Fliegenfischen

Wenn die Forelle lacht

Anspannen, loslassen, schnipp – schon fliegt der kleine Köderdurch die Luft und landet auf dem Wasser. Schnell gibt Daniel etwas Flugschnur nach, ruckelt ein wenig an der Rute und zieht den langen, leicht silbrigen Plastikfaden wieder aus dem Wasser. »Vielleicht steigen sie auch eher da hinten«, sagt er, schiebt seine Umhängetasche auf den Rücken, rückt die Brille zurecht und schaut in die nächste Flusskurve.

Fliegenfischer sehen die Welt mit anderen Augen. Nicht nur, dass sie durch ihre Brillen Fische erspähen, wo andere nur die Sonne auf der Wasseroberfläche erkennen. Sie lesen Flussläufe und interpretieren Unterwasserpflanzen. Sie hören exakt, wo ein Fisch mit dumpf-hallendem Blubb für eine Sekunde an die Oberfläche kommt oder wo er mit einem hellen Platschen zurück ins Wasser taucht. Fliegenfischen ist ein Sport für alle Sinne. Die einzige Voraussetzung: Geduld – und eine Fischereierlaubnis.

Dass Fliegenfischen ein Sport ist, der auch sehr politisch sein kann, dass er manchmal bloße Bürokratie ist und meistens mit einem Selfie endet, das waren Dinge, von denen Daniel Andriani bei seinen ersten Ausflügen zum Fliegenfischen noch nichts ahnte.

afrika Damals war er acht Jahre alt, sein Angelpartner hieß Heinz und ist sein Opa. Die Landschaft war anders als die des Nuthe-Urstromtals, denn der 36-Jährige wuchs in Simbabwe auf. Und doch: Manchmal, wenn er in den Weiten der Mark Brandenburg unterwegs ist, denkt er an das Land im Süden Afrikas. Dann ähneln die Wälder mit ihrem dichten Geäst und den buschigen Böden für einen kurzen Augenblick denen in Simbabwe, und Daniel sitzt gedanklich neben seinem Großvater, dem er zuvor geholfen hat, das Boot vorzubereiten, die Ruten zusammenzustecken und den Köder auszuwählen.

Daniel wuchs am Wasser auf. Die Wege zu Flüssen und Seen waren kurz, sodass er einen Großteil seiner Kindheit und Jugend am oder auf dem Wasser verbrachte. Er sah Nilpferde, Krokodile, Elefanten, sogar Giraffen – die Savanne war weit, orange und sandig. »Simbabwe hat aber auch sehr viel Wald, fast so wie hier in Brandenburg. Es gibt Berge, alles ist grün, und man kann Forellen angeln.« Den unbedingten Wunsch, einen Fisch zu fangen, hatte er schon immer – und hat ihn heute umso mehr.

Fliegenfischen ist für Daniel Sport und Beruf zugleich. Eine Passion, die er aus seiner Kindheit mit ins Erwachsenenalter nehmen konnte und an der er nie die Lust verlor. »Wenn dir als Kind etwas gefällt, dann ist es das Schönste, damit als Erwachsener auch weiterzumachen.«

Angeln ist eine Brücke zwischen den Generationen. Denn neben dem Naturerlebnis und den Erfolgen beim Fischen genoss Daniel vor allem die Zeit, die er mit seinem Großvater verbringen konnte – seinem vielleicht größten Fan. Heinz Simon weiß fast taggenau, was sein Enkel gefangen hat – und auch, was nicht. Der bald 90-Jährige lebt heute in Südafrika und verfolgt, was Daniel auf seiner Website HechtundBarsch.de veröffentlicht: Angeltrends, Videos, Fragen rund um Nymphen, Trockenfliegen oder Streamer.

flucht Wann genau Heinz Simon mit dem Angeln angefangen hat, weiß Daniel nicht genau. »Er war ja noch ein Kind, als er floh.« 1938 war das. Und Heinz Simon war gerade einmal acht Jahre alt. Wegen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten musste die Familie Deutschland verlassen. Die Zukunft war ungewiss. Wohin konnten sie gehen? Kanada, das eigentliche Zielland, gab keine Papiere an Juden aus. Auch die zweite Option, Südafrika, scheiterte daran, dass der Staat keine Papiere ausstellte.

Schließlich kam die Familie per Schiff nach Nordrhodesien, dem heutigen Sambia – eine Fahrt ins Leben. Eine Weile blieben sie dort, schließlich konnten sie sich in Südrhodesien, dem heutigen Simbabwe, niederlassen – mit den wenigen Dingen, die sie aus Köln mitnehmen konnten, in der Hoffnung, hier ihr Leben fortzusetzen. »Mein Großvater hat an die Zeit der Flucht keine guten Erinnerungen. Es war so schwer, nach Afrika zu kommen«, erzählt Daniel.

Die Familie baute sich ihre Existenz nur langsam wieder auf. »Anfangs hat mein Uropa in einer Fabrik gearbeitet, mein Großvater lernte als junger Mann in einer Werkstatt. Später eröffnete er eine Tankstelle. »Damals war das die einzige in der Stadt«, sagt Daniel. Dass er sich irgendwann einmal mit seinem Großvater auf Deutsch über Fliegenfischen unterhalten würde, hätte Daniel nie gedacht. »Es war für mich so schön, als wir in seiner Muttersprache miteinander reden konnten. Er hatte so lange kein Deutsch gesprochen und suchte trotzdem nur ganz selten nach Wörtern. Außerdem ist mein Opa ein echter Kölner und hat den unverkennbaren Kölner Dialekt.« Vor wenigen Monaten hat Daniel ihn in Südafrika besucht. Das Geschenk, das er Daniel machte, war lang, dünn und wog nicht viel: Sein Opa schenkte ihm seine Angelruten, denn er selbst fischt nicht mehr.

farbpalette Um ein echter Fliegenfischer zu werden, braucht man ungefähr 15 Minuten: graue Wathosen anziehen, Watschuhe darüber, die richtige Rute auswählen und ihre vier leichten Teile zusammenstecken, die später insgesamt über zwei Meter lang sein werden.

Das eigentliche Geheimnis aber sind die handgefertigten Fliegen. Sie sind fast zu schön, um sie so einfach ins Wasser zu werfen: rote, stecknadelgroße Köpfe, graue Körper, orangefarbene Flügel. Kupferrote, nur wenige Millimeter kleine Fliegenimitationen mit einem Büschel als Flügel oder feinste beige-mauve gestreifte federartige Wesen mit einem schwarz-grauen Punkt als Kopf. Hätten Fliegen einen Laufsteg, es wären die unendlich vielen Plastikboxen, die Angler mit sich in den Taschen herumtragen. Sie sind die Farbpalette der Fliegenfischer. Es gibt nur ein Problem: »Man hat nie genug davon«, sagt Daniel.

Neben der richtigen Ausrüstung gibt es noch die kleine Herausforderung eines Angelscheins. Denn nicht jeder kann zu jeder Zeit überall Fliegenfischen. Schonzeiten sind zu beachten, das gelbe Viereck mit einem schwarzen »F« zeigt, welche Abschnitte genutzt werden dürfen, und dann ist da noch das Fangbuch, das – ob erfolgreicher Fang oder nicht – zum Ende der Saison eingeschickt werden muss. Jeder Fisch, jedes Gewässer hat eine Kennzeichnung.

tanz So viel Bürokratie schreckt Daniel Andriani nicht ab. Dafür ist er viel zu geduldig. Eine Eigenschaft, die er nicht erst seit den ersten Angelerlebnissen in Simbabwe entwickelte. Denn Andriani war jahrelang Golfprofi und weiß, wann man anspannen muss und wann man loslassen kann. Das Golfen war es dann auch, das ihn nach Deutschland brachte: »Das war eher Zufall. Mein Trainer war in Deutschland, und von hier aus war alles erreichbar. Ich war zuvor in London und wollte mehr touren.« Deswegen kam er mit Anfang 20 nach Berlin.

Golfen und Angeln, findet Daniel, verbindet eine Menge. Und vielleicht war es auch die logische Konsequenz, dass er zum Fliegenfischen kam. »Der Ablauf ist ähnlich. Man braucht ein gewisses Timing, und generell hat man viel Zeit für sich und mit sich selbst.« Und manchmal sieht die Landschaft beim Fliegenfischen auch aus wie auf einem Golfplatz. Weite, ganz leicht hügelige Wiesen, die Platz genug bieten, das zu zeigen, was Fliegenfischen auch sein kann: der Tanz der Rute. Sechs, sieben, fast acht Mal fliegt die Flugschnur in weichen Kreisen über Daniels Kopf hinweg und zerschneidet die Luft mit einem kurzen dunklen Pfeifen. Landet die Schnur richtig im Wasser oder beißt ein Fisch an – nach diesem Ballett ist das fast Nebensache.

Aber Daniel ist noch nicht zufrieden: Vielleicht muss er doch eine andere Trockenfliege nehmen. Vielleicht diese kleine da mit dem grünen Körper. Oder die, die er in der dritten Box ganz unten in seiner Umhängetasche hat. Diese eine. Wo war sie doch gleich? Geduldig schiebt er eine Box nach der anderen zur Seite, klappt sie auf, schließt sie wieder. Dann wohl doch eine andere Fliege.

Zizit Daniel mit grauen Wathosen, dem weißen »Come Fly With Us«-T-Shirt, das Werbung für die gleichnamige YouTube-Sendung von »Hecht und Barsch« macht, und der polarisierten Sonnenbrille – das war auch einmal Daniel, der Kippa und Zizit trug – damals in Simbabwe. »Zwischen acht und 14 Jahren hatte ich eine Zeit, in der ich religiös war. Wir waren eine traditionell-orthodoxe Familie; die Küche war koscher.«

Heute leben in Simbabwe nur noch wenige Hundert Juden. Viele haben das Land wegen der politischen Unsicherheit verlassen. Während des Zweiten Weltkriegs flohen viele jüdische Familien aus Litauen, der Ukraine und Deutschland dorthin.

Noch in den 80er-Jahren, erinnert sich Daniel, war die jüdische Gemeinschaft relativ traditionell. »Nicht unbedingt streng religiös, aber fast jeder hielt den Schabbat, ging in die Synagoge und beging die Feiertage. Ich hatte einen guten Freund. Er war der Sohn des Rabbiners, und er hat mich auch ein wenig dazu inspiriert. Aber dann war ich auch irgendwie zu beschäftigt mit dem Golfen.« Heute lebt die Familie in Berlin koscher. Daniels Frau studiert am Abraham Geiger Kolleg und will Rabbinerin werden.

youtube Neben Familie, Fliegenfischen und Golfen bleibt immer Zeit für all das, was sich hinter »Hecht und Barsch« verbirgt: Videos übers Fliegenfischen, Blogs von Ködern bis hin zu Angelreisen und der ganz normale Input für Instagram. Denn jeder Fliegenfischer, der etwas auf sich hält, hat auch ein Selfie mit seinem Fisch. Und das kommt an, denn Angeln hat seine Zeit als Altherrensport mit Klappstuhl längst hinter sich. Heute erreicht »Hecht und Barsch« über 100.000 Angler pro Woche.

»Wir setzen dabei ganz auf Entertainment«, sagt Daniel, der den Blog seit vier Jahren betreibt. Mittlerweile hat das Team um »Hecht und Barsch« – an Andrianis Seite sein Schwager Toni Wehn und mehr als 20 Angler – über 45.000 Freunde bei Facebook und fast 15.000 Abonnenten bei Instagram. Und die sind hauptsächlich zwischen 15 und 40 Jahre alt.

»Seiten, auf denen ziemlich trocken erklärt wird, wie Fliegenfischen geht, gibt es viele, aber wir wollen auch den Spaß an der Sache zeigen.« Wenn sich also einmal die Rute im Baum verheddert oder der Fisch lieber unter Wasser bleibt, könnte das vielleicht auch bei YouTube zu sehen sein. Angeln ist angesagt, und viele Impulse, beschreibt Daniel, kommen aus den Vereinigten Staaten.

t-shirts Ein Impuls, der allerdings von gleich nebenan kommt, ist aus Baumwolle und kostet 19,90 Euro: ein T-Shirt mit dem rot-gelb-grün-blau-lila Print »Multikulturelle Regenbogenforelle«. Der Sommer 2015 gab dafür den Anstoß. »In der Zeit, in der die Flüchtlinge nach Deutschland kamen, wollten wir ein Zeichen gegen Rassismus setzen«, sagt Daniel.

Denn ihm fiel auf, dass die Diskussionen in den sozialen Netzwerken immer mehr in Richtung Rassismus gingen – auch in der eher unpolitischen Angelszene. »Es ist gut, auch innerhalb der Szene ein Zeichen zu setzen, denn auch dort gibt es alle Facetten von Menschen. Ganz klar darf jeder seine politischen Ansichten haben, aber er sollte nicht rassistisch werden.« Denn »(B)rassen«, so heißt es auf einem anderen T-Shirt von »Hecht und Barsch«, »spielen keine Rolle«.

Nur der Fisch zählt. Und der zieht kräftig an der Rute, die sich gerade zu einem schönen Bogen formt. An ihr zappelt eine Forelle. Grau-gold mit rosa Punkten. Viel zu schade für den Grill und viel zu lebendig für das Selfie.

www.hechtundbarsch.de

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