen die Politiker ermutigen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung als Wert deutlich resoluter zu verteidigen.

Wie wollen Sie das erreichen?
In vielen Gesprächen, die darauf folgten, sagten mir Leute: »Juden kommen in der Politik kaum vor, man hört eure Stimme gar nicht.« Klar, es gibt den Zentralrat. Doch aufgrund seiner Funktion als übergeordneter Dachverband kann er aus unserer Sicht nicht so pointiert auftreten. Einige Gesprächspartner vermissten genau das: deutsche jüdische Organisationen, die sich pointiert zu Wort melden.

Was wollen Sie anders machen als der Zentralrat, der als offizielle jüdische Stimme die gemeinsamen politischen Interessen der jüdischen Gemeinschaft vertritt?
Demokratie hat den Vorteil, dass auch Privatpersonen aktiv werden können. Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zum Zentralrat, sondern als zivilgesellschaftliche Initiative. Wir versuchen, das gleiche Lied zu singen, nur in einer anderen Tonlage. Die Anliegen stammen ja nicht originär von uns. Wir wollten einfach eine Zusatzstimme sein.

Welche Anliegen sind das?
Es sind zum einen allgemein politische Themen, die jeder aufmerksam lebende und politisch denkende deutsche Staatsbürger auch unterschreiben könnte, bei denen es um die freiheitlich-demokratische Grundordnung geht, die Rolle des Rechtsstaats, die Einordnung von Religion. Wichtig sind uns aber auch jüdische Themen wie Beschneidung, Schächten und die Haltung zu Israel.

Keine Werte im klassischen Sinne …
… aber Punkte, die das Leben in einer Gesellschaft lebenswert machen. Der Wert dahinter ist letztendlich ein Gesellschaftsbild, das dem Einzelnen bis zu dem Punkt maximale Freiheit gibt, wie sie die Freiheit des Anderen tangiert. Alles andere leitet sich daraus ab. Die Message an die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft lautet damit auch: So geht Integration ohne Assimilation.

War es schwierig, sich auf bestimmte Werte zu einigen?
Bei den meisten Themen ging das ziemlich schnell. Bei anderen wie »Religiöse Symbole im Alltag« dauern die Diskussionen noch an.

Was versprechen Sie sich von der Aktion?
Zum einen möchten wir Politikern vor der Wahl mitgeben, welche politischen Anliegen eine Gruppe von Juden hat, und schauen, wie sie darauf reagieren. Zum anderen wollen wir eine Stimme sein, die in der nichtjüdischen Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

Sie wollen das Papier an alle großen Parteien schicken: CDU/CSU, SPD, Grüne, Linkspartei, FDP – und auch an die AfD.
Ja, aber ich möchte eines klarstellen: Wir taugen nicht als Feigenblatt der AfD! Wir wünschen uns Deutschland als Teil einer vitalen EU, treten für Beschneidung und Schächten ein, sehen jeden – staatsbürgerschafts- und religionsunabhängig – als Teil der Gesellschaft, der sich der freiheitlich-demokratischen Leitkultur verpflichtet, und machen ein wertebasiertes Integrationsangebot anstelle von angstbasierter Ausgrenzungspolitik.

Welche Schritte planen Sie als nächstes?
Ende April schicken wir das Papier an die Parteien mit der Bitte um Kenntnisnahme und schriftliche Äußerung. Ziel ist es, den etwa 100.000 wahlberechtigten jüdischen Deutschen eine Entscheidungshilfe an die Hand zu geben – auch auf Englisch und Hebräisch.

Warum war es Ihnen wichtig, den Punkt »Vermeidung von ›Kollateralschäden‹« so ausführlich darzustellen?
Weil sich am Horizont ankündigt, dass eine neue Beschneidungs- und Schächtdiskussion losbrechen könnte. Auch das Thema »doppelte Staatsbürgerschaft« ist derzeit wieder aktuell im Zusammenhang mit der Türkei. Da kündigen sich gesellschaftliche Diskussionen an, bei denen wir uns wünschen, dass man die einzelnen Bereiche sehr sauber betrachtet und eventuell getrennt bewertet, um ein angemessenes Ergebnis zu erreichen.

Was ist das Selbstverständnis der Unterzeichner als »jüdische Deutsche«?
Es sind engagierte, interessierte deutsche Staatsbürger, die genau diese Komponenten, die ihnen wichtig sind – dass sie in Deutschland leben und Teil dieser Gesellschaft sind als auch eine jüdische Identität haben –, unter einen Hut bringen und sich so politisch einbringen. Wir wollen sichtbar sein, um eine weitere zivile Stimme der gesellschaftlichen Diskussion zu sein.

Mit dem Zahnarzt und Initiator der »WerteInitiative« sprach Katharina Schmidt-Hirschfelder.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 6. November bis zum 13. November

 05.11.2025

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 04.11.2025

Würdigung

Margot Friedländer wird mit Sonderbriefmarke geehrt

Wie das Finanzministerium mitteilte, war die Sonderbriefmarke für Friedländer ein »besonderes Anliegen« von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil

 04.11.2025

B’nai B’rith

»Wie eine große Familie«

Delegierte aus 20 Ländern kamen zusammen, um sich eine neue Organisationsstruktur zu geben

von Ralf Balke  03.11.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an November-Pogrome

Zum 87. Jahrestag der NS-November-Pogrome von 1938 werden am Sonntag ganztägig die Namen der im Holocaust ermordeten Berliner Jüdinnen und Juden vorgelesen. Bei einem Gedenken am Abend wird Berlins Regierender Bürgermeister sprechen

 03.11.2025

Gedenkstätten

Gedenkzeichen für jüdische Ravensbrück-Häftlinge

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 03.11.2025

Porträt der Woche

Zufluchtsort Musik

Naomi Shamban ist Pianistin, lebt in Dresden und hat eine Schwäche für Märchenfilme

von Alicia Rust  03.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

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Hund, Katze & Co

Beste Freunde

Wenn Tiere Familie werden: Gemeindemitglieder erzählen vom leisen oder lauten Glück, mit Vierbeinern zu leben

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