Mönchengladbach

»Sind wir Juden in Deutschland noch erwünscht?«

Die große Anteilnahme habe sie wirklich sehr gefreut, sagt Leah Floh, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach. Statt der erwarteten 40 Teilnehmer waren am Donnerstag weit mehr als 120 Personen auf den Adenauerplatz gekommen, um mit der Jüdischen Gemeinde und der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit an der Kundgebung »Pro Israel und gegen Antisemitismus« teilzunehmen.

»Das hat mich schon sehr beeindruckt, es sind viel mehr Menschen gekommen als zu der Anti-Israel-Demonstration, viel mehr«, sagt Floh. Aber das Gefühl der Gefährdung und der Sorge wiege diese Kundgebung leider nicht auf.  »Manche Reden waren sehr emotional und mitnehmend, manche waren kalt und indifferent«, sagt Leah Floh. Aber sie habe durchaus verspürt, »dass einzelnen Leuten die Situation nicht egal ist«.

pflichttermin Bei anderen habe sie das Gefühl gehabt, dass sie nur einen Pflichttermin wahrnehmen, zeigt sich die langjährige Vorsitzende betroffen. Sie selbst hatte in ihrer sehr politischen Rede die Bedeutung Israels für die jüdische Gemeinschaft in Deutschland und die Verpflichtung der deutschen Politik zur Stellungnahme gegen Antisemitismus betont.

Man habe ihr die Frage gestellt, ob es wirklich immer noch aktuell und nötig sei – nach dem Waffenstillstand im Nahen Osten –, diese Kundgebung zu organisieren.

Man habe ihr die Frage gestellt, ob es wirklich immer noch aktuell und nötig sei – nach dem Waffenstillstand im Nahen Osten –, diese Kundgebung zu organisieren. Flohs Antwort: »Es ist immer notwendig, und es ist immer aktuell. Israel braucht Ihre moralische und praktische Unterstützung, immer!«, betont sie. Der Waffenstillstand biete schließlich keine Garantie für die Sicherheit der Existenz des Staates Israel.

»Wir sind deutsche Juden, aber wir sind auch Israelis. Wir sind keine Politiker, aber wir stehen zu Israel, in guten und in schlechten Zeiten! Wir sind alle Juden: aschkenasische, sefardische, jemenitische und mizrachische – egal wo wir im Galut, in der Diaspora leben, wir sind alle potenziell Israelis im Herzen, in Gedanken und in unserem Schicksal! Und das werden wir nie vergessen! Nicht umsonst sagen wir immer wieder: ›LeShana habaa beJerushalaim!‹ – Nächstes Jahr in Jerusalem«, lautet ihre klare Stellungnahme zu Israel.

israelkritik Wie sich der Antisemitismus hinter der Israelkritik verstecke, machte sie an einem Beispiel deutlich: Ein bekannter evangelischer Geistlicher aus Mönchengladbach habe in seiner »Solidaritätsbekundung« von der Sorge um »die jüngsten Ereignisse der Gewalt in Nahen Osten zwischen Israel und der Hamas ›auf dem Gebiet der Palästinenser‹« gesprochen.

Das sei eindeutig Hamas-Terminologie, so Floh. »Das geht im Zusammenhang mit einem Solidaritätsschreiben mit der jüdischen Gemeinde Mönchengladbach-Viersen überhaupt nicht.«

»4000 Raketen, die aus Gaza auf israelische Städte und israelische Zivilisten geschossen wurden: auf Kinder, Frauen, Männer, ältere Menschen, jüdische und arabische Israelis innerhalb von wenigen Tagen. Das ist kein Krieg, das ist Terror«, stellt Floh klar und fragt in ihrer Rede auf dem Adenauerplatz: »Was hätte Deutschland in der gleichen Situation getan?! Das sind alles rhetorische Fragen. Wir alle wissen, wie die Antwort lautet.«

antisemitismus Floh verweist auf die antisemitischen Kundgebungen und Anschläge auf jüdische Einrichtungen in den vergangenen Wochen. »In mehreren Städten in Deutschland beobachtete die Polizei unlängst, wie wieder anti-israelische und antisemitische Mobs durch die Straßen zogen. Dabei wurden laut Nazi-Parolen skandiert, es wurde gedroht, den Staat Israel zu vernichten, und gefordert, Juden in die Gaskammer zu schicken.«

»Können Sie sich vorstellen, welche Vernichtungsängste Schoa-Überlebende haben und wie sie diese Entwicklung in Deutschland beobachten?«

Gemeindevorsitzende Leah Floh

Sie selbst habe während des letzten Nahost-Konflikts 2014 in Düsseldorf und Mönchengladbach mehrere Kundgebungen und Demonstrationen mit Schreien »Hamas, Hamas, Juden ins Gas« oder »Israel von der Landkarte ausradieren« erlebt. »Wir haben in unserer Gemeinde 128 Schoa-Überlebende, Child Survivor, die in Konzentrationslagern, Ghettos, im Versteck oder nach Deportationen die Schoa überlebt haben. Können Sie sich vorstellen, welche Vernichtungsängste diese Menschen haben und wie sie diese Entwicklung in Deutschland beobachten?«, fragt Leah Floh.

»Wir Juden beobachten in Deutschland einen wachsenden, als Israel-Kritik getarnten, kaum verhohlenen Antisemitismus von links, von rechts, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft und einen aus islamischen Staaten zugewanderten Hass auf alles Jüdische«, verdeutlicht die Gemeindevorsitzende.

politik Hier sei vor allem auch die deutsche Politik gefordert, betont Floh. Diese weise zwar bei jeder Gelegenheit darauf hin, dass die Solidarität mit Israel nicht verhandelbare Staatsräson sei. »Das hören wir Juden gerne«, sagt Floh. Nur, wie sieht die Praxis aus? Etwa beim Abstimmungsverhalten Deutschlands in der UNO? »Ganz ehrlich, wie ernst sollen wir Juden die ›deutsche Staatsräson‹ bezogen auf Israel denn nehmen?«, fragt sie kritisch.

Die Politik habe sich jetzt auf einen rechten Antisemitismus verständigt. »Ich war letzte Woche bei der ›Aktuellen Stunde‹ im Landtag. Es wurde in einer Ansprache dort erwähnt, dass über 90 Prozent der antisemitischen Straftaten von Rechtsradikalen begangen werden. Wir Juden wissen es besser«, sagt Floh. Angesichts einer solchen Gemengelage fragten sich viele: »Sind wir Juden hier in Deutschland überhaupt noch erwünscht?«

»Juden sind keine Krieger. Sie sind Familienmenschen. Sie sind Schauspieler und Regisseure, Maler, Schriftsteller, Wissenschaftler, Ärzte, Rechtsanwälte, Lehrer, Taxifahrer, Schneider, Schuster und Rabbiner. Sie sind reich oder arm. Sie sind sehr verschieden. Sie sind zuverlässig, ehrlich und treu. Sie können lieben, und wenn sie lieben, dann für die Ewigkeit. Sie können sich verteidigen – sie haben das gelernt. Und das ist gut so!«     

pogrome Flohs Fragen, die sie am Donnerstag in Mönchengladbach stellt, wirken alarmierend: Wird es wieder zu Pogromen an Synagogen kommen? Werden Juden wieder wie in den letzten Tagen attackiert, geschlagen und gedemütigt? Die Gemeindevorsitzende appelliert: »Verschließen Sie nicht Augen und Ohren, hören Sie auf Ihr Gewissen!«

Nach ihrer Ansprache habe sie viel positive Resonanz von Juden und Nichtjuden erhalten, betont Leah Floh.

Nach ihrer Ansprache habe sie viel positive Resonanz von Juden und Nichtjuden erhalten, betont Floh. Vor allem junge Leute, die noch in der Nacht E-Mails an die Gemeinde sandten, betonten: »Klasse!« und »Wir wissen, dass Sie uns schützen.«

Antisemitismus in Deutschland dürfe es nie mehr geben, hieß es über die Kundgebung in einem Bericht der »Rheinischen Post«. Demnach haben an der Veranstaltung auch Oberbürgermeister Felix Heinrichs, der aus diesem Anlass eine Kippa trug, Landtagsabgeordnete und der Bundestagsabgeordnete Günter Krings (CDU) teilgenommen sowie die Pfarrer Wolfgang Bußler und Hans-Ulrich Rosocha.

Außerdem, so Floh, habe sie auch mehrere Imame aus Mönchengladbach und Viersen eingeladen und sie gebeten, eine kurze Ansprache zu halten. »Sie haben mir direkt am Telefon gesagt, sie seien zwar gegen Judenfeindlichkeit, gleichwohl aber auch gegen den Staat Israel, und lehnten die Teilnahme an unserer Veranstaltung ab.«

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