Vaterjuden

Wer zum »Zusammen« gehört

Daniel Neumann (2.v.r.) wies auf die Dringlichkeit der Debatte hin. Foto: Marco Limberg

»Es gibt wohl kaum eine Frage, die die jüdischen Gemeinden so umtreibt und leider auch so zerstreitet wie diese«, eröffnet Moderator Philipp Peyman Engel, Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen, das Panel. Auch er weiß um die Hitzigkeit der Debatte um die sogenannten Vaterjuden.

Schließlich, so sagt er gleich zu Beginn, gehe es hier nicht nur um theoretische, halachische Definitionen, sondern um eine praktische Frage, die die Identität vieler Tausender Menschen in Deutschland ganz direkt betrifft: Sie haben eine nichtjüdische Mutter und einen jüdischen Vater, gehen vielleicht in eine jüdische Schule oder in den Sportverein, feiern womöglich Schabbat mit ihrer Familie und sind leider oft auch von Antisemitismus betroffen.

Viele von ihnen fühlen sich jüdisch. Aber: Sie können in Deutschland keine Gemeindemitglieder werden

Viele von ihnen fühlen sich jüdisch. Aber: Sie können in Deutschland keine Gemeindemitglieder werden. Und auch sonst gibt es immer wieder Grenzen für sie in dem auch auf diesem Gemeindetag beschworenen »Zusammen leben«. Ist das gerecht? Sollte das so bleiben? Darum geht es bei der Diskussion am Samstagabend auf dem Gemeindetag.

Alexandra Perlowa ist eine dieser direkt Betroffenen. Ihre Eltern, so erzählt sie, kamen in den 90er-Jahren »über die jüdische Linie« nach Deutschland, immigrierten aus der Ukraine. Perlowa besuchte den Russischunterricht in der Gemeinde, hatte jüdische Freundinnen, fühlte sich willkommen – und jüdisch. »Aber je älter ich wurde, desto öfter bauten sich diese Barrieren vor mir auf.«

Irgendwann verstand die junge Alexandra dann, dass es für manche Dinge nicht reichte, dass nur ihr Vater jüdisch ist – sie durfte zum Beispiel nicht mit auf Machanot fahren. Die Halacha ist in dieser Frage eindeutig, sagt Masorti-Rabbinerin Gesa Ederberg, die auch auf dem Podium sitzt: Jude ist nur, wessen Mutter Jüdin ist – aber auch, wer einen Giur macht, also zum Judentum konvertiert. Das geht orthodox, aber auch in anderen Strömungen, wie zum Beispiel bei ihr, in der liberalen Berliner Gemeinde. »Und dabei bin ich absolut für beschleunigte Verfahren für Vaterjuden.«

Nach ihrer Ansicht habe eine Person, deren Vater Jude ist, ein Recht auf den Giur. »Das heißt, ich lehne den Menschen nicht ab – egal, wie meschugge er ist.« Bei anderen Kandidaten, die keine jüdischen Vorfahren haben, sei sie strenger. Das gelte auch bei der Ausübung der Mizwot: Vaterjuden müssten nicht beweisen, dass sie am Judentum interessiert seien, indem sie Schabbat und Kaschrut einhalten. »Wir behandeln die Person aus dem Respekt heraus, dass hier eine vorhandene jüdische Identität nur weiter ausgebildet wird.« Bei Kindern sei der Übertritt besonders einfach: Bei den ganz Kleinen reiche schon ein »Ja« auf die Frage, ob sie sich jüdisch fühlen. Dann geht es in die Mikwe.

Im traditionellen Judentum ist der Prozess intensiver. Ein bis mehrere Jahre dauern die Giurim

Im traditionellen Judentum ist der Prozess intensiver. Ein bis mehrere Jahre dauern die Giurim bei ihm, erzählt Rabbiner Avichai Apel aus Frankfurt. Für die orthodoxen Rabbiner sei wichtig, dass der Kandidat alle Mizwot einhalte. Er habe noch keinen Menschen gesehen, der durch diesen Prozess glatt durchgegangen wäre, erzählt Rabbiner Apel: Es kämen Zweifel auf, manchmal verliere der oder die Kandidatin Freunde, müsse umziehen oder sogar die Arbeit wechseln. Das dauere eben seine Zeit.

Aber Rabbiner Apel betont auch: Schon die Tora lehre in der Geschichte von Abraham, dass man die nichtjüdischen Kinder, in seinem Fall Ismael, genauso lieben sollte wie die einer jüdischen Mutter. Schließlich bleibe die Liebe, der Respekt in der Familie ganz gleich. Nach Vaterjuden die Hand auszustrecken, ihnen wertschätzend zu begegnen, sei wichtig.

Alexandra Perlowa hat diese Wertschätzung nicht immer so erlebt, sagt sie. Auch ein Giur sei für sie zurzeit nicht vorstellbar. Sie fühle sich jüdisch, sei aber im religiösen Kontext einfach nicht überzeugt – und wolle den Rabbinern nichts vormachen. Viele in ihrer Generation, so erzählt die junge Frau, seien damals von den strengen Konversionsverfahren abgeschreckt worden. Einige, die es versucht haben, hätten teils traumatische Erfahrungen gemacht.

Es stimme, man habe die meisten Vaterjuden schon vor vielen Jahren durch Ablehnung verloren, meint Daniel Neumann, Direktor des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen und Präsidiumsmitglied des Zentralrats der Juden. Umso wichtiger sei es, jetzt mit diesen Gesprächen anzufangen.

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