Yerushalmi Lecture

Von Seuchen und Stereotypen

Kabbalistisches Amulett gegen die Pest Foto: Wellcome Collection . Attribution 4.0 International

Juden sind von Krankheiten ebenso betroffen wie andere Menschen auch. Nur wurde ihnen gerne die Schuld dafür in die Schuhe geschoben. Das ist in der aktuellen Corona-Pandemie nicht anders als immer wieder auch zur Zeit des Mittelalters. Der Historiker Michael Brenner griff für die alljährliche »Yerushalmi Lecture« das Thema auf und bat den Medizinhistoriker Robert Jütte, über »Epidemien in der jüdischen Geschichte« zu sprechen.

Bereits 2016 hatte Jütte sich in seiner umfassenden Studie über Leib und Leben im Judentum mit allen möglichen Aspekten körperlicher Befindlichkeit von biblischen Verlautbarungen bis in die Jetztzeit befasst.
Die Veranstaltung des Lehrstuhls für Jüdische Geschichte und Kultur, die von der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern regelmäßig unterstützt wird, bekam ihre eigene pandemiebedingte globale Dimension.

Statt in München öffentlich aufzutreten, referierte Jütte aus seinem Arbeitszimmer in Stuttgart, der Moderator Brenner war aus Washington zugeschaltet, während die Zuhörer gemütlich vor dem eigenen Rechner saßen, um mehr über ein höchst ungemütliches Thema zu erfahren.

theorien Robert Jütte, der 30 Jahre lang das Ins­titut für Geschichte der Medizin der Robert-Bosch-Stiftung leitete und an der Universität Stuttgart lehrt, erläuterte anhand von Pest, Syphilis, Cholera und Spanischer Grippe, wie Erklärungsversuche für hoch infektiöse Krankheiten in Verschwörungsszenarien umkippen konnten. Im Mittelalter unterstellte man Juden, die Brunnen zu vergiften, hing aber auch der Miasma-Theorie an, die besagt, dass Seuchen durch giftige Dämpfe aus dem Boden ausgelöst würden.

Für die Syphilis gab es die »Kolumbus«-Theorie, wonach Matrosen sie eingeschleppt hätten. Aus heutiger Sicht könnte man das Jahr 1495 als Superspreading-Event bezeichnen, mit Söldnern im Reich von König Karl VIII. als Überträger.

Solange die jüdischen Ehegebote streng eingehalten wurden, war die Krankheitsrate unter Juden geringer. Man beobachtete allerdings, dass eine freizügigere Lebensweise in den Großstädten dies änderte. Die Syphilis den Juden, die nach Russland, beziehungsweise Marranen, die nach Italien einwanderten, zuzuschreiben, hatte eher mit sexueller Stereotypisierung, also Vorurteilen, zu tun. Dabei waren es Juden, die diese schwere Krankheit in den Griff bekamen. Paul Ehrlich fand ein Heilmittel, August Paul von Wassermann entwickelte den Syphilis-Test.

empfehlungen Die Empfehlungen von Rabbi Akiva Eger angesichts der Cholera von 1830/31 klingen hochaktuell für unsere Zeit. Er empfahl gestaffelten Synagogenbesuch, Hygiene für Haus und Kleidung und zur Stärkung des Immunsystems – ohne solche Begriffe zu kennen – Spaziergänge zur Mittagszeit sowie Frischluft durch Fensteröffnen.

Angesichts der Spanischen Grippe, die vermutlich während des Ersten Weltkriegs mit Truppentransporten aus Amerika nach Europa eingeschleppt wurde, riet man übrigens dazu, Händeschütteln zu vermeiden. Robert Jütte wusste auch von Marilee Shapiro Asher zu berichten. Sie überlebte die Influenza 1918 mit sechs Jahren und im April 2020 Covid-19 107-jährig.

Chemnitz

Erinnerungen an Justin Sonder

Neben der Bronzeplastik für den Schoa-Überlebenden informiert nun eine Stele über das Leben des Zeitzeugen

 19.10.2025

Porträt der Woche

Leben mit allen Sinnen

Susanne Jakubowski war Architektin, liebt Tanz und die mediterrane Küche

von Brigitte Jähnigen  19.10.2025

Miteinander

Helfen aus Leidenschaft

Ein Ehrenamt kann glücklich machen – andere und einen selbst. Menschen, die sich freiwillig engagieren, erzählen, warum das so ist und was sie auf die Beine stellen

von Christine Schmitt  19.10.2025

Architektur

Wundervolles Mosaik

In seinem neuen Buch porträtiert Alex Jacobowitz 100 Synagogen in Deutschland. Ein Auszug

von Alex Jacobowitz  17.10.2025

Nova Exhibition

Re’im, 6 Uhr 29

Am 7. Oktober 2023 feierten junge Menschen das Leben. Dann überfielen Hamas-Terroristen das Festival im Süden Israels. Eine Ausstellung in Berlin-Tempelhof zeigt den Horror

von Sören Kittel  17.10.2025

Meinung

Entfremdete Heimat

Die antisemitischen Zwischenfälle auf deutschen Straßen sind alarmierend. Das hat auch mit der oftmals dämonisierenden Berichterstattung über Israels Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas zu tun

von Philipp Peyman Engel  16.10.2025

Erinnerung

Gedenken an erste Deportationen aus Berlin am »Gleis 17«

Deborah Hartmann, Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, warnte mit Blick auf das Erstarken der AfD und wachsenden Antisemitismus vor einer brüchigen Erinnerungskultur

 16.10.2025

Bonn

Hunderte Menschen besuchen Laubhüttenfest

Der Vorsitzende der Synagogen-Gemeinde in Bonn, Jakov Barasch, forderte mehr Solidarität. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hätten sich hierzulande immer mehr Jüdinnen und Juden aus Angst vor Übergriffen ins Private zurückgezogen

 13.10.2025

Hamburg

Stark und sichtbar

Der Siegerentwurf für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge steht fest

von Heike Linde-Lembke  09.10.2025