Autobiografie

Unter außergewöhnlichen Umständen

Roman Haller, Charlotte Knobloch und Shahrzad Osterer (v.l.) Foto: IKG Kulturzentrum/ Tom J.M. Hauzenberger

Im April war Roman Haller Zeitzeuge bei der alljährlichen Gedenkstunde zum Jom Haschoa in der Synagoge »Ohel Jakob«. Nun war er eingeladen in den Hubert-Burda-Saal des Jüdischen Gemeindezentrums, und zwar am Tag der Auslieferung seines jüngsten Buches Vom Überleben ins Leben. Auch wenn es im Untertitel »Eine jüdische Biografie im München der Nachkriegszeit« heißt, begann für Roman Haller alles bereits im Frühjahr 1944 in einem Wald bei Tarnopol.

Seine Geburt fand »unter sehr außergewöhnlichen Umständen« statt, sodass Haller seinen Geburtstag jedes Jahr zwischen dem 10. und 14. Mai mehrfach feiern kann. Niemand achtete darauf, wann genau er zur Welt kam. Nur eines wusste die Gruppe im Waldbunker: dass ein Baby angesichts umherstreifender deutscher Soldaten für alle ein tödliches Risiko bedeutete. Offenbar war er ruhig genug, nicht erstickt zu werden. Doch eines muss sein Körpergedächtnis aus dieser Zeit bewahrt haben: Wenn im Fernsehen von verschütteten Menschen die Rede ist, fühlt Roman Haller Beklemmungen, Atemnot. Er vermutet, dass man ihm im Wald bei Gefahr vorsichtshalber die Hand über den Mund legte.

In einem Zwiegespräch mit Shahrzad Osterer, die binnen einer Woche zweimal als Moderatorin gefragt war, verbunden mit eingestreuten Lesepassagen, begann der Autor zu erzählen, wie er zum Buch kam. Als er jung war, verschloss er seine Ohren, weil er nicht ertrug zu hören, was seinen Eltern widerfahren war. Der Vater sprach viel über den Krieg. Die Mutter schwieg, doch es war ein beredtes Schweigen. Ihre Erlebnisse niederzuschreiben, war nicht die Sache dieser Generation, man hatte anderes zu tun, ein Leben neu aufzubauen.

Trotz allem sei seine Kindheit unbeschwert gewesen, denn er habe viel Liebe von seinen Eltern erfahren.

Ein Flug mit seiner zweiten Frau Eva nach Prag, den sie beide nicht glaubten zu überleben, machte ihm klar, er wolle alles noch genauer und weitreichender erzählen, als dies in seinem ersten Buch Davidstern und Lederhose. Eine Kindheit in der Nachkriegszeit der Fall war – für seine Kinder und Enkelkinder und für eine interessierte Leserschaft. Ob Haller sich mit Gleichaltrigen austauschte, wollte Osterer wissen. Nein, lautete die Antwort, jeder habe seine eigene Geschichte gehabt, und trotz allem sei seine Kindheit unbeschwert gewesen, denn er habe viel Liebe von seinen Eltern erfahren.

Das hatte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, schon in ihrem sehr persönlichen Grußwort vorweggenommen. Sie kannte Roman Haller schon lange, bevor sie ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Denn jedes Mal, wenn sie das Ehepaar Haller traf, schwärmte die Mutter Ida von ihrem Sohn. Er gehört zu den frühen Mitgliedern der Kultusgemeinde, weil »München, eigentlich nur Durchgangsstation, zu einer unerwarteten Heimat wurde«.

Für Knobloch bedeutet »Vom Überleben ins Leben« vor allem »aufzuwachsen in einem Land, dem man nicht vertraute – und das unter Menschen, von denen man das Schlimmste anzunehmen hatte. Oftmals zu Recht«. Für Haller waren seine Retter, die Polin Irena Gut und der deutsche Offizier Eduard Rügemer, gute Menschen, von denen es in der NS-Zeit nur zu wenige gab.

Roman Haller: »Vom Überleben ins Leben. Eine jüdische Biografie im München der Nachkriegszeit«. Mit einem Geleitwort von Andrea Löw. Allitera, München 2025, 145 S., 20 €

Kalender

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 11. Dezember bis zum 17. Dezember

 10.12.2025

Diskussion

Schleichende Aushöhlung

Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann und der Journalist Richard C. Schneider sprachen in München über Herausforderungen für die moderne Demokratie

von Helen Richter  10.12.2025

Berlin

Chanukkia am Brandenburger Tor leuchtet ab Freitag

Zum zentralen Lichterzünden wird Bundestagspräsidentin Julia Klöckner erwartet

von Karin Wollschläger  09.12.2025

Frankfurt

Buzzer, Beats und Bonusrunden

Die Lokalmatadore des Jugendzentrums Amichai konnten das Jewish Quiz für sich entscheiden

von Leon Stork  09.12.2025

Thüringen

Jüdische Landesgemeinde und Erfurt feiern Chanukka

Die Zeremonie markiert den Auftakt der inzwischen 17. öffentlichen Chanukka-Begehung in der Thüringer Landeshauptstadt

 08.12.2025

Berlin

Jüdisches Krankenhaus muss Insolvenz anmelden

Viele Krankenhäuser stehen unter enormem wirtschaftlichem Druck. Ein Berliner Haus mit fast 270-jähriger Geschichte musste nun Insolvenz anmelden: Das Jüdische Krankenhaus will damit einen Sanierungsprozess starten

 08.12.2025

Chabad

»Eine neue Offenheit«

Seit 20 Jahren ist Heike Michalak Leiterin der Jüdischen Traditionsschule. Ein Gespräch über Neugier, das Abenteuer Lernen und die Ängste der Eltern

von Christine Schmitt  05.12.2025

WIZO

Tatkraft und Humanität

Die Gala »One Night for Children« der Spendenorganisation sammelte Patenschaften für bedürftige Kinder in Israel

von Ellen Presser  05.12.2025

Porträt der Woche

Mit Fingerspitzengefühl

Hans Schulz repariert Fahrräder und spricht mit seinen Kunden auch über Israel

von Alicia Rust  05.12.2025