Interview mit dem IKG-Sicherheitschef

»Wir leben in einer anderen Welt«

Steht unter besonderem Schutz: das Jüdische Gemeindezentrum am Jakobsplatz Foto: Marco Limberg

Herr Ben-Yehuda, wie haben Sie den 5. September erlebt?
Ich habe morgens, auf dem Weg zur Arbeit, von der Polizei die Information bekommen, dass am Karolinenplatz eine Gefahrenlage herrscht. Zu der Zeit war noch nichts Genaues bekannt, aber mein Bauchgefühl war sofort, dass bei einem Vorfall in der Gegend das Konsulat wahrscheinlich betroffen sein würde. Wir haben dann alle unsere Pläne für solche Fälle umgesetzt, das hat auch gut funktioniert. Allgemein kann ich sagen, dass ich nicht wirklich überrascht war über den Anschlagsversuch. Für uns in der Sicherheit lautet die Frage nie, ob, sondern immer nur wann. Mich hat aber verwundert, dass der Täter sich offenbar das Konsulat als Ziel ausgesucht hatte, dabei war das an diesem Tag geschlossen. Wir hatten Glück, dass er sich so schlecht informiert hatte.

Die Situation am Tag des Anschlags war zunächst sehr unübersichtlich. Wie hat die Kultusgemeinde reagiert? Hatten Sie Sorge, dass die Gefahrenlage sich auf den Jakobsplatz ausweitet?
In einer solchen Situation müssen wir uns immer zuerst einen Überblick verschaffen, welche Objekte überhaupt Schutz benötigen. Dank der Ferien schieden alle Schuleinrichtungen, Gott sei Dank, sofort aus, auch der Kindergarten war geschlossen. Am Ende konnten wir uns auf eine begrenzte Zahl von Einrichtungen konzentrieren. Grundsätzlich versuchen wir in einer solchen Lage, die Leute möglichst in die Gebäude zu bekommen beziehungsweise darin zu halten. Im Haus für Kinder in der Möhlstraße war an diesem Tag zum Beispiel ein Ausflug geplant, den haben wir sofort gestoppt. Das Gemeindezentrum und die anderen relevanten Einrichtungen haben wir in einen »Soft Lockdown« geschickt, was vor allem hieß, dass außer Gemeindemitgliedern niemand hineinkam. Auch das konnten wir aber zum Glück schnell wieder aufheben.

In einer Situation wie am 5. September steht nicht nur das Gemeindezentrum im Fokus, sondern auch andere Einrichtungen der IKG. Waren Sie zufrieden damit, wie Kommunikation und Abstimmung an diesem Tag funktioniert haben?
Die interne Kommunikation hat an diesem Tag sehr gut funktioniert. Das erwarte ich allerdings auch, weil wir genau das mit den Mitarbeitern meiner Abteilung regelmäßig sehr intensiv trainieren. Nach außen muss ich der Polizei ein Lob aussprechen, denn wie wir auf dem Laufenden gehalten wurden, war wirklich hervorragend. Wenige Minuten nach Beginn der Situation hatten wir schon alle relevanten Informationen, das war toll. Und deutlich anders als beim OEZ-Anschlag 2016, wo noch vieles durcheinandergegangen war.

Öffentliche Sicherheit ist derzeit gerade ein großes Thema. Wie schätzen Sie die allgemeine Bedrohungslage ein? Wie präsent ist die Gefahr?
Spätestens seit dem 7. Oktober 2023 leben wir in einer anderen Welt. Wir haben seitdem kontinuierlich 70, 80 Prozent mehr Vorfälle, es vergeht keine Woche ohne. Das liegt zum Teil daran, dass wir seitdem potenziell gefährliche Personen noch konsequenter stellen, aber das ist nicht alles. Es gibt seit diesem Tag eine andere, eine größere Bedrohung, das ist leider so. Es gibt zum Beispiel viel mehr Demons­trationen, und die Stimmung ist auch aufgeheizter. Das kann jeder beobachten. Ganz aktuell stehen jetzt die Feiertage vor der Tür, in diesem Jahr außerdem das Gedenken zum 7. Oktober. Das ist ein Hoch­risikoevent, das sich in Sachen Absicherung im Grunde nur mit Jom Kippur vergleichen lässt.

Der Angriff vom 7. Oktober jährt sich bald zum ersten Mal. Wie hat dieser Tag die Sicherheitsplanung in der Gemeinde verändert?
Ich kann natürlich nicht zu sehr ins Detail gehen, aber wie überall hat der 7. Oktober auch bei uns Spuren hinterlassen. Einmal quantitativ, denn wir müssen bei größerer Gefahr einfach mehr tun, unser Team ist gewachsen. Aber auch in der Art, wie wir arbeiten, hat sich etwas geändert, vor allem auch in der Ansprache in die Gemeinde hin­ein. Wir nutzen die digitalen Kanäle noch stärker, kommunizieren etwa über eine Sicherheits-App mit teilnehmenden Gemeindemitgliedern, zusätzlich gibt es seit Anfang 2024 einen eigenen Sicherheits-Newsletter. Außerdem haben wir seit dem 7. Oktober drei Sicherheitsabende organisiert, ein vierter kommt bald hinzu, da wird auch das Landeskriminalamt (LKA) mit dabei sein. Mir ist wichtig, dass wir den Mitgliedern deutlich zeigen, was wir tun und welche Unterstützung wir von außen erhalten. Nur so erhält man ein Sicherheitsgefühl.

Wo sehen Sie noch Verbesserungsmöglichkeiten?
Trotz aller Fortschritte haben wir immer noch Luft nach oben. Ich gebe drei Beispiele. Erstens: Wenn es nach mir geht, gibt es niemals genug Übungen, und die Bedrohungsszenarien dafür müssen ständig angepasst werden. Was man vor fünf Jahren geprobt hat, ist heute als Vorbereitung vielleicht schon nutzlos. Zweitens: Wir müssen auch technisch auf der Höhe bleiben, etwa in der Überwachungstechnologie. Das weist auch, drittens, wieder in den Bereich Digitalisierung. Ihr volles Potenzial können unsere App und der Newsletter zum Beispiel erst entfalten, wenn noch mehr Mitglieder daran teilhaben.

Möchten Sie den Gemeindemitgliedern auf diesem Wege etwas mitgeben?
Ja, ich will jeden Einzelnen ermutigen, zu den Hohen Feiertagen in die Synagogen zu kommen. Die sollen voll sein, dieses Zeichen brauchen wir jedes Jahr, aber in diesem Jahr ganz besonders. Wir in der Sicherheitsabteilung werden auch diesmal wieder unseren Job so machen, dass sich jeder bei den Tefillot absolut sicher fühlen kann.

Mit dem Chef der Sicherheit der Israe­litischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sprach Leo Grudenberg.

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