Passau

Wider den Schlussstrich

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, gedachte in Passau der Opfer der Schoa. Foto: dpa

Passau

Wider den Schlussstrich

Zentralratsapräsident Schuster spricht sich beim trinationalen Gedenken für eine verstärkte Bildungsarbeit zur Schoa aus

von Franz Danninger  30.01.2020 13:12 Uhr

Redner aus Bayern, Tschechien und Oberösterreich haben am vergangenen Freitag zum Kampf gegen Extremismus und Antisemitismus aufgerufen. »Entscheidend stellen wir uns denen entgegen, die einen Schlussstrich fordern unter das Gedenken an die Gräueltaten des NS-Regimes«, sagte Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) bei einer zentralen Gedenkveranstaltung im ostbayerischen Passau.

Drei Eckdaten haben den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus zu einem besonderen gemacht: Er fand im 75. Jahr nach der Befreiung des KZs Auschwitz statt, er war der zehnte dieser Art von Bayerischem Landtag und Stiftung Bayerischer Gedenkstätten, und es war der erste trinationale Gedenktag.

Passau liegt im Dreiländereck und sei daher der ideale Ort, was die Stadt sehr ehre, sagte Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD).

Die Schoa müsse als einmaliges Verbrechen in ständiger Erinnerung bleiben, betonte Zentralratspräsident Josef Schuster.

UNIVERSITÄT Verleugnen, vergessen, verharmlosen: Diesen Trend sahen alle Redner in der Gesellschaft, und ihm müssten alle Demokraten mit aller Kraft entgegentreten. Zu den rund 500 Zuhörern gehörten der tschechische Parlamentspräsident Radek Vondácek, der oberösterreichische Landtagspräsident Viktor Sigl und zahlreiche Passauer Studenten und Bürger.

Die Schoa müsse als einmaliges Verbrechen in ständiger Erinnerung bleiben, forderte Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, in seiner Rede im Audimax der Universität Passau.

SCHULEN Das Wissen über das Menschheitsverbrechen der Schoa müsse jeder Generation aufs Neue vermittelt werden, sagte der Zentralratspräsident. »Nur, wenn jede Generation wieder bereit ist, sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten auseinanderzusetzen, kann auch jede Generation wieder daraus lernen.«

Er habe den Eindruck, dass heute immer mehr Menschen das Bedürfnis hätten, einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen. Diesem Verlangen müsse mit Entschlossenheit und Aufklärung insbesondere an den Schulen und Universitäten begegnet werden, forderte Schuster weiter.

Rechtspopulisten dürfen die Geschichte nicht uminterpretieren.

»Wenn Schulen jedoch die Auseinandersetzung mit der Schoa vernachlässigen, machen sie quasi Platz für Politiker, die den Schlussstrich ziehen und lieber die ›ruhmreichen‹ Kapitel der deutschen Geschichte ins Rampenlicht stellen wollen«, sagte Schuster.

Von den Rändern aus fingen die Rechtspopulisten an, die demokratischen Errungenschaften zu untergraben. »Dieses Einfallstor müssen wir wieder schließen«, betonte Schuster.

An die Politik appellierte der Zentralratspräsident, durch die Bereitstellung ausreichender finanzieller Ressourcen die Ausbildung von Lehrern sicherzustellen und die wichtige Arbeit der Gedenkstätten zu fördern.

»Gerade die authentischen Orte, an denen die Opfer im Zentrum stehen, erfüllen eine unersetzbare Rolle, um bei jungen Menschen Empathie zu erzeugen«, sagte Schuster. »Sehr viele Gedenkstätten leisten hier vorbildliche Arbeit.«

An der Veranstaltung nahmen Vertreter aus Politik, Kirche, Kommunen und Verbänden aus Österreich, Tschechien und Bayern teil.

Vor der Veranstaltung an der Universität mit geladenen Vertretern aus Politik, Kirche, Kommunen und Verbänden hatten die Delegationen aus den drei Ländern gemeinsam mit Überlebenden und Vertretern der Opfergruppen am Passauer Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus am Inn 14 Kränze niedergelegt.

Darunter waren Kränze von der liberalen jüdischen Gemeinde München, Beth Shalom, und von der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch. Auch der Bayerische Landesverband der Sinti und Roma legte einen Gedenkkranz am Mahnmal nieder.

MAUTHAUSEN Im Großraum Passau gab es drei Außenlager des österreichischen Konzentrationslagers Mauthausen, erinnerte Ilse Aigner. Diese waren Waldwerke II in Grubweg, Oberilzmühle und Jandelsbrunn. Im Gesamtkomplex Mauthausen starben zwischen 1938 und 1945 rund 90.000 Menschen.

»Der Firnis der Zivilisation ist verletzlich«, sagte  Ilse Aigner.

Aigner kritisierte, dass »Jude« heute wieder zum Schimpfwort auf deutschen Schulhöfen und in Fußballstadien geworden sei. »Der Firnis der Zivilisation ist verletzlich. Deswegen ist Erinnern auch ein Gebot des Handelns. Demokraten dürfen sich nie ausruhen«, sagte die CSU-Politikern.

»Historisch« nannte Karl Freller den Gedenkakt. Der Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten meinte: »Unvorstellbar war es für mich noch vor ein paar Jahren, dass wir diesen Gedenkakt 75 Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager und des Zweiten Weltkriegs erstmalig in Form eines trinationalen Gedenkaktes begehen dürfen.« Er hoffe auf weitere gemeinsame Gedenkveranstaltungen.

ZEITZEUGINNEN Den größten Applaus erhielten zwei Zeitzeuginnen: Bohumila Havránková (geboren 1927) und Anna Hackl (geboren 1931). Havránková schilderte, wie sie als 15-Jährige die Deportation ins Ghetto Theresienstadt erlebte.

Eindringlich auch die Erinnerungen von der Österreicherin Hackl, die 13 Jahre alt war, als in ihrem Elternhaus zwei entflohene sowjetische Häftlinge des nahen KZs Mauthausen drei Monate lang Zuflucht fanden vor den NS-Schergen. »Hätte ich das damals irgendjemandem verraten, dann wäre das der sichere Tod für uns alle gewesen.«

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