Im April war Roman Haller Zeitzeuge bei der alljährlichen Gedenkstunde zum Jom Haschoa in der Synagoge »Ohel Jakob«. Nun war er eingeladen in den Hubert-Burda-Saal des Jüdischen Gemeindezentrums, und zwar am Tag der Auslieferung seines jüngsten Buches Vom Überleben ins Leben. Auch wenn es im Untertitel »Eine jüdische Biografie im München der Nachkriegszeit« heißt, begann für Roman Haller alles bereits im Frühjahr 1944 in einem Wald bei Tarnopol.
Seine Geburt fand »unter sehr außergewöhnlichen Umständen« statt, sodass Haller seinen Geburtstag jedes Jahr zwischen dem 10. und 14. Mai mehrfach feiern kann. Niemand achtete darauf, wann genau er zur Welt kam. Nur eines wusste die Gruppe im Waldbunker: dass ein Baby angesichts umherstreifender deutscher Soldaten für alle ein tödliches Risiko bedeutete. Offenbar war er ruhig genug, nicht erstickt zu werden. Doch eines muss sein Körpergedächtnis aus dieser Zeit bewahrt haben: Wenn im Fernsehen von verschütteten Menschen die Rede ist, fühlt Roman Haller Beklemmungen, Atemnot. Er vermutet, dass man ihm im Wald bei Gefahr vorsichtshalber die Hand über den Mund legte.
In einem Zwiegespräch mit Shahrzad Osterer, die binnen einer Woche zweimal als Moderatorin gefragt war, verbunden mit eingestreuten Lesepassagen, begann der Autor zu erzählen, wie er zum Buch kam. Als er jung war, verschloss er seine Ohren, weil er nicht ertrug zu hören, was seinen Eltern widerfahren war. Der Vater sprach viel über den Krieg. Die Mutter schwieg, doch es war ein beredtes Schweigen. Ihre Erlebnisse niederzuschreiben, war nicht die Sache dieser Generation, man hatte anderes zu tun, ein Leben neu aufzubauen.
Trotz allem sei seine Kindheit unbeschwert gewesen, denn er habe viel Liebe von seinen Eltern erfahren.
Ein Flug mit seiner zweiten Frau Eva nach Prag, den sie beide nicht glaubten zu überleben, machte ihm klar, er wolle alles noch genauer und weitreichender erzählen, als dies in seinem ersten Buch Davidstern und Lederhose. Eine Kindheit in der Nachkriegszeit der Fall war – für seine Kinder und Enkelkinder und für eine interessierte Leserschaft. Ob Haller sich mit Gleichaltrigen austauschte, wollte Osterer wissen. Nein, lautete die Antwort, jeder habe seine eigene Geschichte gehabt, und trotz allem sei seine Kindheit unbeschwert gewesen, denn er habe viel Liebe von seinen Eltern erfahren.
Das hatte die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, schon in ihrem sehr persönlichen Grußwort vorweggenommen. Sie kannte Roman Haller schon lange, bevor sie ihn zum ersten Mal zu Gesicht bekam. Denn jedes Mal, wenn sie das Ehepaar Haller traf, schwärmte die Mutter Ida von ihrem Sohn. Er gehört zu den frühen Mitgliedern der Kultusgemeinde, weil »München, eigentlich nur Durchgangsstation, zu einer unerwarteten Heimat wurde«.
Für Knobloch bedeutet »Vom Überleben ins Leben« vor allem »aufzuwachsen in einem Land, dem man nicht vertraute – und das unter Menschen, von denen man das Schlimmste anzunehmen hatte. Oftmals zu Recht«. Für Haller waren seine Retter, die Polin Irena Gut und der deutsche Offizier Eduard Rügemer, gute Menschen, von denen es in der NS-Zeit nur zu wenige gab.
Roman Haller: »Vom Überleben ins Leben. Eine jüdische Biografie im München der Nachkriegszeit«. Mit einem Geleitwort von Andrea Löw. Allitera, München 2025, 145 S., 20 €