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Selbstbewusst: Ariella Hirshfeld liebt das Spiel – auch das mit der Kamera. Foto: Stephan Pramme

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Ariella Hirshfeld spielt in Kreuzberg ein Stück über Fotografie

von Katrin Richter  11.03.2013 20:06 Uhr

Wie in Zeitlupe geht die zierliche Frau im langen schwarzen Mantel über die Bühne. Die Absätze ihrer schwarzen Schuhe klappern kräftig auf dem Holzboden, sodass der Text, den sie mit leiser Stimme aufsagt, nur schemenhaft zu hören ist. Elegant dreht sie ihre Hand ein und streckt ihren Arm aus, als wolle sie jemanden zum Tanz bitten. Plötzlich bleibt sie stehen, nimmt die lockigen Haare mit einem gekonnten Schwung zum Zopf zusammen und schüttelt die Arme aus. »Dann mal los«, sagt sie.

Ariella Hirshfeld steckt mitten in den Proben zu »Schau mich an und lächle!«, einem Tanztheater über Fotografie. Das Stück, das vom Choreografen José Antonio Roque Toimil inszeniert wurde, ist inspiriert vom Essay »Über Fotografie« der amerikanischen Schriftstellerin Susan Sontag. Was Fotografie auslösen kann, welche Macht sie hat und wie sie kommerzialisiert wird, damit setzen sich Ariella und ihre Kollegen schauspielerisch und tänzerisch auseinander.

»Das Stück ist sehr offen für die Gedanken des Publikums«, sagt die 32-Jährige, die an der renommierten Folkwang Universität der Künste in Essen studiert hat. Hirshfeld wusste schon als Jugendliche, dass sie Schauspielerin werden möchte. »Man kann durch das Spiel unheimlich viel erwecken«, sagt die Tochter einer Israelin und eines Amerikaners.

Druck Im Bochumer Projekt »Theater total«, in dem Jugendliche Einblick in kreative Berufe erhalten, erhielt Ariella das Rüstzeug für ihre spätere Karriere. »Dort habe ich mich orientiert.« Und auch Kraft getankt, denn die Prüfung an der Folkwang-Schule war für die damals erst 17-Jährige enorm schwierig. »Ich habe nach dieser Aufnahmeprozedur an gar nichts mehr gedacht. Eigentlich war ich damals nur ehrfürchtig.« Rückblickend findet Hirshfeld das gar nicht gut. »Man soll doch eher selbstbewusst an Dinge herangehen.« Die drei Jahre in Essen beschreibt sie heute als »alles andere als real«. »Wir waren acht Schüler, die ständig unter Druck standen. Die aber auch den großen Luxus hatten, immer von der Universität geschützt zu werden.«

In unzähligen Entspannungs-, Sprech- und Wahrnehmungsübungen hat Hirshfeld gelernt, sich als Schauspielerin auf die unterschiedlichsten Rollen vorzubereiten und auch einzulassen. So hat sie bis heute neben vielen kleineren Produktionen auch schon neben John Malkovich in Raoul Ruiz’ Biografie des österreichischen Malers Gustav Klimt oder neben Armin Müller-Stahl in Heinrich Breloers Die Buddenbrooks gespielt.

Trotzdem zieht es sie immer wieder auf die Bühne – gerade auch für Produktionen wie »Schau mich an und lächle!«, für die sie eigentlich gar nicht eingeplant war. »Meine Rolle ist eher zufällig entstanden. Ich spiele eine Malerin, deren Bild vermarktet wird und die damit alles andere als einverstanden ist.« Dieser Konflikt zwischen ihr als Künstlerin und den Medienverkäufern endet in einem unerwarteten Zerwürfnis.

alltag Ganz friedlich geht es dagegen in Ariellas Alltag zu. Seitdem sie ihre beiden Kinder habe, genieße sie das ganz normale Leben mit ihnen. Und denkt dabei auch oft an ihre eigene Kindheit. Hirshfeld wurde, wie sie selbst beschreibt, behütet und jüdisch erzogen. Das galt in dem kleinen Ort im Sauerland, in dem ihre Familie damals wohnte, »als anders«. »Wir und noch eine türkische Familie waren die beiden Ausländer, und wir auch die einzigen Juden.«

Eigentlich war das auch schon alles, wenn es nicht eine Zeit in der Schule gegeben hätte, die Ariella heute noch mit einem bitteren Nachgeschmack verbindet. »Ich habe mich kürzlich erst mit meiner Mutter darüber unterhalten und sie gefragt, warum sie mich auf das, was mir als Jüdin in diesem Land begegnen würde, nicht besser vorbereitet hat.« Denn Hirshfeld wurde quasi zum Anschauungsobjekt. »Ich hatte das Gefühl, dass ich das nicht sein wollte.« Auf einer Schulfahrt nach Prag besichtigte die Klasse das ehemalige KZ Theresienstadt. »Das hat mich um 100 Jahre zurückgeworfen. So schockiert war ich. Ich habe die Welt nicht mehr verstanden.« Ihre Hilflosigkeit und die der Lehrer haben Ariella emotional sehr mitgenommen. »Erst jetzt erhole ich mich davon.«

Identität Lange Zeit hatte sie die Frage, wie es so als Jüdin in Deutschland sei, »sehr genervt«. »Warum sollte ich immer anders sein?« Das Gefühl ging sogar soweit, dass Hirshfeld überlegte, Deutschland zu verlassen. Ihre eigenen Kinder möchte sie in diesem Punkt besser auf die Gesellschaft vorbereiten, merkt aber, dass es manchmal gar nicht so einfach ist. »Vor unserem Haus liegen drei Stolpersteine, zu denen mich meine Tochter auch schon befragt hat.« Ariella blickt lange in die Runde und holt Luft: »Wie erklärt man einem Kind das Wort ›deportiert‹?«

Die Arbeit mit anderen Kindern und auch jüdischen Familien – im Berliner Projekt Bambinim – hilft der Schauspielerin: »Ich spüre, dass es eine Bewegung gibt, dass man zusammenhält.« Das tut gut.

»Schau mich an und lächle!«, The Kinetics Dance Company, Ein Tanztheater über Fotografie. Vom 14. bis 16. März jeweils um 20 Uhr im TAK im Aufbau-Haus am Moritzplatz, Prinzenstraße 85 F. Eintritt: 13, ermäßigt 8 Euro. Weitere Informationen zum Programm: www.theater-aufbau-kreuzberg.de

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