Fernsehen

Schalom in Oberschöneweide

Die knisternde Stille im Saal ist fast mit Händen greifbar. Im Scheinwerferlicht warten Pianist und Sänger auf ihr Stichwort. Gebannt lauscht das Publikum Franz Schuberts Liederzyklus »Winterreise«.

Die erste Strophe ist kaum verklungen, da platzt Kommissarin Sara Stein herein. Im lila Abendkleid, die langen braunen Haare locker über die Schulter geworfen, kramt sie ihr Ticket hervor. Achselzuckend nickt sie zu ihren Eltern in der zweiten Reihe hinüber, während sie umständlich die High Heels von den Füßen streift und auf Zehenspitzen zu ihrem Platz eilt. Zu spät. Der Klavierspieler, der gefeierte israelische Musiker David Schapiro, von dem ihre Eltern so schwärmen, hat sie längst bemerkt.

Liebesbeziehung Es ist die Szene, in der Sara Stein und David Schapiro sich zum ersten Mal begegnen. Die sich hier anbahnende Liebesbeziehung zwischen der jüdischen Polizeibeamtin aus Berlin und dem israelischen Musiker ist die Vorgeschichte zur eigentlichen Story von Shalom, Berlin – einer neuen Krimireihe, die ab Herbst 2015 zur besten Sendezeit in der ARD ausgestrahlt wird.

Regisseur und Schauspieler stecken die Köpfe zusammen und feilen weiter an den Details, Kameramann Holly Fink prüft derweil Ton und Lichteinstellungen, während Maskenbildner Lidstriche nachziehen und neuen Lippenstift auftragen. Gedreht wird im alten DDR-Funkhaus in Oberschöneweide. Vor dem Konzertsaal mahnt der Aufnahmeleiter zur Ruhe.

Das Konzept des Krimis ist so einfach wie genial – eine deutsche Polizeikommissarin, die außerdem auch Jüdin ist, ermittelt in Berlin. Schuberts Liedtext schwebt dabei wie ein Leitmotiv über dem Set: »Fremd bin ich eingezogen, Fremd zieh’ ich wieder aus.« Denn in dem neuen Krimiformat geht es um mehr als knifflige Fälle und eine coole Kommissarin im bunten Berlin. Themen wie Identität und Heimatlosigkeit, Migration und Ablehnung, unerfüllte Erwartungen und Vorurteile bilden die Metaebene zum eigentlichen Fall.

Authentisch Die Figur der Sara Stein, gespielt von Katharina Lorenz, ist dabei nicht nur Ermittlerin, sondern auch Vermittlerin, Protagonistin und »trojanisches Pferd« zugleich. Damit gehe der Film über den üblichen Rahmen der Krimiformate hinaus, sagt Sven Burgemeister, neben Andreas Schneppe und Andreas Bareiss einer der drei Produzenten. »Es ist der jüdische Blick und die Tiefe der Figuren, die es möglich machen, in Beziehung zu anderen zu treten«, so Burgemeister. Hürden scheut der Produzent nicht. Da vertraut er den beiden Autoren Maureen Herzfeld und Martin Kluger blind, die selbst jüdischen Hintergrund haben.

»Die Rolle der deutsch-jüdischen Ermittlerin erlaubt es uns, Themen anders zu erzählen – ob jüdische Familiengeschichte, Kulturunterschiede, die aufeinanderprallen, zutiefst menschliche Konflikte und Missverständnisse, die Komik und Tragik zugleich bergen«, beschreibt das Autorenduo die Idee, die sie gemeinsam mit Andreas Schneppe entwarfen. Denn Sara Stein ist vor allem eines: eine Frau auf der Suche nach sich selbst, insbesondere, als ihre Ermittlungen sie später nach Tel Aviv führen.

Diese gewitzte Figurenkonstellation habe ihn sofort gereizt, erklärt Regisseur Matthias Tiefenbacher in der Drehpause. Der Film biete mit seiner Hauptfigur einen »tragikomisch gebrochenen Blick« auf Identität und Geschichte. So begegnet Sara dem Leben in Tel Aviv voller Neugier, Erstaunen und auch Scheu. Und ihm selbst sei es da nicht viel anders als seiner Protagonistin ergangen, betont Tiefenbacher. Viermal war er in diesem Jahr bereits in Tel Aviv, weil ihm die Besuche bei den Vorbereitungen zu den Dreharbeiten so stark geholfen haben.

Polizeimilieu Bei den Szenen im jüdischen Staat arbeitet der Regisseur sogar komplett mit israelischen Schauspielern – für eine deutsche Produktion ist das eher ungewöhnlich. Doch die Macher von Sara Stein – Shalom, Berlin wollen so nah wie möglich an der Realität dranbleiben. Deshalb hat Autorin Maureen Herzfeld auch viel im Polizeimilieu von Tel Aviv recherchiert und stundenlang echte Hauptkommissare interviewt.

»Anfangs hatte ich meine Bedenken wegen möglicher Klischees«, erzählt Itay Tiran, der die Rolle des David Schapiro spielt. Doch nachdem er das Drehbuch gelesen hatte, war er sofort begeistert. Die Geschichte sei unkonventionell, das Drehbuch intelligent und sehr gut recherchiert. »Als Krimi verkleidet ist die Story genial, gerade weil Sara erst langsam ihre Persönlichkeit entfaltet und ihre Identität entdeckt«, lobt der Schauspieler. In Davids Beziehung zu Sara kann sich der 34-jährige Schauspieler gut einfühlen: Er ist selbst mit einer Deutschen verheiratet. Tragikomische Situationen wegen der unterschiedlichen Mentalitäten kennt er nur zu gut, sagt er und lacht.

»Natürlich gibt es auch Klischees«, erzählt Matthias Tiefenbacher, der sich inzwischen dazu gesellt hat. Immerhin ermittelt Sara Stein im Auftaktfilm in einem Kriminalfall, in dem ein Muslim verdächtigt wird, eine israelische DJane in Berlin ermordet zu haben. »Doch mit Klischees müssen wir auch im realen Leben umgehen«, findet der Regisseur. »Das Thema dieser Geschichte ist ja: Jeder ist Opfer seiner eigenen Vorurteile, und zwar auf mehr oder weniger tragische Weise.« Mehr verrät der Regisseur nicht. Nur so viel: Am Ende stellt sich heraus, dass keines der Vorurteile der Wirklichkeit standhält.

Gaza-Krieg Der Nahostkonflikt in Berlin gleich als Auftakt für Shalom, Berlin – ging es nicht eine Nummer kleiner? Auch das gehöre zur Realität, findet Produzent Schneppe. Ursprünglich sollte die Auftaktfolge in Tel Aviv gedreht werden, doch dann kam im Sommer der Gaza-Krieg dazwischen. Kurzerhand entschieden Produktion und die ARD Degeto, Sara Stein nun doch zuerst in Berlin ermitteln zu lassen.

»Das war Glück im Unglück«, erzählt Drehbuchautor Martin Kluger. »So konnten wir den Konflikt gleich im ersten Fall spiegeln und die vielen Vorurteile auf beiden Seiten zeigen.« Überhaupt, die ganze Herangehensweise der Öffentlich-Rechtlichen habe ihn freudig überrascht: Früher gab es viel mehr Berührungsängste, solche Stoffe unterzubringen. Dabei liegt den Machern der Reihe nichts ferner als der moralische Zeigefinger.

»Was viele Deutsche immer wieder überrascht, ist die Offenheit der jüdischen Kultur«, vermutet Maureen Herzfeld. Gerade in Israel sei diese Offenheit besonders spürbar. Auch das wollen die Autoren zeigen: die Strände, Cafés, das Lebensgefühl in Tel Aviv, die Frische und die lebensbejahende, erfinderische Art der Israelis, Probleme zu lösen.

vorbereitung Diese Erfahrung macht auch Sara Stein. Katharina Lorenz hofft, dass ihre Figur dabei viel Humor zutage fördert. Die Schauspielerin hat sich intensiv auf ihre Rolle vorbereitet. Monatelang lernte sie Hebräisch, las Bücher und befragte einen befreundeten jüdischen Kollegen zu jüdischen Traditionen – ein sehr privater Zugang, der ihr geholfen habe, ein Gefühl für die Rolle zu bekommen.

»Das kam beim Lesen ganz von selbst, was auch an dem guten Drehbuch liegt«, so die Hauptdarstellerin. Sie wolle Sara Stein nicht kategorisieren, sagt sie, weil die Figur »sich noch nicht gefunden« habe. Sie sei selbst neugierig auf Sara Steins Entwicklung. Aber eines falle ihr sofort zu der Kommissarin ein: Heimatlosigkeit.

Ob die deutsch-jüdische Ermittlerin in der neuen ARD-Krimi-Reihe Sara Stein neben den Tätern auch ihrer eigenen Heimatlosigkeit auf die Spur kommt, bleibt abzuwarten. Im Herbst 2015 wird es der Zuschauer erfahren.

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