Kaschern

Vor Pessach muss der Schammes ran

Mit einer großen grünen Plastiktasche in der Hand betritt Yoram Mehlitz die Küche der orthodoxen Synagoge Joachimstaler Straße. Leonid Golzmann begrüßt ihn. »Na, was hast du zum Kaschern mitgebracht?«, fragt der Maschgiach und wirft einen Blick ins Innere der Tasche. »Eine Küchenmaschine«, antwortet Mehlitz und zieht den Aufsatz eines Thermomix heraus. »Und ein paar andere Sachen, bei denen wir nicht sicher waren«, so der 40-Jährige über den Vorgang, bei dem nicht koschere Behälter und Gegenstände, die mit Chametz in Berührung kamen, koscher für Pessach gemacht werden sollen.

»Zu Hause haben wir separates Geschirr für Pessach«, sagt der Mann mit der Schiebermütze. Allerdings gebe es auch einige Sachen, die er und seine Frau nicht doppelt hätten, neben der Küchenmaschine beispielsweise Schalen aus Edelstahl.

Auf dem Profiherd mit acht großen Herdplatten steht ein 60-Liter-Kessel

Unterdessen fährt Golzmann die Temperatur der Kochplatte hoch. Auf dem Profiherd mit acht großen Herdplatten steht ein 60-Liter-Kessel, der fast randvoll mit heißem Wasser gefüllt ist. »Warten wir ab, bis es richtig kocht«, sagt Golzmann. »Wenn die ersten Blasen aufsteigen, kann der Gegenstand ins Wasser«, erklärt er das Prozedere. Wie stark es koche, müsse jeder selbst entscheiden. »Aber von mir aus muss das Wasser richtig tanzen«, sagt Golzmann, der als Schammes für die Gemeinde tätig ist. Dann sei es gut.

Kaschern ist ein aufwendiges Unterfangen, das jedes Jahr aufs Neue vor Pessach vollzogen wird, damit das Geschirr einer korrekten rituellen Reinigung unterzogen wird. Die Methode basiere auf dem Prinzip: So wie der Gegenstand das Chametz aufnehme, so gebe er es auch wieder ab. Ein Topf, in dem beispielsweise Chametz gekocht werde, wie etwa Suppen oder Pasta, oder ein Löffel, der benutzt werde, um im Topf zu rühren, werde durch das kochende Wasser gekaschert, da dies das Chametz mit derselben Kraft entferne, wie es zuvor aufgenommen wurde.

»Natürlich kann man das auch zu Hause machen, aber dazu bräuchte ich eine Menge Wasser«, sagt Mehlitz und lässt einen Trichter in das inzwischen blubbernde Wasser gleiten. Kurz darauf wird er mithilfe einer Kelle wieder herausgefischt. Der gekascherte Gegenstand wandert auf die gegenüberliegende Seite in ein Spülbecken mit kaltem Wasser. Zum Abkühlen.

Für rund zweieinhalb Stunden steht die Küche – an zwei Tagen – in der Gemeinde offen für alle, die ihr Geschirr kaschern lassen wollen. »Entweder mache ich das für sie, oder es passiert unter meiner Aufsicht«, sagt Golzmann. Taschen mit Geschirr können auch vorab abgegeben werden. Neben der Tür stapeln sich einige davon.

So wie ein Gegenstand das Chametz aufnehme, gebe er es auch wieder ab, lautet das Prinzip.

»Das Kaschern habe ich allen beigebracht. Die Mitglieder unserer Gemeinde wissen, wie es geht«, sagt Golzmann, doch nicht jeder habe ausreichend Platz dafür. Das milchige Geschirr – zum Beispiel Gläser – könne man kaschern, indem man es über drei Tage im kalten Wasser stehen lässt. »Das Wasser muss nur regelmäßig ausgetauscht werden«, erklärt Golzmann, der auch als Koch in der Gemeinde fungiert. »Zu Schabbat kommen hier normalerweise rund 120 Leute«, sagt er.

Schalen und Schüsseln, Suppenkellen und Pfannenwender

Im Türrahmen der etwa 15 Quadratmeter großen Profiküche aus Stahl mit einem rutschfesten Fliesenboden erscheinen schon die nächsten Besucher. Yossef Jann und sein zehnjähriger Sohn Avner haben Schalen und Schüsseln mitgebracht, nebst Suppenkellen und Pfannenwendern. Das meiste davon ist aus Stahl, einige Gegenstände bestehen hingegen aus Plastik. Lässt sich Plastik gut kaschern?

»Aber ja!«, sagt Golzmann, man müsse nur auf die Hitzebeständigkeit achten. Das habe er auch lernen müssen. »Als ich das erste Mal Plastik gekaschert habe, wollte ich Schneidebretter reinigen«, erzählt er. »Die kamen dann ziemlich verformt aus dem Topf.«

Ein Blick in die Tasche des Vater-Sohn-Teams zeigt unterschiedlich große Schalen, die ineinander gestapelt darauf warten, gekaschert zu werden. Warum kann man die nicht genau so ins kochende Wasser geben, das würde doch Zeit sparen? »Weil jeder Topf für sich gekaschert werden muss, die Gegenstände dürfen einander nicht berühren«, antwortet Golzmann und fischt eine Schüssel mithilfe einer Kelle aus dem siedend heißen Wasser. Hat er sich jemals dabei verbrannt?

Die Männer nicken. »Ich kenne niemanden, der das Hantieren mit kochendem Wasser ganz ohne Blessuren überstanden hat«, gesteht Golzmann, das gehöre leider dazu. Mal schwappe etwas über, ein anderes Mal fasse man aus Versehen an die heiße Topfwand oder verbrenne sich an etwas, was noch nicht ausreichend abgekühlt sei.

»Man kann auch den Topf, der zum Kaschern verwendet wird, kaschern«, sagt er: indem man ihn zum Überlaufen bringe.

»Man kann auch den Topf, der zum Kaschern verwendet wird, kaschern«, sagt er: indem man ihn zum Überlaufen bringe. Eine ziemliche Herausforderung, und nicht jede heimische Küche dürfte für so etwas geeignet sein. Es sei denn, man möchte ohnehin anschließend den Boden reinigen.

Gibt es auch Gegenstände in der Küche, die nicht gekaschert werden können? Golzmann nickt: Bratpfannen zum Beispiel, die mit Teflon beschichtet sind. Für so etwas eigne sich zum Beispiel das Eintauchen in der Mikwe. Aber in der Synagoge werden die Teflonpfannen für acht Tage ganz aus der Küche entfernt. Und wie kaschert man eine Spülmaschine? »Indem man sie dreimal laufen lässt, einmal scharf und zweimal normal, ohne Befüllen«, sagt Golzmann.

Gemeinde­eigenes Besteck für rund 300 Mitglieder

Neben den Tüten mit Geschirr, die noch darauf warten, rechtzeitig vor Pessach gekaschert zu werden, komme das gemeinde­eigene Besteck für rund 300 Mitglieder hinzu. »Das machen wir über zwei Nächte hinweg, mit der Unterstützung von zehn Helfern«, sagt Golzmann.

Gibt es etwas, was weniger Zeit in Anspruch nimmt? Den Konvektomaten zu kaschern, sei einfach, sagt Golzmann und zeigt auf den Profi-Ofen, der neben dem geöffneten Fenster steht. Durch das Fenster zieht nun etwas kühle Luft aus dem Innenhof in die Küche. »Der reinigt sich von allein.« Er dürfe nur 24 Stunden zuvor nicht benutzt werden und müsse – während des Reinigungsprozesses – die höchstmögliche Hitze erreichen. Bei ihm seien 263 Grad möglich.

»Als Nächstes muss die gesamte Küche gereinigt werden, neben drei weiteren Vorratsräumen, in denen wir Geschirr, Speisen und Getränke aufbewahren«, sagt Golzmann, und deutet in Richtung der Räumlichkeiten, die sich eine halbe Treppe höher befinden. Eine Riesenarbeit!

»Morgen kommt ein Team von rund zehn Personen, wir putzen dann wirklich alles«, so Golzmann. Sämtliche Schränke und Regale werden ausgeräumt, Ölflaschen, Mehl und Gewürze werden entsorgt. Alles wird ausgewaschen, Böden werden geschrubbt, bis kein Stäubchen mehr sichtbar sei. »Der Unterschied zwischen normalen Tagen und Feiertagen sollte anschließend sichtbar sein«, so das Fazit.

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