Geburtstag

Spät berufen

Verehrt und geachtet: Professor Miriam Gillis-Carlebach Foto: Gesche Cordes

»Erew tow« (guten Abend) schallt es glockenhell aus dem Telefon: Das ist unverkennbar die Stimme von Miriam Gillis-Carlebach. Auch zu fast mitternächtlicher Stunde ist sie noch zu sprechen. Das Telefon klingelte am Mittwoch bestimmt ununterbrochen im israelischen Petach Tikwa. Die Professorin für Pädagogik, Soziologie und jüdische Geschichte, Leiterin des Joseph-Carlebach-Instituts an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, wurde 90.

Immer noch geht sie täglich in das von ihr 1992 gegründete Institut, das dem Andenken und Vermächtnis ihres Vaters, Joseph Carlebach (1893–1942), des letzten Oberrabbiners von Hamburg, seiner Familie und den jüdischen Gemeinden gewidmet ist. Zum Andenken an ihren Vater organisierte sie zahlreiche Konferenzen zu geistesgeschichtlichen- und erziehungswissenschaftlichen Themen im Kontext deutsch- jüdischer Beziehungen, insbesondere in Kooperation mit der Universität Hamburg.

Nachwuchsförderung Anlässlich des 120. Geburtstages des Oberrabbiners wurde 2003 in Anwesenheit von Miriam Gillis-Carlebach in einem feierlichen Festakt der Universität Hamburg der Joseph-Carlebach-Preis begründet. Alle zwei Jahre wird die mit 3.000 Euro dotierte Auszeichnung an junge Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler für herausragende Seminar-, Studien- und Examensarbeiten zur jüdischen Geschichte, Kultur und Religion verliehen.

Miriam Gillis-Carlebach ist Ehrensenatorin der Universität Hamburg, Ehrendoktorin der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg und Trägerin des Verdienstkreuzes der Bundesrepublik Deutschland.

Am 1. Februar 1922 wurde sie in Hamburg als Tochter des legendären Rabbiners, Lehrers und Wissenschaftlers Joseph Carlebach und seiner Frau Charlotte geboren. Sie war die drittälteste Tochter von insgesamt neun Kindern. Ihre Eltern und drei Schwestern wurden 1942 in das Konzentrationslager Jungfernhof bei Riga verschleppt und am 26. März 1942 im Wald von Bikernieki erschossen.

Familie Miriam Carlebach emigrierte 1938, ein Jahr vor dem Abitur, als 16-Jährige mit einem Touristenvisum in das damalige Palästina. In Haifa besuchte sie eine Landwirtschaftsschule und lebte bis 1943 im Kibbuz Alumin. 1944 heiratete sie den Lehrer Moshe Gillis, sie bekamen vier Kinder. Heute ist sie Großmutter von 14 Enkeln und fast 40 Urenkeln. Erst 1968 holte sie mit 46 Jahren das Abitur nach und studierte Pädagogik. Ab 1973 unterrichtete sie an der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, 1984 promovierte sie.

Nach 45 Jahren kam sie 1983 aus Anlass einer Gedenkfeier der Jüdischen Gemeinde in Hamburg zum 100. Geburtstag ihres Vaters das erste Mal nach Hamburg zurück. Bis dahin hatte sie nie wieder deutsch gesprochen. »Als erstes kam die Sprache zurück ...«, wird sie in einem Buch über ihre Familie zitiert. Seit dieser Zeit kam sie immer wieder in die Hansestadt, aber auch an andere Orte in Norddeutschland, wo ihre große Familie einst wirkte.

Ihre Veröffentlichungen zu wissenschaftlichen Themen sowie Bücher, insbesondere über ihre Mutter Charlotte, Jedes Kind ist mein einziges – Lotte Carlebach-Preuss, Antlitz einer Mutter und Rabbiner-Frau, zeichnen diese ungewöhnliche Frau aus. In Hamburg wird sie verehrt: Miriam Gillis-Carlebach.

Essay

Vorsichtig nach vorn blicken?

Zwei Jahre lang fühlte sich unsere Autorin, als lebte sie in einem Vakuum. Nun fragt sie sich, wie eine Annäherung an Menschen gelingen kann, die ihr fremd geworden sind

von Shelly Meyer  26.10.2025

Stuttgart

Whisky, Workshop, Wirklichkeit

In wenigen Tagen beginnen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt die Jüdischen Kulturwochen. Das Programm soll vor allem junge Menschen ansprechen

von Anja Bochtler  26.10.2025

Porträt

Doppeltes Zuhause

Sören Simonsohn hat Alija gemacht – ist aber nach wie vor Basketballtrainer in Berlin

von Matthias Messmer  26.10.2025

Trilogie

Aufgewachsen zwischen den Stühlen

Christian Berkel stellte seinen Roman »Sputnik« im Jüdischen Gemeindezentrum vor

von Nora Niemann  26.10.2025

Dank

»Endlich, endlich, endlich!«

Die IKG und zahlreiche Gäste feierten die Freilassung der Geiseln und gedachten zugleich der Ermordeten

von Esther Martel  24.10.2025

Kladow

Botschaft der Menschlichkeit

Auf Wunsch von Schülern und des Direktoriums soll das Hans-Carossa-Gymnasium in Margot-Friedländer-Schule umbenannt werden

von Alicia Rust  24.10.2025

Osnabrück

Rabbiner Teichtal: »Unsere Aufgabe ist es, nicht aufzugeben«

»Wer heute gegen Juden ist, ist morgen gegen Frauen und übermorgen gegen alle, die Freiheit und Demokratie schätzen«, sagt der Oberrabbiner

 24.10.2025

Universität

»Jüdische Studis stärken«

Berlin bekommt als eines der letzten Bundesländer einen Regionalverband für jüdische Studierende. Mitgründer Tim Kurockin erklärt, wie sich der »JSB« künftig gegen Antisemitismus an den Hochschulen der Hauptstadt wehren will

von Mascha Malburg  23.10.2025

Sport

»Wir wollen die Gesellschaft bewegen«

Gregor Peskin ist neuer Vorsitzender der Makkabi-Deutschland-Jugend. Ein Gespräch über Respekt, neue Räume für Resilienz und interreligiöse Zusammenarbeit

von Helmut Kuhn  23.10.2025