Interview

»Wir decken alle Strömungen ab«

Kandidiert nach der ersten erfolgreichen Amtszeit für zwei weitere Jahre: Anna Staroselski Foto: Gregor Zielke

Interview

»Wir decken alle Strömungen ab«

JSUD-Präsidentin Anna Staroselski über die Wahlen am 11. April, Erfolge ihrer Amtszeit und weitere Vorhaben

von Philipp Peyman Engel  08.04.2021 08:22 Uhr

Frau Staroselski, die Liste mit erfolgreichen Initiativen während Ihrer Amtszeit ist ebenso lang wie beeindruckend. Hand aufs Herz: Bleibt bei all dem Engagement für die JSUD noch genug Zeit fürs Studium?
(lacht) Die Standardantwort wäre jetzt: Es ist alles eine Frage der Organisation und des Zeitmanagements ...

Und die ehrliche Antwort?
Die ehrliche Antwort ist: Natürlich wird mein Studium durch die Aufgaben in der JSUD ein bisschen länger dauern. Aber damit kann ich sehr gut leben. Die JSUD-Arbeit für die die rund 25.000 jüdischen Studierenden ist ja extrem wichtig. Und wir konnten in der zurückliegenden Amtszeit politisch so viel bewegen, da nehme ich das eine Extrasemester im Gegenzug doch gern in Kauf.

Wenn Sie auf die letzten zwei Jahre zurückblicken: Was sind die größten Erfolge der JSUD gewesen?
Die JSUD wäre nichts ohne ihre Aktiven, die wir durch politische Kampagnen und Seminare miteinander vernetzen und für die JSUD gewinnen konnten. Viele Initiativen kommen von ihnen. Für unser außerordentliches Engagement haben wir in meiner Amtszeit von der World Union of Jewish Students die Auszeichnung als »Union of the Year« verliehen bekommen. Es ist uns außerdem gelungen dazu beizutragen, dass das Narrativ vom jüdischen Leben in Deutschland endlich wieder vielschichtiger und realistischer geworden ist ...

Was meinen Sie damit genau?
Wir haben den Eindruck, dass jüdische Themen in der Öffentlichkeit oft nur an Schoa-Gedenktagen oder bei antisemitischen Vorfällen präsent sind. Dabei sollte das junge, positive und diverse jüdische Leben doch genau so stark vertreten sein. Diese Botschaft haben wir in der Presse, bei zahlreichen Dialoginitiativen oder bei JSUD-Formaten wie der Jüdischen Campus Woche im Gespräch mit der Mehrheitsgesellschaft ausgesendet - mit sehr großem Erfolg. 

Inwiefern genau?
Bleiben wir bei der Jüdischen Campus Woche: Sie findet einmal jährlich an über 20 Campi statt. Viele nichtjüdische Studenten kennen keine Juden - dabei ist die Begegnung eine der wichtigen Maßnahmen, um Vorurteile abzubauen und ein pluralistisches Miteinander zu gestalten. Auch in Gesprächen mit politischen Stakeholdern konnten wir unsere Themen setzen und uns Gehör verschaffen. Darf ich noch einen Erfolg nennen?

Gern.
Wir haben es geschafft, dass die BDS-Bewegung in Deutschland endlich von den Hochschulen verbannt wurde. Auch der Deutsche Bundestag hat sich mit einer Resolution in der Frage klar positioniert. Das lag mir politisch besonders am Herzen.

Für die Ächtung der BDS-Bewegung sollte jeder Demokrat eintreten. Gibt es bei den Studenten Stimmen, die BDS als nicht ganz so schlimm bewerten?
Durchaus, leider. Gerade im linken politischen Spektrum. Das hat die sogenannte Jerusalemer Erklärung in diesen Tag erneut gezeigt. Dabei ist BDS im Kern antisemitisch. Die Bewegung versucht den jüdischen Staat Israel zu isolieren und zu ächten; in Reihen der BDS-Befürworter wird sogar die Schoa relativiert und Terror legitimiert. Unser Vorstoß war ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Beendigung dieser unerträglichen antijüdischen Hetze.

Das Thema Gleichberechtigung hat, so meine ich, in Ihrer Amtszeit ebenfalls eine große Rolle gespielt. Inwiefern konnten Sie bei diesem Themengebiet etwas bewegen?
Der Eindruck stimmt. Das Thema ist uns sehr wichtig. Mit dem dreitägigen Jewish Women Empowerment Summit zum Beispiel, der in Kooperation mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der ZWST stattfand, haben wir das Thema so prominent platziert, wie es nur geht. Denn nach wie vor stellen wir leider fest: Diverse Stimmen junger jüdischer Frauen sind unterrepräsentiert - sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch in unseren Communitys. 

Am 11. April nun wählen die jüdischen Studenten in Deutschland einen neuen Vorstand. Sie treten als Präsidentschaftskandidatin erneut an. Die Gegenkandidatin ist Hanna Veiler. Was antworten Sie Ihren Wählern, warum sie ihre Stimme Ihnen geben sollten?
Ich stehe für einen professionellen Politikansatz. Unsere Anliegen sind viel zu wichtig, um ohne Erfahrungen und ohne gutes Netzwerk an den Start zu gehen.

Sie sind Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Deutschen Bundestag. Wie stark kommt Ihnen das bei Ihrer Arbeit als JUSD-Präsidentin zugute?
Ich würde sagen sehr stark. Wir als JSUD können Kampagne. Das hat auch damit zu tun, dass wir genau wissen, mit welchen politischen Akteuren wir auf Bundes- und Landesebene für unsere Themen eintreten können. Dieses Netzwerk stelle ich auch immer gern allen jüdischen Studierenden zur Verfügung. Zusammen sind wir viel stärker als allein. Das zeigt allein schon unsere hervorragende Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden, der uns immer nach Kräften unterstützt hat. Nur so können wir unsere Ziele erreichen: im Zusammenspiel mit Politikern, Medien, anderen Minderheiten und weiteren Bündnispartnern. 

Welche Themen stehen für eine etwaige zweite Amtszeit ganz vorn auf Ihrer Agenda?
Für eine starke jüdische Stimme brauchen wir ein starkes Judentum – selbstbewusst, divers und lebendig. Die Auseinandersetzung mit jüdischen Quellen und unserer Tradition soll deshalb weiterhin im JSUD-Programm bestehen. Das ist es doch, das uns als jüdische Studenten ausmacht, denominationsübergreifend! Diesen Markenkern sollten wir nicht nur erhalten, sondern weiter ausbauen und als Motor für unsere politische Arbeit nutzen.

Sie selbst sind eher orthodox sozialisiert. Ihr JSUD-Stellvertreter Lars Umanski eher liberal. Eine bewusste Entscheidung?
Absolut. Wir ergänzen einander. Wir wollen in einer zweiten Amtszeit wieder alle Strömungen abdecken und repräsentieren. Ich will für echten Pluralismus einstehen. Das bedeutet übrigens auch, Unterschiede auszuhalten. Wenn jemand konservative Einstellungen hat, sollte das genauso toleriert werden wie linke Einstellungen. Und umgekehrt.

Teilen Sie die Beobachtung, dass die politischen Debatten, Stichwort Identitätspolitik, auch bei Studenten zunehmend hitziger und unversöhnlicher geführt werden? 
Ja. Und ich würde mir wünschen, dass wir wieder zu einer sachlichen Debatte zurückkommen. Jeder sollte in seiner Meinung respektiert werden, so lange sie sich im demokratischen Spektrum bewegt. Alles andere ist Sektierertum. Und was identitätspolitische Fragen betrifft, lautet mein unverrückbarer Standpunkt: Es steht in unserer Verantwortung uns gegen jede Form von Diskriminierung, Rassismus, Misogynie und Extremismus einzusetzen und Minderheiten solidarisch zu unterstützen. Überall und zu jeder Zeit.

Mit der Präsidentin der JSUD sprach Philipp Peyman Engel.

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