Gespräch

»Schuld ist immer etwas Individuelles«

Samuel Schidem Foto: Gregor Zielke

Herr Schidem, Sie führen regelmäßig Schulklassen durch die Ausstellungen des Jüdischen Museums Berlin. Wie vermitteln Sie den jungen Menschen die Schoa?
Das hängt davon ab, wie alt die Schüler sind. Bei Siebtklässlern ist ein anderes Vorgehen notwendig als bei Zwölftklässlern. Generell kann man aber sagen, dass wir uns dem Thema Schoa ganz konkret über die einzelnen Lebenswege der Opfer zu nähern versuchen. Denn es ist fast unmöglich, sich konkret vorzustellen, was sechs Millionen ermordete Juden eigentlich bedeuten. Mit unserer Arbeit wollen wir zeigen: Sechs Millionen ausgelöschte Menschenleben – das ist eins plus eins plus eins.

Wie reagieren die Schüler auf dieses didaktische Konzept?
Die meisten sind zu Beginn der Führung sehr still. In der Regel werden sie dann nach und nach gesprächiger und artikulieren auch ihre Betroffenheit. Wenn ich mit den Schülern zum Beispiel Biografien von Kindern in ihrem Alter bespreche, ist die Empathie zumeist groß. Die Zahl derer, die die Beschäftigung mit der Schoa verweigern, ist insgesamt gesehen sehr gering. Und bei denen hat zuvor der Geschichtsunterricht oft auf ganzer Linie versagt.

Inwiefern?
Ich will kein Lehrer-Bashing betreiben, oft sind die Schüler aber durch den Unterricht an ihrer Schule für das Thema Schoa regelrecht »verdorben«. Der Unterricht von Lehrern läuft ins Leere, wenn er anklagend daherkommt. Oft wird Schuld statt Wissen vermittelt. Die Schüler sagen mir dann: Es ist schrecklich, was mit den Juden passiert ist. Aber was kann ich dafür? Dabei sollte klar sein: Schuld ist immer etwas Individuelles. Das den Schülern klarzumachen ist immens wichtig.

Unter den Gruppen, die Sie durch das Museum führen, sind auch Klassen aus sogenannten Problembezirken. Erfordert das eine andere pädagogische Herangehensweise?
Im Grunde ist die Arbeit dieselbe wie sonst auch: Ich versuche nicht, den Schülern meine Sicht aufzupfropfen, sondern sie da abzuholen, wo sie stehen. In einem zweiten Schritt ist es dann wichtig, die gelegentlich vorhandenen Ressentiments von zumeist arabisch- oder türkischstämmigen Schülern aufzugreifen, die ich bei Schülern ohne Migrationshintergrund in der Häufung so nicht beobachte.

Inwieweit ist der Nahostkonflikt bei diesen Schülern präsent?
Keineswegs so stark, wie es manchmal den Anschein hat, wenn man sich mit muslimischem Antisemitismus beschäftigt. Richtig ist aber auch, dass Israel für die angesprochene Gruppe ein Thema ist. Dahinter verbirgt sich oft das Gefühl der Schüler, im Gegensatz zu Juden mit ihrer eigenen Geschichte nicht gehört zu werden. Wenn man darüber dann gesprochen hat, folgt meist etwas Erfreuliches: Die Schüler stellen Gemeinsamkeiten mit Juden fest.

Haben die Schüler mit Migrationshintergrund das Gefühl, dass die NS-Zeit auch ihre Geschichte ist?
Es kommt durchaus vor, dass diese Schüler sagen: Das NS-Regime ist nicht meine Geschichte. Es ist wichtig, in solchen Gesprächen zu erklären, dass es nicht um Schuld, sondern um Verantwortung geht. Auch die »Neuen Deutschen« tragen Verantwortung dafür, dass solches Unrecht nie wieder von Deutschland ausgeht.

Mit dem Guide des Jüdischen Museums Berlin sprach Philipp Peyman Engel.

Bonn

Hunderte Menschen besuchen Laubhüttenfest

Der Vorsitzende der Synagogen-Gemeinde in Bonn, Jakov Barasch, forderte mehr Solidarität. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hätten sich hierzulande immer mehr Jüdinnen und Juden aus Angst vor Übergriffen ins Private zurückgezogen

 13.10.2025

Hamburg

Stark und sichtbar

Der Siegerentwurf für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge steht fest

von Heike Linde-Lembke  09.10.2025

München

Mut in schwieriger Zeit

Der Schriftsteller und Historiker Rafael Seligmann stellte im Gespräch mit Christian Ude sein neues Buch im Jüdischen Gemeindezentrum vor

von Nora Niemann  09.10.2025

Halle

Erinnerung an Synagogen-Anschlag vor sechs Jahren

Am 9. Oktober 2019 hatte ein Rechtsterrorist versucht, in die Synagoge einzudringen, scheiterte aber an der Tür. Bei seiner anschließenden Flucht tötete er zwei Menschen

 09.10.2025

Daniel Donskoy

»Ich liebe das Feuer«

Der Schauspieler hat mit »Brennen« einen Roman über die Suche nach Freiheit und Freundschaft geschrieben. Ein Interview

von Katrin Richter  09.10.2025

Nachruf

Lev tov, ein gutes Herz

Der ehemalige Berliner Gemeinderabbiner Chaim Rozwaski ist verstorben

 09.10.2025

WIZO

Party und Patenschaften

Die diesjährige Gala der Frauen-Organisation in Frankfurt übertraf alle Erwartungen

von Laura Vollmers  06.10.2025

7. Oktober

Jüdische Gemeinde fordert aus Zeichen der Solidarität Israel-Flagge vor Rathaus

Am Dienstag jährt sich das von Terroristen der Hamas und anderer Terrororganisationen verübte Massaker in Israel zum zweiten Mal

 05.10.2025

Porträt der Woche

Auf der Bühne des Lebens

Elena Prokhorova war Lehrerin und findet ihr Glück im Theaterspielen

von Christine Schmitt  05.10.2025