Feiertage

Solidarität und Hoffnung

Kein anderer jüdischer Feiertag spricht die jüdische Gemeinschaft so unmittelbar an wie das Fest des Auszugs aus Ägypten. Foto: Getty Images/iStockphoto

Die Sedertische sind gedeckt: Nach langer Vorbereitung, Großputz, Kaschern und der Suche nach Chametz stehen wir nun am Beginn von Pessach 5783. Wenn wir dabei im Laufe des Seders die Haggada zur Hand nehmen und gemeinsam die Mazzot anbrechen, dann weicht, wie in jedem Jahr, die Erschöpfung langsam der Erhebung.

Durch den mit allen Sinnen erlebbaren Rückblick auf die Wunder beim Auszug aus Ägypten und den Beginn der Geschichte des jüdischen Volkes verstehen wir Jahr für Jahr aufs Neue, warum wir sind, wer wir sind. Kein anderer jüdischer Feiertag spricht uns so unmittelbar an.

Dank dieser überwältigenden Kraft ist Pessach durch alle Jahrtausende hindurch bis in die Gegenwart eine der Wegmarken geblieben, die das jüdische Volk stets gemeinsam erreicht. Ganz egal, wo ein jüdischer Mensch sich am Sederabend aufhält, ja sogar, ob er den Seder überhaupt feiert: Pessach ist ein verbindendes Element für alle Mitglieder von Am Israel.

herausforderungen Diese Einigkeit ist heute noch bedeutsamer als früher, denn einigende Elemente sind rar geworden inmitten der großen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen unserer Zeit. Die welthistorischen Einschnitte der vergangenen Jahre haben diesen Trend nur noch verstärkt. Egal, ob Corona-Pandemie, Krieg in der Ukraine oder zuletzt der heftige Streit um die geplanten Gesetzesnovellen in Israel: Immer größer werden die Herausforderungen, denen sich Gesellschaft und Individuum gegenübersehen. Mich persönlich hat dabei gerade die Situation in Israel sehr belastet.

Wir in der Diaspora bleiben bei unserer Hoffnung auf eine Beruhigung der Lage.

Denn ich teile zwar die Ansicht des israelischen Botschafters in Berlin, Ron Prosor, der die jüngste politische Aufwallung in einem Interview als Ausdruck lebendiger Demokratie deutete. So kurz vor dem 75. Geburtstag des jüdischen Staates machten die Ereignisse aber auch schmerzlich klar, dass die politischen Gegensätze, die in Israel nie gering waren, heute noch schwieriger zu überwinden sind als früher.

Wir in der Diaspora bleiben bei unserer innigen Hoffnung auf eine Beruhigung der Lage – und bei unserer Solidarität mit einem israelischen Staat, dem sich in der jüdischen Gemeinschaft hierzulande die überwältigende Mehrheit unverändert eng verbunden fühlt. Diese Gleichzeitigkeit in der nichtjüdischen Mehrheitsgesellschaft zu vermitteln, ist aber eine Aufgabe für sich.

misstöne Denn Israel ist nicht das einzige Thema, das im gemeinsamen Diskurs derzeit Misstöne provoziert. Während die Feinde Israels und der jüdischen Gemeinschaft ihr Gift ganz ungeniert verspritzen, stehen ihre Freunde sich oftmals selbst im Weg. So war nicht nur in unserer Kultusgemeinde die Enttäuschung groß, als die Stadt München das für Ende Mai geplante Konzert des BDS-Unterstützers Roger Waters entgegen ursprünglicher Planungen doch noch zuließ.

Obwohl Waters’ Konzert in Frankfurt am Main abgesagt werden konnte, wurde derselbe Weg in München nach einem Rechtsgutachten der oberbayerischen Bezirksregierung nicht mehr beschritten: eine Entscheidung, die niemandem zu vermitteln ist und die das ohnehin schon angeschlagene Vertrauen weiter erschüttert.

Rein äußerlich betrachtet, gäbe es durchaus Gründe, beim Sederabend Trübsal zu blasen. Wer aber so denkt, der hat noch keinen Seder gesehen.

In der jüdischen Gemeinschaft verfestigt sich allmählich der Eindruck, dass die staatlichen Stellen zwar beste Absichten verfolgen, ihre bereitwillig gegebenen Schutzversprechen aber nicht wirklich einhalten können. Viel zu oft müssen wir erleben, dass Politik und Justiz bei der Bekämpfung des Antisemitismus nicht an einem Strang ziehen.

Rein äußerlich betrachtet, gäbe es also durchaus Gründe, beim Sederabend Trübsal zu blasen. Wer aber so denkt, der hat noch keinen Seder gesehen. Sonst hätte er erlebt, wie Jahr für Jahr wieder alle Sorgen unserer Zeit hinter den großen Linien der gemeinsamen Geschichte verschwinden; wie die Befreiung aus der Knechtschaft alle kleinen und großen Ketten auch unseres Alltages sprengt.

einheit Die Einheit, von der eingangs die Rede war, bricht sich Bahn nicht in unserer Erinnerung, sondern in der Erfahrung des Auszugs aus Ägypten, die jeder jüdische Mensch zu Pessach macht. Dass uns heute manches trennt, ändert deshalb auch nichts daran, dass die jahrtausendealte Tradition des Judentums uns sehr wohl aneinander bindet. Indem wir beim Seder die Tür für den Propheten Elijahu öffnen, können wir die Tür zu unserer Gegenwart für einen Abend schließen.

In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass die kommenden Tage für uns friedlich und erbaulich sein mögen und wir die Einigkeit des jüdischen Volkes auch für die Zukunft bewahren. Ihnen und Ihren Familien wünsche ich von Herzen chag Pessach kascher we-sameach!

Jom Haschoa

Geboren im Versteck

Bei der Gedenkstunde in der Münchner Synagoge »Ohel Jakob« berichtete der Holocaust-Überlebende Roman Haller von Flucht und Verfolgung

von Luis Gruhler  05.05.2025

Berlin/Potsdam

Anderthalb Challot in Apartment 10b

In Berlin und Potsdam beginnt am 6. Mai das Jüdische Filmfestival. Die Auswahl ist in diesem Jahr besonders gut gelungen

von Katrin Richter  05.05.2025

Sehen!

Die gescheiterte Rache

Als Holocaust-Überlebende das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten vergiften wollten

von Ayala Goldmann  04.05.2025 Aktualisiert

Nachruf

»Hej då, lieber Walter Frankenstein«

Der Berliner Zeitzeuge und Hertha-Fan starb im Alter von 100 Jahren in seiner Wahlheimat Stockholm

von Chris Meyer  04.05.2025

Essay

Das höchste Ziel

Was heißt es eigentlich, ein Mensch zu sein? Was, einer zu bleiben? Überlegungen zu einem Begriff, der das jüdische Denken in besonderer Weise prägt

von Barbara Bišický-Ehrlich  04.05.2025

Zusammenhalt

Kraft der Gemeinschaft

Die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern feierte das Fest der Freiheit im Geiste von Tradition und Herzlichkeit

von Rabbiner Shmuel Aharon Brodman  03.05.2025

Porträt der Woche

Die Zeitzeugin

Assia Gorban überlebte die Schoa und berichtet heute an Schulen von ihrem Schicksal

von Christine Schmitt  03.05.2025

München

Anschlag auf jüdisches Zentrum 1970: Rechtsextremer unter Verdacht

Laut »Der Spiegel« führt die Spur zu einem inzwischen verstorbenen Deutschen aus dem kriminellen Milieu Münchens

 02.05.2025

Auszeichnung

Margot Friedländer erhält Großes Verdienstkreuz

Die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer erhält das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Steinmeier würdigt ihr Lebenswerk als moralische Instanz

 02.05.2025