Köln

Süße Normalität

Gleich taucht die Mitarbeiterin des Museums Kekse in die flüssige Schokolade und verteilt sie an die Kinder. Foto: Constantin Graf Hoensbroech

»Hat die Eintrittskarte geschmeckt?«, fragt Julia Berg-Pfeifer die rund 30 Kinder sowie Jugendlichen, Frauen und Männer vor ihrer Führung durch das Kölner Schokoladenmuseum. Und schon ist das Eis gebrochen und die Neugier der zunächst recht zurückhaltenden Teilnehmer der Museumsführung gesteigert.

Insgesamt 100 Personen, in drei Gruppen aufgeteilt, werden von Museumspädagogen durch die Ausstellung geführt. Zuvor hatte jeder Teilnehmer eine verpackte Praline in Form einer Eintrittskarte für den Rundgang durch das nach eigenen Angaben »süßeste Museum von Köln« erhalten.

freude »Für dieses Haus ist es eine ganz besondere Freude, Sie bei uns empfangen zu dürfen«, begrüßt Klaus Schopen von der Museumsleitung die Besuchergruppe, die für das jährlich von 600.000 Besuchern frequentierte Museum einen besonderen Stellenwert einnimmt: Es handelt sich um ukrainische Geflüchtete, die von dem Museum in Kooperation mit der Kölner Sektion der Women’s International Zionist Organization (WIZO) zu einem Besuch eingeladen sind.

Aus verschiedenen Richtungen Kölns sind sie in das sonnendurchflutete Foyer des Hauses direkt am Ufer des Rheins gekommen – zu Fuß, mit Kinderwagen oder auch großen und kleinen Fahrrädern. »Wir wollten diesen Menschen einfach Freude, einen unbeschwerten Moment schenken«, sagt Orly Licht von der Kölner WIZO und fügt hinzu: »Gleichwohl können wir ihnen die Zukunftsängste nicht nehmen.«

Die Sozialabteilung der Synagogen-Gemeinde hat die WIZO-Einladung verschickt.

Zudem möchten die Kölner WIZO-Frauen zeigen, dass das Engagement der Öffentlichkeit mit Blick auf die Auswirkungen des seit über drei Monaten tobenden Krieges und insbesondere auf das damit verbundene Leid für die Menschen aus der Ukraine eben nicht nachlassen darf. »Wir lassen sie nicht allein«, hebt Orly Licht hervor.

zusagen Die Einladungen an die Flüchtlinge, die fast alle schon in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch nach Köln kamen und über die Synagogen-Gemeinde (SGK) untergebracht worden sind, hatte die Sozialabteilung der SGK im Namen der Kölner WIZO ausgesandt. Es gab bis auf eine Handvoll Absagen nur Zusagen.

Zum Abschluss dieses Nachmittags auf der Rheinhalbinsel verteilen die WIZO-Frauen an jeden einzelnen Teilnehmer einen Rucksack. Auch die vier Monate alte Liel und ihr dreijähriger Bruder Michael erhalten einen – genauso wie die Senioren. In den Tagen vor dem Besuch des Schokoladenmuseums hatten die WIZO-Frauen die Rucksäcke liebevoll mit Kosmetika, je einem Handtuch sowie einem Getränk bestückt.

Zudem gab es vom Schokoladenmuseum noch eine kleine Überraschung, die Klaus Schopen bei der Begrüßung im Museum versprochen hatte: einen acht mal zehn Zentimeter großen Schokoladentaler, auf dem sich ein Relief des Kölner Doms befindet.

kakaobohne Staunend und mit fast ungläubigem Blick stehen vor allem die Kinder und Jugendlichen während der Führung am Schokoladenbrunnen. Unaufhörlich ergießt sich an dem einer goldenen Kakaobohne, bestehend aus Hunderten von Kakaobohnen, nachempfundenen drei Meter hohen Objekt aus zehn Edelstahlröhren flüssige Schokolade.

Rund 200 Kilogramm Schokolade fasst der Brunnen.

Rund 200 Kilogramm fasst der Brunnen mit der warmen braunen Köstlichkeit. Mitarbeiterinnen des Hauses tunken kleine Waffeln in das Wahrzeichen an der Spitze des Museums und reichen diese an die Besucher als kleine Wegzehrung weiter. Der Rundgang umfasst drei Ebenen mit 4000 Quadratmetern Ausstellungsfläche sowie begehbarem Tropenhaus.

»Solche Besuche sind für diese Menschen, vor allem für die Kinder, so wertvoll und haben eine heilsame Wirkung«, stellt Tanja Puris fest, während sich die drei Besuchergruppen begeistert vor den Plexiglasscheiben aufbauen, hinter denen der maschinelle Produktionsprozess der Kakaoverarbeitung und Schokoladenherstellung erlebbar ist.

Kraft Die Leiterin der Sozialabteilung im Wohlfahrtszentrum der Synagogen-Gemeinde Köln betont: »Eine derartige Gelegenheit gibt den Flüchtlingen für einen Moment die Möglichkeit, Normalität zu erleben und daraus Kraft zu schöpfen.« Dass das offenbar gelungen ist, bestätigte Museumspädagogin Julia Berg-Pfeifer am Ende ihrer Führung. Bewegt stellte die sechsfache Mutter fest: »Ich habe schon lange nicht mehr so viel Dankbarkeit, Interesse und Freude von einer Gruppe während einer Führung zurückbekommen.«

Insbesondere die Kinder, die aufgrund des Krieges schon so viel durchgemacht haben, hätten ein »großes Interesse gezeigt«. Zudem ist es der erfahrenen Pädagogin wichtig, die Unterstützung der drei Simultandolmetscher aus den Reihen der Geflüchteten zu würdigen. »Das hat alles mit Leichtigkeit und einer Selbstverständlichkeit geklappt, obwohl wir uns ja gerade erst getroffen haben.«

Als sich bei strahlendem Sonnenschein die WIZO-Damen mit ihren Gästen zum Gruppenbild vor dem einem Schiff nachempfundenen markanten Museumsgebäude aufstellen, entfährt es dem 14-jährigen Oleh voller Begeisterung: »Das hat so viel Spaß gemacht!« Eine Ukrainerin ergänzt: »Alles wurde von ganzem Herzen vorbereitet und durchgeführt – einfach: Danke!«

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