Es sind schwere Zeiten, in denen man zusammenrücken sollte. Wenn das zwei Publizisten vom Format des in England lebenden Politikwissenschaftlers Peter R. Neumann und des langjährigen ARD-Israel-Korrespondenten Richard Chaim Schneider tun, dann lohnt besonders ein Blick auf ihr gemeinsames Thema und ihre Thesen.
Der Titel ihres Buches Das Sterben der Demokratie erscheint wie ein Menetekel, ein unheilvolles Vorzeichen. Der Untertitel »Der Plan der Rechtspopulisten – in Europa und den USA« präzisiert, worauf die beiden abzielen. In den Münchner Kammerspielen traf vor Kurzem ein Riesenauditorium zusammen, einer gemeinsamen Einladung des Theaters mit der Stiftung Literaturhaus München und dem Kulturzentrum der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern folgend, um sich konkret und kompakt zu informieren.
Besondere Zeiten, besondere Maßnahmen
Intendantin und Hausherrin Barbara Mundel unterstrich in ihrer Begrüßung die gemeinsame Aufgabe, dass besondere Zeiten besondere Maßnahmen bräuchten und dass Buch und Thema als Warnung und Kompass zu verstehen seien.
Peter R. Neumann begann damit, den Unterschied zwischen Rechtspopulisten und Faschisten zu erläutern.
Shahrzad Osterer, Moderatorin des Bayerischen Rundfunks, ging dem im Gespräch mit den beiden Autoren nach und versuchte, aus dem Gemeinschaftswerk, das in zwei großen Themenblöcken – Plan und Umsetzung benannt – und neun Kapiteln strukturiert ist, grundlegende Aspekte aufzubereiten.
Peter R. Neumann begann damit, den Unterschied zwischen Rechtspopulisten und Faschisten zu erläutern, was gleichzeitig andeutet, dass er die Entwicklungen der 20er- und 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht mit den Phänomenen der Gegenwart verwechselt wissen will. Der Faschismus wollte die Demokratie abschaffen. Der Rechtspopulismus schwäche die liberale Demokratie, betreibe eine schleichende Aushöhlung, wobei er ihre Rituale und Institutionen, Parlament, Opposition, Zeitungen durchaus beibehalte. Beispiel dafür sei Ungarn, wo es all dies noch gebe, jedoch zunehmend ohne Macht, etwas zu bewirken.
»Ohne nennenswerte Widerstände«
Richard C. Schneider, Sohn ungarisch-slowakischer Schoa-Überlebender, der Ungarisch spricht, vertiefte dies am Beispiel der Politik Victor Orbáns, der als sozialliberaler Denker begann, nach 1989 jedoch mehr und mehr nach rechts abdriftete und seit seinem Machtantritt »mit absoluter Mehrheit sein politisches Programm ohne nennenswerte Widerstände« umsetzt. Für die Bevölkerung seien die schleichenden Veränderungen – der Einsatz willfähriger Menschen an allen relevanten Stellen wie etwa die Neubesetzung von Richtern – und deren Folgen anfangs nicht ersichtlich gewesen.
Neumann beschäftigt auch die Sprache der Rechtspopulisten, die stets betonten, das wahre Volk zu repräsentieren. Ihre politischen, religiösen und kulturellen Vorstellungen seien gefährlich, weil damit alle, die ihren Kategorien nicht entsprächen, delegitimiert würden. Gleichzeitig, ergänzte Schneider, würden Verschwörungsmythen gepflegt, die sich gegen liberale Eliten richteten.
Die EU würde etwa die ungarische Nation gängeln und benachteiligen. Von da sei es nur ein kurzer Schritt zur Dämonisierung eines Mannes wie George Soros. Wie immer man zu den Interessen dieses ungarisch-amerikanischen Magnaten stehen mag, es sage viel, wenn man Straßen mit Postern seines Gesichtes pflastere, sodass jeder darauf treten müsse, und diese dann an Orten, an denen der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu auf Staatsbesuch vorbeikommt, wieder entferne.
Die Sorge, dass es den Nachkommen schlechter gehen werde, stärkt Rechtspopulisten.
Was Antisemitismus und Israelfreundlichkeit betreffe, könne man sich auf Rechtspopulisten nicht verlassen, denn das sehe in Ländern mit Rechtsruck sehr verschieden aus, so Schneider. Vor Verallgemeinerungen solle man sich hüten. Die Ausprägungen differieren in den sechs behandelten Ländern durchaus – ob Kleptokratie, Autokratie oder Postfaschismus. Einig ist man sich nur im Gefühl der Bedrohung durch den Islam, dem man durch Ausbremsen von Zuwanderung, wie etwa in Ungarn, Italien und den Niederlanden, beizukommen versucht.
Demokratisierung Deutschlands nach 1945
Auch Frankreich, die USA, wo Neumann zehn Jahre gelebt hat, und Deutschland nahm die Moderatorin in den Blick. Für Neumann, der sich als Extremismus-Experte international einen Namen machte, gelang die Demokratisierung Deutschlands nach 1945, weil sich das Aufstiegs- und Wohlstandsversprechen erfüllte. Seit 2010 gebe es jedoch kein Wirtschaftswachstum mehr, die Sorge, dass es den Nachkommen schlechter gehen werde als den Eltern, sei Nährboden für Rechts- und Linkspopulisten. Diese hätten zudem die Chancen digitaler Medien begriffen.
AfD-Büros hat Schneider im Osten vielfach gesehen. Die sogenannten etablierten Parteien sind nicht präsent an Krisenorten, und ebenso wenig in den neuen Medien. Als letztes konkretes Beispiel für den Mangel zeitgemäßer Kommunikation wies Peter R. Neumann darauf hin, dass sich die Bundeszentrale für politische Bildung vor Kurzem aus den sozialen Medien verabschiedet habe. Damit wurde ein wichtiges Informationsmedium für junge Leute ohne Not aufgegeben.
Peter R. Neumann, Richard C. Schneider: »Das Sterben der Demokratie. Der Plan der Rechtspopulisten – in Europa und den USA«. Rowohlt Berlin, Berlin 2025, 221 S., 24 €