Porträt der Woche

»Samstags drehe ich nicht«

»Ich hatte früher lange Haare, trug einen Sari und ging barfuß in den Supermarkt«: Harel Yana (33) aus München Foto: Christian Rudnik

Porträt der Woche

»Samstags drehe ich nicht«

Harel Yana hat eine Filmfirma und versucht, in München religiös zu leben

von Katrin Diehl  31.08.2015 18:21 Uhr

Es ist früh. Ich habe noch nichts im Magen, sitze in der Tram. Der Kleine liegt in seinem Wagen und schläft. Das ist gut. So kann ich beten, den ganzen Weg bis zur Synagoge. Ein Tag beginnt. Na ja, beginnen tut er eigentlich schon wesentlich früher. So um sechs Uhr. Da stehe ich auf. Nicht, weil ich will, sondern weil die Kinder, David, anderthalb, und Rafael, vier Monate, das so bestimmen. Wenn alles läuft, keiner der beiden krank ist, gehe ich jeden Morgen zur Synagoge. Rafael »begleitet« mich, meine Frau bringt David in die Kita.

Die jüdische Kita befindet sich in einer Villa, die ich sehr gut kenne – vor noch gar nicht so langer Zeit habe ich dort als Sicherheitsmann gearbeitet. Dieser Job war überhaupt der Grund, weshalb ich in München gelandet bin: Es hatte sich bis nach Israel herumgesprochen, dass es wirklich gut ist, in München bei der Security zu sein. Heute geht mein Sohn als Kitakind durch die Tür dieses Hauses, auf das ich einmal aufgepasst habe. Mein Leben hat sich ganz schön verändert.

Geboren wurde ich 1982 in Netanya. Ich war beim Militär, wurde in einer Spezialeinheit ausgebildet, sodass ich mich vorbereitet fühlte, für die Sicherheit von Menschen zu sorgen, zumal ich mir auf diesem Weg Geld für mein Studium verdienen konnte. Kurz vor Ende meiner Militärzeit machte ich mit guten Freunden einen Trip nach London.

orientierung Am Schabbat gingen wir in die Synagoge, redeten dort ein bisschen mit den Jungs von der Sicherheit, die davor standen. »Wie läuft es so bei euch?«, fragten wir. »Nicht schlecht«, antworteten sie, aber den besten Job dieser Art gebe es in München. Obwohl ich München überhaupt nicht kannte, wirkte das natürlich anziehend. Zugleich war mir bewusst, dass man zu einer begehrten Stelle meist nur über Kontakte kommt.

Genau die ergaben sich, als ich wieder zurück in Israel war: Beim Fußballspielen traf ich einen Freund, wir redeten über die Sache mit München, und er erzählte mir, dass er einen Freund aus Militärzeiten habe – bei der Sicherheit in München. Damit kam die Sache ins Rollen.

Rabbi Nachman von Bratzlaw, der für mich sehr wichtig ist, sagt: »Wenn jemand dir auch einen noch so kleinen Gefallen tut, niemand weiß, was daraus Großes erwachsen kann – es kann Folgen für dein ganzes Leben haben.« Und ob die Sache Folgen hatte: In München habe ich meine Frau kennengelernt, und heute habe ich zwei Kinder!

Dabei war ich kurz nach dem Militär erst einmal ein wenig orientierungslos und auf der Suche nach mir selbst. Mit dem Geld, das man vom Militär bekommt, habe ich in Tel Aviv abgehangen, aber schnell gemerkt, das kann es ja wohl nicht sein. Mit ein paar Freunden bin ich dann nach Indien geflogen. Zurück in Israel, gingen meine Freunde viel auf Partys. Allerdings ohne mich. Ich saß derweil mit meiner Gitarre am Strand und dachte nach. Wegen eines Jobs habe ich mich schließlich zu den Golanhöhen aufgemacht. Und da, auf einmal, war ich bei mir, da plötzlich wusste ich, dass ich Film studieren wollte.

barfuss Zu Pessach reiste ich zurück zu meiner Familie. Da rief München an: »Du kannst sofort anfangen.« Und meine Pläne? Mit dieser Frage ging ich zu einem Rabbiner, der mir mit den Worten des Baal Schem Tov antwortete: »Wenn dich jemand ruft, geh, wenn dich jemand aus einem fremden Land ruft, geh – und komm in dein Land zurück.«

Da wusste ich, was zu tun war. Ich bin nach München gezogen – das komplette Gegenprogramm zu Indien. Ich hatte lange Haare, trug eine Art Sari, ging barfuß in den Supermarkt und wunderte mich, dass alle mich erstaunt ansahen. Auch die Leute von der Sicherheit waren ein wenig irritiert, und es hat tatsächlich eine Weile gedauert, bis ich mich an alles gewöhnt hatte und in Hemd und Hose erschienen bin.

2006 beschloss ich, an meinen Dienst noch ein paar Monate dranzuhängen, weil in Deutschland die Fußball-WM in vollem Gange war. In dieser Zeit habe ich dann meine Frau kennengelernt.

familie Ich machte meinen Dienst vor der Synagoge in der Reichenbachstraße, die Gäste einer Barmizwa trafen ein, darunter auch meine jetzige Frau. Sie besuchte mich seitdem öfter in meiner kleinen Bude und war erst einmal geschockt, wie es da zuging: ein Kommen und Gehen, weil mich gerade alle meine Freunde aus Israel besuchen kamen, um nahe dran zu sein am großen Fußballspektakel.

2009 habe ich meine Frau, die als Ärztin in einem Krankenhaus arbeitet, geheiratet. Na ja, im Moment ist sie wegen des Babys natürlich erst einmal zu Hause.

Die zwei Kinder, so dicht hintereinander geboren, das ist schon anstrengend. Aber wir kriegen das hin. Nach der Synagoge bringe ich Rafael wieder nach Hause und gehe so um zehn Uhr zur Arbeit. Es ist dann nämlich doch noch etwas aus dem Filmstudium geworden. Drei Jahre lang habe ich in Israel am Sapir College Film studiert.

Schabbat Heute führe ich zusammen mit meinem Freund Mordechai, der bei uns der Kameramann ist, mitten in Schwabing in einem schön restaurierten Kellergeschoß eine Firma namens »florentinfilm«. Wir drehen Imagefilme und Werbetrailer, filmen bei Events, manchmal auch bei Bar- und Batmizwas oder anderen jüdischen Festen.

Jedenfalls läuft das Geschäft wunderbar, und das, obwohl sowohl unser Deutsch als auch unser Englisch besser sein könnten, wir unseren Kunden von Anfang an sagen: »Wir sind religiös, und am Samstag geht gar nichts.« Die großen Firmen buchen uns trotzdem – »Wer den Schabbat hält, bekommt vom Schabbat etwas zurück.«

Was uns ausmacht? We’re just different. Wir arbeiten gezielt und unkompliziert. Da gehen nicht erst 100 E-Mails hin und her, bis etwas passiert. Wir erscheinen nicht in steifem Hemd und Krawatte, dafür klopfen wir auch mal auf die Schulter – das kommt gut an. Was die Arbeit angeht, können wir mehr als zufrieden sein.

religion Ich mag auch die Münchner Gemeinde und habe engen Kontakt zu ihr. Dennoch vergeht kein Tag, an dem ich nicht darüber nachdenke, nach Israel zurückzukehren. Das hat damit zu tun, dass es nicht einfach ist, in München als Religiöser zu leben.

Dabei bin ich nicht ultraorthodox und verschließe mich auch nicht der Welt. Trotzdem: Es fehlt die religiöse Gruppe, der man sich richtig zugehörig fühlt, es fehlen die Leute, die man am Schabbat um sich hat. Auch die Erziehung der Kinder stellt uns immer wieder vor Herausforderungen: Will mein Sohn zu einem Freund aus der Kita, weiß ich nicht, was da gegessen wird. Und soll er, wenn er Schokolade angeboten bekommt, ablehnen?

Irgendwann werde ich mit meiner Familie gehen. Irgendwann. Im Moment nutzen wir, dass es mit der Filmerei und Filmförderung hier wesentlich besser läuft als in Israel. Daher kann ich mir auch vorstellen, einmal einen großen Film zu machen. Die Skripte dafür liegen bereits in meiner Schublade. Um das weiterzuverfolgen, müsste ich mich allerdings aus dem Alltagsgeschäft ausklinken.

berlinale Mein Film über Israelis in München ist dagegen schon fast fertig. Er trägt den Titel »Alte neue Liebe«. Ich hoffe, ihn bei der Berlinale zeigen zu können. Zwar kommen darin andere zu Wort, aber es ist auch ein Film über mich geworden, der weder wirklich traurig noch dramatisch sein soll. Er soll zeigen, dass das Leben hier für uns einfach sehr speziell ist.

Am Abend komme ich nach sechs nach Hause. Die Kinder warten auf mich. Ich helfe meiner Frau, das Essen zu richten, die Kleinen zu baden, sie zum Einschlafen zu bringen. Ich selbst gehe um Mitternacht ins Bett. Manchmal gehe ich aber auch noch einmal zurück in unser Filmstudio und schneide, wenn es ganz ruhig um mich ist. Rabbi Nachman sagt: »Der ist ein reicher Mann, der zufrieden ist mit dem, was er hat.«

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