Baden

Streit um die Statistik

Stuttgarter Landtag: Die Regierung will wissen, wie viele Juden der IRG angehören. Foto: imago

Wie viele Mitglieder haben die zehn Gemeinden, die in der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden (IRG) zusammengeschlossen sind? Die Frage ist nicht ganz unerheblich, denn nach der Mitgliederzahl richtet sich der Betrag, den der badische Dachverband monatlich vom Land erhält. Der 2010 abgeschlossene Staatsvertrag geht von 5090 Mitgliedern der zehn badischen Gemeinden aus, entsprechend erhält die IRG 1,4 Millionen Euro, pro Mitglied sind es 750 Euro im Jahr.

»Auch wenn sich herausstellen sollte, dass die tatsächliche Mitgliederzahl niedriger ist, hat das direkt einmal keine Konsequenzen«, unterstreicht Michael Herrmann, Sprecher des Kultusministeriums in Stuttgart. Denn der Staatsvertrag müsste dann vom Landtag neu verhandelt werden.

Frist Aber davon ist vorläufig einmal keine Rede: Zurzeit zählt die IRG aufgrund ihrer Listen nämlich selbst die Zahl ihrer Mitglieder. »Abgemacht mit dem Ministerium ist, dass wir bis Ende Januar diese Zahlen liefern, es kann aber auch noch länger dauern«, sagt Rami Suliman, Vorsitzender der IRG Baden.

Bislang haben die IRG-Verantwortlichen schon zwei zeitliche Vorgaben des Ministeriums, Ende Oktober und Ende Dezember, verstreichen lassen. »Wir stehen vor einer ganz schwierigen Aufgabe, denn nicht zuletzt wegen der Zuwanderer aus der früheren Sowjetunion ist die Frage: ›Wer ist Jude‹ entscheidend«, entschuldigt der IRG-Vorsitzende die Verzögerung.

Suliman, der in Pforzheim wohnt, sagt auch, bis jetzt sei man bei der Überprüfung mithilfe der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) auf rund 600 Personen gestoßen, die nach der Halacha nicht jüdisch seien. Doch auch für diese Personen müssten »menschliche und akzeptable Lösungen gefunden werden.« Das betreffe auch die Frage der gemeinsamen Gräber von jüdischen und nichtjüdischen (Ehe-)Partnern. Im Ministerium stoße man in dieser Frage auf ein gewisses Verständnis. Bei 90 Personen benötige man noch weitere Abklärungen, so Suliman.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, wie es überhaupt zu dieser Situation kommen konnte. Zeitungen im badischen Raum nennen sie in Anlehnung an das historische Vorbild der kaiserlichen Armee im Ersten Weltkrieg mittlerweile despektierlich sogar »Judenzählung«.

vorgeschichte Der Grund ist möglicherweise in der Vorgeschichte der Zählung zu finden: 2013 geriet die IRG Baden in Turbulenzen, vor allem rund um die Gemeinde Baden-Baden (vgl. Jüdische Allgemeinde vom 11. Juli 2013). Dort sei es auch zu finanziellen Unregelmäßigkeiten gekommen, worauf in der Folge vom Kultusministerium in Stuttgart eine Verwalterkommission unter dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Günter Hertweck eingesetzt wurde.

Unter anderem prüfte die Kommission auch die Mitgliederlisten der badischen Gemeinden. Und will nach eigenen Angaben dabei auf Ungereimtheiten gestoßen sein. Es habe dort nämlich »zu viele Namen« gegeben. Schnell tauchte deshalb der Verdacht auf, die Listen seien von der IRG großzügig aufgefüllt worden. Gegenüber verschiedenen Zeitungen räumt IRG-Vorsitzender Suliman ein, durch die große Einwanderungswelle zu Beginn der 90er-Jahre habe man nicht die Möglichkeit gehabt, genau zu kontrollieren, wer halachisch jüdisch sei und wer nicht. Oft hätte den Gemeinden auch schlicht die Infrastruktur gefehlt, das zu kontrollieren.

Vorwurf Nun stehe der Vorwurf im Raum, die IRG habe sich Gelder »erschlichen«. IRG und Kultusministerium beeilen sich möglicherweise deshalb zu beteuern, man strebe eine kooperative Lösung an, die für alle Seiten akzeptabel sei. Allerdings sickerte wiederum in den Medien das Protokoll einer Sitzung vom Februar 2014 zwischen IRG-Vertretern und einer hochrangigen Ministeriumsbeamtin durch, die von massivem Stuttgarter Druck wissen will: Von einer möglichen Kündigung des Staatsvertrages war dort sogar die Rede.

Suliman hofft indessen, solche Zwischentöne würden bald in Vergessenheit geraten, denn schließlich ginge es allein um die Sache: »Wir planen mit dem Geld, das wir vom Land erhalten, Synagogen, Schulen und Kindergärten. Wir brauchen diese Summen, um unsere Infrastruktur aufrechterhalten zu können. Alles andere wäre eine Katastrophe.«

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  16.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Berlin

Margot Friedländer Preis wird verliehen

Die mit insgesamt 25.000 Euro dotierte Auszeichnung gehe an Personen, die sich für Toleranz, Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen

 15.09.2025

München

»In unserer Verantwortung«

Als Rachel Salamander den Verfall der Synagoge Reichenbachstraße sah, musste sie etwas unternehmen. Sie gründete einen Verein, das Haus wurde saniert, am 15. September ist nun die Eröffnung. Ein Gespräch über einen Lebenstraum, Farbenspiele und Denkmalschutz

von Katrin Richter  14.09.2025