Topographie des Terrors

»Widerstand war Pflicht«

Helfen oder nicht helfen? Hinsehen oder wegschauen? Tätig werden oder durch Untätigkeit Schuld auf sich laden? Als am 9. November 1938 in ganz Deutschland die Synagogen brannten, mussten Donata und Eberhard Helmrich eine Entscheidung fällen. Die beiden Berliner überlegten nicht lange – und retteten mehr als 200 Juden das Leben. Wie nur wenige Deutsche halfen sie und zeigten so, dass es möglich war, in Zeiten der Diktatur Leben zu retten.

Die israelische Schoa-Gedenkstätte Yad Vashem ehrte sie dafür als »Gerechte unter den Völkern«. In der »Allee der Gerechten« in Jerusalem erinnern heute zwei Bäume an die mutigen Rettungsaktionen der Helmrichs. »Sie wollten einfach normal sein in einer Zeit, in der die Normalität ›baden gegangen‹ war«, beschreibt die FDP-Politikerin und frühere Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Cornelia Schmalz-Jacobsen, die Entscheidung ihrer Eltern gegen den Nationalsozialismus. »Widerstand war Pflicht für sie.«

biografie Um diesen Gedanken weiterzugeben, hat Cornelia Schmalz-Jacobsen am Donnerstagabend in der Berliner Stiftung Topographie des Terrors mit jungen Erwachsenen aus Wolfsburg und Kassel über die Biografie ihrer Eltern diskutiert. In Anwesenheit von Bundespräsident Joachim Gauck wählten die Auszubildenden des Volkswagen-Konzerns ihre Lieblingspassagen aus Schmalz-Jacobsens Buch Zwei Bäume in Jerusalem aus, das die Geschichte des Widerstands ihrer Eltern erzählt und aus dem die Autorin dann vorlas.

Für den Kfz-Mechaniker Vincenzo Lanzilotti war jenes Kapitel am beeindruckendsten, in denen die Eltern ihre damals sechsjährige Tochter in ihre Pläne einweihen. »Das finde ich fesselnd, spannend, witzig und abgefahren zugleich«, sagte der Auszubildende. Denn die Eltern der heute 79-jährigen Politikerin erzählten ihr damals ein Märchen, in dem ein böser König Menschen töten lässt, wenn er von Widerstand gegen seine Person erfährt. »Durch diese Geschichte habe ich nicht einen Moment daran gedacht, mit jemanden über die Nazis zu sprechen«, so Schmalz-Jacobsen schmunzelnd.

Ein anderes Kapitel wählte Lilian Schellenberger aus. Die Kasselerin entschied sich für die Passage, in dem die Wehrmacht Schmalz-Jacobsens Vater zum Krieg einzieht. »Ich war damals so stolz auf ihn, weil er in der Uniform so toll aussah. Als Mädchen begriff ich ja nicht, was das wirklich bedeutete«, erinnerte sich die Autorin. Auch deshalb stellte sich die Auszubildende Schellenberger die Frage, was sie in diesem Alter wohl gedacht hätte, wenn ihr Vater in den Krieg müsste und sie ihn womöglich nie wieder sehen würde: »Wenn man so etwas liest, merkt man, dass es ein riesen Privileg ist, in Frieden leben zu können.«

Altnazis Ein ganz anderer Aspekt hingegen interessierte die KFZ-Mechatronikerin Jennifer Zeiser aus Wolfsburg. Sie wollte von Schmalz-Jacobsen wissen, wie es ihre Eltern nach dem Weltkrieg in Deutschland inmitten der vielen Altnazis ausgehalten hatten. »Gar nicht!«, antwortete die Politikerin und berichtete davon, dass ihre Eltern 1949 aus genau diesem Grund in die USA auswanderten.

Auf Zeisers Frage, ob ihre Eltern mit der Bundesrepublik anfreunden konnten, entgegnete Schmalz-Jacobsen: »Mit der jungen Bundesrepublik auf keinen Fall. Mit Deutschland, so wie es jetzt ist, definitiv – nicht zuletzt wegen junger Leute wie Sie!« ppe

Cornelia Schmalz-Jacobsen: »Zwei Bäume in Jerusalem«. Metropol, Berlin 2013, 200 S.,19 €

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