Porträt der Woche

»So frei wie noch nie«

Ariella Hirshfeld ist Schauspielerin und Dozentin – und verliebt in Berlin

von Maria Ugoljew  05.07.2020 11:44 Uhr

»Ich möchte in Berlin bleiben«: Ariella Hirshfeld Foto: Stephan Pramme

Ariella Hirshfeld ist Schauspielerin und Dozentin – und verliebt in Berlin

von Maria Ugoljew  05.07.2020 11:44 Uhr

Mein Leben bewegt sich nicht linear, vielmehr ist es von vielen, manchmal auch abrupten, Veränderungen geprägt. Es geht immer mal hoch und runter. Gerade befinde ich mich auf einem Hoch. Ich fühle mich heute so frei wie noch nie. Vor vier Jahren habe ich mich von meinem langjährigen Partner getrennt, dem Vater meiner beiden Kinder.

Ich habe eine 14-jährige Tochter und einen zehnjährigen Sohn. Die beiden sind sehr selbstständig, was mir die Möglichkeit gibt, selbstbestimmter zu sein. Beispielsweise plane ich zum ersten Mal seit Jahren einen Wochenendtrip. Das habe ich zuletzt mit Mitte 20 gemacht, heute bin ich 40. Womit ich nicht sagen will, dass ich niemals verreise. Ich reise durch die Arbeit sehr viel und gerne, aber dass ich nur zu meinem Vergnügen reise, das ist neu.

In meinen Zwanzigern ging es turbulent bei mir zu. Als frische Schauspielabsolventin der renommierten Folkwang-Universität der Künste in Essen kam ich nach Berlin. Es dauerte nicht lange, und ich verliebte mich – wirklich Hals über Kopf. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich zog eine Woche nach unserem Kennenlernen bei meinem Freund ein. Da bin ich heute noch verwundert über mich, aber so war es. Kurze Zeit später sind wir Eltern geworden. Unsere Beziehung hielt über viele Jahre. Ich möchte das alles nicht missen.

Praktikum Mit 15 Jahren habe ich den Entschluss gefasst, Schauspielerin zu werden – und das, obwohl ich vorher nie an diesen Beruf gedacht hatte. In der neunten Klasse habe ich ein Schulpraktikum im Theater gemacht, das war meine erste Begegnung mit dem Metier. Danach habe ich diesen Weg energisch weiterverfolgt. Sie müssen wissen: Ich war eigentlich jemand, der sich ziellos auf Partys herumtrieb, auch Drogen waren im Spiel. Die Schule war mir egal. Sogar das Schulpraktikum war mir egal – beinahe wäre ich in einem Schuhgeschäft gelandet, das hatte mein Lehrer für mich organisiert. Allerdings wollte ich das dann doch nicht, weshalb ich zum Telefonhörer griff und beim Theater nachfragte. Warum habe ich das gemacht? Ich weiß es nicht. Aber es war meine Rettung.

Im Förderprogramm für Nachwuchsschauspieler des Theater Total in Bochum lernte ich, was Disziplin und Zuverlässigkeit bedeuten.

Von da an hielt ich mich von Drogen und dem dazugehörigen Freundeskreis fern. Mit 16 Jahren, nachdem ich die zehnte Klasse beendet hatte, nahm ich an einem achtmonatigen Förderprogramm für Nachwuchsschauspieler des Theater Total in Bochum teil. Dort lernte ich, was Disziplin und Zuverlässigkeit bedeuten und dass das für mich wichtig ist. Die Lehrer unterstützten mich, ich erfuhr viel Wertschätzung, dadurch wurde ich mir meiner selbst immer bewusster. Und so habe ich nach und nach meine Schüchternheit abgelegt, auch wenn dieser Prozess qualvoll für mich war.

studium Danach, mit 17, bewarb ich mich an der Folkwang-Uni. Für gewöhnlich werden dort nur Abiturienten fürs Studium zugelassen. Doch in mir entdeckten sie ein Talent, das sie fördern wollten.
Intensive dreieinhalb Jahre lernte ich dort. Es war eine tolle und anstrengende Zeit zugleich. Es gab nur noch die Uni, meine Kommilitonen und das Schauspiel. Ich war in eine andere Welt abgetaucht. Wir wurden ständig kritisiert und auseinandergenommen. Das Ziel war, dass jeder von uns als gefestigte Persönlichkeit die Uni verlässt. Wir sollten wissen, was wir denken, glauben und fühlen. Trotz allem gab es auch viele schöne Erfahrungen – ohne die hätte ich es vermutlich nicht durchgestanden.

Meine Mutter – sie ist Flötistin und Musiklehrerin – war zu Beginn skeptisch, was meine Berufswahl betraf. Doch als ich es schließlich an eine renommierte Hochschule schaffte, war sie stolz auf mich. Mein Vater, ein Physiker, war hingegen stets mit allem einverstanden, was ich tat. Immer unterschiedlicher Meinung zu sein, war ein Merkmal ihrer Beziehung. Als ich elf Jahre alt war, trennten sie sich.

Ich habe noch immer Schwierigkeiten mit meiner jüdischen Identität in Deutschland.

Ich wuchs mit meinen drei Schwestern in der kleinen Stadt Fröndenberg bei Dortmund auf. Ich habe mich dort mit meinen schwarzen, lockigen Haaren, meinen braunen Augen und meinem dunklen Teint immer als Ausländerin gefühlt. Und dann war ich noch die Jüdin in der Klasse. Als wir im Unterricht die NS-Geschichte behandelten, sagte mein Lehrer dann tatsächlich: »Ja, du bist doch Jüdin.«

Das war mir so unangenehm, mein ganzes Selbstverständnis hat er damit in Frage gestellt. Wer bin ich in diesem Land? Erst mithilfe der Schauspielerei hat sich dieser Knoten des Unwohlseins ein wenig gelöst. Ich sage bewusst »ein wenig«, denn ganz gelöst hat er sich bis heute nicht. Ich habe noch immer Schwierigkeiten mit meiner jüdischen Identität in Deutschland. Es ist mir ein Anliegen, diesen Bruch künstlerisch zu bearbeiten.

In verschiedenen Kulturen aufzuwach­sen, fiel mir nicht immer leicht: auf der einen Seite mein Vater mit jüdisch-litauischen Wurzeln, der als Kind in den 50er-Jahren die USA verließ und nach Israel auswanderte; auf der anderen Seite die jüdisch-irakische Herkunft meiner Mutter, die in Palästina aufwuchs. Während sie ein religiöses Leben präferierte – sie hielt mit uns Schabbat, ging in die Synagoge, betete –, war mein Vater der Wissenschaftler aus kommunistischem Elternhaus, der Wert auf Fakten und Beweise legte. Unterschiedlicher hätten die Weltanschauungen nicht sein können.

Europa Während die jüdische Religion und Kultur in meinem Elternhaus ein Thema war, wurde über den Holocaust so gut wie nicht gesprochen. Erst wenn ich Fragen stellte, erzählten sie etwas. Ich denke, das hat den Hintergrund, dass sie uns Kindern den Schrecken über diese Zeit in Deutschland und Europa ersparen wollten. Ich versuche, meine Kinder besser darauf vorzubereiten, doch das ist keine leichte Aufgabe.
Zurück zu meiner Schauspielkarriere: Nach meinem Studium habe ich mich für die Freiberuflichkeit entschieden. Ein festes Engagement strebe ich bis heute nicht an. Ich genieße es, an verschiedenen Orten und mit unterschiedlichen Menschen zusammenzuarbeiten. Der stetige Wechsel ist mir wichtig.

Über den Holocaust wurde in meinem Elternhaus so gut wie nicht gesprochen.

Meine letzte Probenphase liegt noch nicht lange zurück. Trotz Corona fand sie am Wolfgang-Borchert-Theater in Münster statt. Das war eine sehr stressige Zeit. Die Kinder waren im Homeschooling, es gab niemanden, der durchgängig auf sie hätte aufpassen können. Das heißt, mal waren sie mit mir in Münster, mal blieben sie bei ihrem Vater in Berlin. Es ging hin und her. Und dazwischen musste ich meine Texte lernen. Diese Phase ist glücklicherweise geschafft. Wenn alles gut geht und Corona uns keinen Strich durch die Rechnung macht, feiern wir im September mit dem Stück Premiere.

Ferien Ein Projekt, das nach den Sommerferien hoffentlich weitergeht, ist meine Arbeit mit Kindern und Jugendlichen in Berlin. Ihnen die Schauspielerei näherzubringen, ist mir ein großes Anliegen. Ich vermittle ihnen dabei, was Vertrauen heißt, Akzeptanz, Aufmerksamkeit und Achtsamkeit. Ich helfe ihnen, sich selbst und ihre Innen- und Außenwelt besser kennenzulernen und einzuschätzen. Meine eigenen Erfahrungen stecken dort mit drin, all das, was ich ab meinem 15. Lebensjahr gelernt habe.

Im letzten Jahr habe ich einen Film mit Jugendlichen gedreht, ihre direkte, unvoreingenommene Art war sehr erfrischend. An Filmsets herrscht häufig auch mal eine reservierte Stimmung. Es gibt nun mal solche und solche Künstler. Mir sind jene am liebsten, die einen Umgang auf Augenhöhe pflegen, wie ich. Mir ist es egal, ob ich mit einem Laien zusammenarbeite oder einem etablierten Profi. Was zählt, ist die persönliche Begegnung mit einem Menschen. Am Ende gehen wir doch alle auf die Toilette.

Ich bin nicht nur als Schauspielerin und Dozentin tätig, auch als Sprecherin werde ich engagiert. Diese Vielfalt war bei mir zu Beginn aus der Not heraus geboren – irgendwie musste ich ja Geld verdienen. Heute sehe ich das als eine glückliche und sich ergänzende Fügung. Immer wieder neue Themen, neue Rollen, neue Aufgaben, neue Herausforderungen. Ich wünsche mir, dass das noch lange so bleibt.

Nur eine Sache möchte ich auch zukünftig beibehalten: Ich möchte in Berlin bleiben. Diese vielfältige, offene und multikulturelle Stadt ist zu meinem Zuhause geworden.

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