Porträt der Woche

»Sieh hin und lerne!«

Sofia Sominsky ist Galeristin in München und »glückliche jiddische Mamme«

von Katrin Diehl  29.09.2023 11:17 Uhr

»Eine Galerie zu betreiben, ist ein Spagat zwischen den Institutionen«: Sofia Sominsky (36) aus München Foto: Lydia Bergida

Sofia Sominsky ist Galeristin in München und »glückliche jiddische Mamme«

von Katrin Diehl  29.09.2023 11:17 Uhr

Irgendwie passt gerade alles. Für unsere Galerie haben wir diese wunderbaren Räume. Unsere Ausstellungen laufen. Ich bin eine glückliche Mama, eine glückliche Frau. Was soll ich sagen?

Natürlich taucht ab und zu die Frage auf: »Okay, done! Und jetzt, whatʼs next?« Aber das ist ganz gut als Antrieb, als Motor. Und natürlich kann man sich ständig neue Ziele setzen, kann alles hinterfragen.

ruhe Aber warum? Was, wenn man sagt: »Es ist gerade gut so, wie es ist, und aus diesem Zustand wird sich der nächste schon irgendwie und irgendwann ergeben.« Ich finde, so zu denken, gibt Sicherheit und ein bisschen Ruhe. Und zwar auch dann, wenn es einmal nicht so rund läuft, wenn’s hakt, wenn es etwas holpert. Und wer ist es wohl gewesen, der mich auf so kluge Gedanken gebracht hat? Na klar. Es war ein Rabbiner. Aber das ist eine andere Geschichte.

Seit Ende 2022 ist unsere Galerie »Lohaus Sominsky« in diesen großzügigen, hellen Räumen. Und das mitten in München. Eröffnet haben wir mit der Künstlerin Karin Kneffel als Kuratorin, die hier an der Akademie als Professorin gelehrt und die bei uns Eigenes wie Werke ihrer damaligen Meisterschülerinnen und -schüler gezeigt hat.

Bei allen Ausstellungen ist uns und allen Beteiligten natürlich klar, dass eine Galerie kein Museum ist, wir neben dem Anspruch, Kunst zu zeigen, eben auch immer kommerziell denken müssen. Sonst funktioniert das nicht.

ÄSTHETIK Andererseits, ginge es nur ums Kommerzielle, wäre ich als Kunsthistorikerin nicht wirklich glücklich in diesem Job. Inhalte zu vermitteln, das bleibt wichtig. Du bekommst ja durch Bilder so viel. Und das auf den unterschiedlichsten Ebenen! Da gibt es zum Beispiel die Ebene der Bildung. Ja. Auch dafür gibt es uns. Wir sagen: »Sieh hin und lerne!«

Das tun wir nicht auf provokative Weise – dafür gibt es andere Spaces –, sondern ansprechend, über eine Ästhetik, die Inhalte und viel Wissenswertes transportiert. Bilder ohne Inhalte langweilen schnell. Und man hat ja dann doch das Verlangen, irgendwie mitdenken zu wollen, will nicht nur feststellen: »Okay, ganz schön das Bild, würde gut zu unserem Sofa passen.«

Eine Galerie zu betreiben, ist ein Spagat zwischen den Institutionen, das ist kein einfaches Geschäft; es ist eines, das nach Gespür verlangt. Ingrid Lohaus und ich sind, was das anbelangt, täglich sehr rege, und man bekommt in diesem Genre auch wirklich nichts geschenkt. Ständig kurbeln wir irgendetwas an, machen Performances, Künstlergespräche, Künstlerführungen, Atelierbesuche. Und dabei ist uns die Verbindung zur Münchner Kunstakademie – der lokale Bezug insgesamt – genauso wichtig wie der Blick auf die Kunstszene weltweit, was irgendwie auch zu meinem Leben passt. Ich bin unglaublich oft umgezogen, ich habe Alija gemacht, bin wieder nach Deutschland, dann wieder nach Israel.

Prag war für mich als wildes, pubertierendes Mädchen mit roten Dreadlocks genau richtig.

Geboren wurde ich 1987 in Kiew, aufgewachsen bin ich in Prag. Grund für den ersten Umzug war, dass sich meine Eltern in der tschechischen Hauptstadt für sich wie für uns bessere Zukunftschancen ausgerechnet haben. Außerdem war mein Bruder damals professioneller Tennisspieler, und in Prag gab’s da einen lukrativen Klub für ihn. Aber auch für mich als wildes, pubertierendes Mädchen mit langen roten Dreadlocks, zerrissenen Jeans und einem Kurt-Cobain-T-Shirt war diese Stadt der richtige Ort zur richtigen Zeit. Sie hatte etwas von Bohème, etwas Anarchistisches, und sie war mit ihrer Schönheit am Ende wahrscheinlich der Grund, warum ich Kunstgeschichte studieren wollte.

abschied Mit 16 kam ich dann nach Deutschland, 2002, 2003. Und das war zunächst einmal schlimm. Der Abschied von Prag, den Freunden dort, die neue Sprache, die ich nicht konnte, die Entscheidung, die einfach ohne mich getroffen wurde, in einem Alter, in dem man gerade beginnt, sich selbst zu finden. Es ging nach Düsseldorf, wo ich in der Nähe auf ein Internat kam, was gar nicht so schlecht für mich war, weil die Schüler und Schülerinnen dort von überall aus der Welt stammten.

Danach begann ich, in Bochum Kunstgeschichte zu studieren, was auch in die Zeit fiel, in der ich mich recht aktiv fürs Düsseldorfer jüdische Gemeindeleben interessierte, mich zum Beispiel an den Kulturtagen dort beteiligt habe. Außerdem übernahm ich damals auch die Programmleitung der Europäischen Janusz Korczak Akademie Nordrhein-Westfalen mit einer Niederlassung, einem »Janusz-Korczak-Haus«, in Duisburg.

Dass ich Jüdin bin, wusste ich, seit es mich gab, und ich hatte auch nie das Gefühl, ich könnte etwas anderes sein. Meine Großeltern haben Jiddisch gesprochen. Ich bin mit jüdischer Küche aufgewachsen. Jüdisch zu sein, war meine Zugehörigkeit. Wir waren nicht religiös, aber kulturell ganz klar eine jüdische Familie. Viele aus meiner Großfamilie, die Großeltern, Tanten, Onkel sind nach Israel ausgewandert. Und ich eben auch, nämlich nach dem Studium. Klar war das dann Tel Aviv, wo ich ein Praktikum in der Galerie von Irit Fine Sommer machen konnte, eine wirklich wunderbare Erfahrung.

MASTER Nach dem Master war ich dann noch in der Galerie Voss in Düsseldorf, und dann kam das große schwarze Loch, in das man manchmal fällt, wenn man nicht genau weiß, wie es weitergehen soll. Und was macht man dann? Wieder nach Israel, wieder Tel Aviv, wo ich ein wissenschaftliches Volontariat im Museum of Art absolvierte und auch überlegte – das fällt einem dann so ein –, ob ich nicht promovieren sollte.

Ich war sehr auf der Suche, habe Hunderte von Büchern gelesen, habe versucht, mich spirituell weiterzuentwickeln.

Kurz: Ich war sehr auf der Suche, habe Hunderte von Büchern gelesen, habe versucht, mich spirituell weiterzuentwickeln, und mich am Ende aufgemacht zum Kabbalah Centre, wo mir ein Rabbiner wirklich sehr klug weitergeholfen hat. »Was suchst du?«, fragte er mich, »was willst du finden?« Und ich habe ihm von meinem Gefühl erzählt, mir wie in einem Gang vorzukommen, mit vielen geschlossenen Türen, dass ich keine Ahnung hätte, welche Tür ich öffnen sollte.

Und dieser Rabbiner hat mir geraten, diesen Zustand irgendwie zu genießen: »Nimm dir Zeit. Du musst dich nicht beeilen. Bleibʼ in dem Gang stehen, sieh dir die Türen genau an, genieß diesen Moment.« Das hat mir sehr geholfen, und ich konnte sehr beruhigt nach Düsseldorf zurückkehren.

facebook 2015/16 habe ich meinen Mann kennengelernt. Dank Mark Zuckerberg, über Facebook. Ich zog nach München, um dort zu promovieren, in die Stadt, aus der mein zukünftiger Mann kam, mit dem ich schon Kontakt aufgenommen hatte, als er noch in San Francisco gewesen ist. Wir haben über Facebook kommuniziert, und dabei stellte sich dann schnell heraus, dass wir beide jüdisch waren.

Jetzt sind wir eine Familie, Eltern einer kleinen Tochter. Und was bleibt mir also anderes, als glückliche Mama, ach was, eine rundum sehr typische jiddische Mamme zu sein? Tut mir leid, aber ich habe im Moment wirklich das Gefühl, dass das in unseren Genen liegt. Ich wurde immer von meiner ganzen Familie unglaublich geliebt. Wir lieben unsere Kinder einfach absurd viel. Was kann man machen?

Kind und Arbeit hinzubekommen, ist natürlich ein Spagat, für Vater wie Mutter. Wir, Ingrid aus der Galerie, die ja auch Mutter ist, und ich unterstützen einander, und deshalb kommt es ab und zu vor, dass unsere Kleine hier einfach herumflitzen darf.

HERZENSANGELEGENHEIT Für die zweite Ausstellung hatten wir im Übrigen Ilit Azoulay da, die vergangenes Jahr den Israel-Pavillon für die Biennale in Venedig mitgestaltet hat. Das war uns eine große Ehre und für mich eine Herzensangelegenheit. Solche Entscheidungen haben – abgesehen davon, dass es hier in München einige Sammler von israelischer Kunst gibt – mit meiner Identität zu tun.

Gerade passt also alles. Und wenn ich wieder einmal ein bisschen ratlos sein sollte, dann weiß ich schon, wen ich zu Rate ziehen werde: meine Großmutter, die absolut klügste und weiseste Frau der Welt.

Aufgezeichnet von Katrin Diehl

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