Gedenken

Virtuell sichtbar gemacht

Virtuell rekonstruiert: die Neue Synagoge Hannover, die 1870 eröffnet und 1938 zerstört wurde

Nur ein paar Clicks, und schon taucht der Betrachter per Computer in enge mittelalterliche Gassen ein. Fachwerkhäuser, Giebel, die sich zueinander neigen, lange Schatten auf lehmigen Wegen. Virtuelle Realität. Glaubt man Bauforschern, Archäologen und Computerexperten der Technischen Universität Darmstadt, könnte so ähnlich das jüdische Viertel in Köln um das Jahr 1349 ausgesehen haben.

Marc Grellert und seine Kollegen vom Fachgebiet Digitales Gestalten am Fachbereich Architektur der TU Darmstadt sind Experten für kulturelles Gedächtnis. Derzeit arbeiten sie an der digitalen Rekonstruktion des jüdischen Viertels in Köln, wo sich derzeit eine der größten archäologischen Ausgrabungsstätten Deutschlands befindet.

REKONSTRUKTION Seit mehr als 25 Jahren widmet sich der Ingenieur der Rekonstruktion zerstörter deutscher Synagogen am Computer. Einige seiner Werke werden am Gedenktag der Novemberpogrome von 1938 öffentlich zu sehen sein. An ihren historischen Standorten werden sie auf die heutigen Gebäude oder auf Leinwände projiziert.

»18 von den Nationalsozialisten zerstörte oder schwer beschädigte Synagogen werden dank digitaler Technologie in der Nacht vom 9. auf 10. November für wenige Stunden wieder in ihrem ursprünglichem Glanz erstrahlen«, kündigte der Jüdische Weltkongress (WJC) an.

Marc Grellert wollte ein Zeichen setzen und zerstörte Synagogen mit digitalen Mitteln wieder zum Leben erwachen lassen.

So solle an das ehemals reichhaltige und vielfältige jüdische Leben in Deutschland erinnert werden. Neben 5 Standorten in Österreich sind in 13 deutschen Städten Videoprojektionen zu sehen, zum Teil mit einer erweiterten Präsentation über eine Virtual-Reality-Brille: darunter Berlin, Hamburg, München, Frankfurt am Main und Köln.

ZEICHEN Angefangen hat die Sache für Grellert im März 1994, als Rechtsradikale Brandsätze auf die Synagoge in Lübeck geworfen hatten. Der damalige Architekturstudent wollte ein Zeichen setzen und zerstörte Synagogen mit digitalen Mitteln wieder zum Leben erwachen lassen.

Am Anfang standen die virtuelle Rekonstruktion von drei Frankfurter Synagogen und eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Frankfurt. »Das Echo war so überwältigend, dass wir uns entschlossen haben, weiterzumachen«, erinnert sich Grellert.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Und zwar damit, im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland erbaute Synagogen virtuell zu rekonstruieren und dabei auch die architektonische Vielfalt widerzuspiegeln. Eine aufwendige Puzzlearbeit auf der Grundlage alter Fotografien, Baupläne, Zeitzeugenberichte und zeitgenössischer Zeichnungen.

TECHNOLOGIE Seitdem hat die Computertechnologie große Sprünge gemacht. »Während die Frankfurter Synagogen in einer ersten Ausstellung lediglich als Ausdrucke gezeigt wurden, können wir heute mittels Virtual-Reality-Brille in rekonstruierten Synagogen umhergehen«, sagt Grellert.

Die Wanderausstellung »Synagogen in Deutschland - Eine virtuelle Rekonstruktion« könnte ein festes Domizil in Frankfurt erhalten.

Ungefähr 25 jüdische Gebetshäuser haben er und seine Mitarbeiter inzwischen als virtuelle Konstruktionen erarbeitet. Sie sollen die kulturelle Blüte des Judentums in Deutschland verdeutlichen. Er wolle aber auch an die Schoah, die Umstände der Zerstörung und die Schicksale der Nutzer erinnern.

Ein Weg dahin war die Wanderausstellung »Synagogen in Deutschland - Eine virtuelle Rekonstruktion«, die seit 2000 in Deutschland, Israel, Kanada und den USA zu sehen war. Ein festes Domizil könnte sie im Frankfurter Hochbunker an der Friedberger Anlage erhalten. Der 1942 errichtete fensterlose Bau steht über den Fundamenten einer Synagoge, die im November 1938 zerstört wurde.

MODELLE Neben Virtual Reality nutzen die Techniker mittlerweile auch die Möglichkeit, digitale Modelle gewissermaßen über Nacht auszudrucken. Die eingesetzten Materialien reichen von Gips und Keramik bis zu Glas und Metall. Für die neue Dauerausstellung des Jüdischen Museums in Berlin werden Modelle für die Synagogen aus Köln, Hannover, München und Plauen aus Edelstahl gedruckt.

Darüber hinaus hat Grellert 2002 das Synagogen-Internet-Archiv entwickelt - eine Datenbank, die Informationen über 2.100 Synagogen enthält, die sich 1933 in Deutschland befanden. Diese Datenbank ist zurzeit nicht online. Die Ergebnisse sind aber in dem neuen Internet-Auftritt »Jewish Places« des Jüdischen Museums in Berlin eingeflossen. Grellert erwägt eine Wiederaufnahme des Angebots.

Porträt der Woche

Zwischen den Welten

Ruth Peiser aus Berlin war Goldschmiedin, arbeitete bei einer Airline und jobbt nun in einer Boutique

von Gerhard Haase-Hindenberg  15.06.2025

Berlin

»Drastisch und unverhältnismäßig«

Die Jüdische Gemeinde erhöht die Gebühren ab September deutlich. Betroffene Eltern wehren sich mit einer Petition

von Christine Schmitt  12.06.2025

Hamburg

Kafka trifft auf die Realität in Tel Aviv

Ob Krimi, Drama oder Doku – die fünften Jüdischen Filmtage beleuchten hochaktuelle Themen

von Helmut Kuhn  12.06.2025

Weimar

Yiddish Summer blickt auf 25 Jahre Kulturvermittlung zurück

Zwischen dem 12. Juli und 17. August biete die internationale Sommerschule für jiddische Musik, Sprache und Kultur in Weimar diesmal insgesamt über 100 Programmbausteine an

von Matthias Thüsing  11.06.2025

Sachsen

Verdienstorden für Leipziger Küf Kaufmann

Seit vielen Jahren setze er sich für den interreligiösen Dialog und den interkulturellen Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein

 11.06.2025

Oldenburg

Brandanschlag auf Synagoge: Beschuldigter bittet um Entschuldigung

Am 5. April 2024 war ein Brandsatz gegen die massive Tür des jüdischen Gebetshauses in der Leo-Trepp-Straße geworfen worden

 11.06.2025

Erinnerung

731 Schulen erinnern an Anne Frank

Der Aktionstag findet seit 2017 jährlich am 12. Juni, dem Geburtstag des Holocaust-Opfers Anne Frank (1929-1945), statt

 11.06.2025

Grand Schabbaton

Eine 260-köpfige Familie

In Potsdam brachte der»Bund traditioneller Juden« mehrere Generationen zusammen

von Mascha Malburg  11.06.2025

Meinung

Jewrovision: einfach jung und jüdisch sein

Junge Jüdinnen und Juden sind alltäglich Anfeindungen ausgesetzt. Für sie ist die Jewrovision ein Safe Space

von Katrin Richter  11.06.2025