Antisemitismus

Vier Vorfälle. Keine Spur

Die Polizei soll den Ermittlungsdruck erhöhen, fordern Landespolitiker. Foto: imago

Ende August im Bezirk Tempelhof-Schöneberg: Rabbiner Daniel Alter geht mit seiner Tochter durch den Malerkiez. Er trägt, wie immer, eine Kippa, als ihn plötzlich vier Jugendliche angreifen. Nur wenige Tage später pöbeln mehrere Jugendliche Schülerinnen der Jüdischen Traditionsschule Or Avner auf offener Straße mit den Worten: »Seid Ihr Juden?« an und fotografieren sie. An Jom Kippur wird Stephan J. Kramer, der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, verbal angegriffen. Und eine Familie, die auf dem Weg in die Synagoge ist, steigt aus dem Taxi aus, nachdem sich der Fahrer ihren Angaben zufolge geweigert haben soll, sie zum Gotteshaus zu fahren.

Kurz nach solchen Ereignissen ist die Bestürzung auf öffentlicher Seite sehr groß. So sagte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) nach dem Angriff auf Rabbiner Alter: »Ich verurteile diesen antisemitischen Überfall auf das Schärfste. Berlin ist eine weltoffene Stadt, in der Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus nicht geduldet werden. Die Polizei wird alle Anstrengungen unternehmen, die Täter zu ermitteln und festzunehmen.«

Auch Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) reagierte damals bestürzt und verurteilte die Tat »auf das Schärfste«. Doch wie steht es um die Verfolgung solcher Überfälle? »Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft laufen weiter«, bestätigte Martin Steltner, Pressesprecher der Staatsanwaltschaft der Jüdischen Allgemeinen. Ob es allerdings im Fall Daniel Alter und den Schülerinnen schon eine heiße Spur gibt, das konnte Steltner nicht sagen.

Behörden Henkel ist zuversichtlich, dass die Ermittlungen erfolgreich sein werden: »Es ist unser Anspruch und unsere Pflicht, dass solche Taten von den Sicherheitsbehörden unnachgiebig verfolgt werden. Das tun sie«, sagte der Innensenator. Der Vorsitzende des Arbeitskreises für Inneres der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Frank Zimmermann, fordert, dass die Polizei »den Ermittlungsdruck erhöht«. Man könne nach all diesen Übergriffen »nicht einfach zur Tagesordnung übergehen«.

Zimmermann hofft auf die nächsten Treffen im Innenausschuss, wo das Thema Antisemitismus erörtert werden soll. »Im Detail muss man die Polizei und den Senator berichten lassen«, betont der Abgeordnete. Auch Benedikt Lux, innenpolitischer Sprecher der Grünen, setzt auf den Innenausschuss: »Ich habe im Namen meiner Fraktion im Innenausschuss angeregt, die jüngsten Übergriffe gegen Menschen jüdischen Glaubens zum Anlass zu nehmen, die Landeskommission ›Berlin gegen Gewalt‹ genauer zu untersuchen.« Diese setzt sich seit 1994 für Maßnahmen ein, die zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt dienen sollen – etwa vorbeugende Programme für Jugendliche oder Aufklärungsangebote für Eltern.

Der Vorsitzende des Innenausschusses, Peter Trapp (CDU), vertraut auf die Ermittlungen der Spezialdienststelle. Noch gebe es keinen »zielgerichteten Erfolg«, sagt der Politiker. Doch man müsse immer auf die Aussagen der Opfer und der Zeugen bauen. Bei einem Überfall in der S- oder U-Bahn liefen die Ermittlungen oftmals schneller, aber dort gebe es auch eine Überwachung per Videoaufzeichnung, betont Trapp. »Ich kann mir allerdings keine flächendeckende Videoüberwachung für den öffentlichen Raum vorstellen«, fügt der Abgeordnete hinzu.

Der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Udo Wolff, wünscht sich von Polizei und Staatsanwaltschaft mehr Feingefühl: »Oft sind die Ermittlungsbehörden nicht sensibel genug, antisemitische Straftaten als solche zu erkennen, sie werden nicht selten als Sachbeschädigung oder Jugendkriminalität behandelt«, sagt der Politiker.

Sicherheit Dass sich Juden in Berlin sicher fühlen müssen, darin sind sich die Abgeordneten einig. »Es wäre unerträglich, wenn es Gewalttätern gelänge, Menschen in unserer Stadt wegen ihres Glaubens einzuschüchtern«, sagt Frank Henkel. Er nehme es ernst, wenn Menschen in manchen Gegenden ein größeres Angstgefühl hätten. Es sei Aufgabe der Politiker, dafür zu sorgen, »dass es auch in Zukunft keine No-Go-Areas gibt und die Polizei präsent ist.« Die Vorfälle zeigten, dass es an Respekt für andere Religionen mangelt, sagt Peter Trapp. Von einer »neuen Qualität« spricht Frank Zimmermann, und Benedikt Lux bezeichnet die Angriffe als besorgniserregend. »Es kann nicht sein, dass in Berlin Menschen aufgrund ihres jüdischen Glaubens mit Hass und Gewalt begegnet wird. Die Verfolgung der Täter muss Priorität haben.«

Udo Wolff bezeichnet die Übergriffe als »Schande«. Sie belegten »auf bittere Art und Weise, dass es immer noch Antisemitismus in der Gesellschaft gibt«. Alle Bürger seien gefordert, ein Zeichen zu setzen, damit »Juden in Berlin keine Angst haben müssen, sich öffentlich zu erkennen zu geben«.

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025